23.12.2020

Nach Corbyn: Was bleibt?

Johanna Bussemer

Jeremy Corbyn stolperte über den Brexit und Antisemitismusvorwürfe. Der Green New Deal und die Zusammenarbeit mit den Bewegungen aber haben die Labour Partei nachhaltig verändert

»Unsere Bewegung muss nun zusammenkommen, um dieser zutiefst schädlichen konservativen Regierung gegenüberzutreten und sie zu besiegen«, schrieb Corbyn mit Blick auf die Tory-Regierung unter Premier Boris Johnson, nachdem sein vorübergehender Parteiausschluss aufgrund von Antisemitismus Vorwürfen Mitte November beendet wurde. Das der ehemalige Vorsitzende der Labour Partei diese jetzt nicht mehr im Parlament vertreten wird, sondern als unabhängiger Abgeordneter im britischen Unterhaus sitzt, ist das bittere Ende einer Geschichte, die auch als die erfolgreiche Rettung einer der wichtigsten Sozialdemokratischen Parteien Europas durch eine konsequente Abkehr vom Neoliberalismus hätte enden können. Dieser Satz zeigt aber auch, das Corbyn an einer seiner großen Stärken, der Bewegungsorientierung, obwohl sie ihm in der Brexit Frage zum Verhängnis wurde, festhält. Zusammen mit der erfolgreichen Verankerung des Green New Deal im Programm der Partei, wird die tragfähige linke Konstellation aus Partei, Bewegungen und Gewerkschaften, ohne die auch der Green New Deal nicht möglich ist, vielleicht sein größtes Vermächtnis bleiben.

Der Klientel-Streit wurde im Brexit scheinbar unlösbar

Das politische Schicksal Jeremy Corbyns ist, wie vielleicht sonst nur das der ehemaligen britischen Premierministerin Theresa May, mit dem Brexit verknüpft. Denn zunächst gelang es Corbyn zusammen mit seinem Schattenkanzler John McDonell, in der Phase der zunehmenden EU Gegnerschaft im Vereinigten Königreich, für die Labour Partei in den sozialen Bewegungen neue, linke, aktive Mitglieder zu mobilisieren, die auch seine Wahl zum Labour-Chef ermöglichten. Diese jungen sozialen Bewegungen, die sich insbesondere in den Organisationen Momentum und The World Transformed hinter dem linken Flügel der Labour Partei formierten und interessanterweise maßgeblich von den Gewerkschaften mitfinanziert wurden, stellten zum Ende  seines Vorsitzes nicht nur einen wachsenden Teil des Personals in der Labour-Parteizentrale und prägten den Wahlkampf durch ihre stark aus den USA adaptierten Organizing-Strategien, sondern schufen durch ihre kreativen Festivals auch die Kultfigur Jeremy Corbyn, die manchmal so gar nicht zu dem oft verzagt wirkenden und manchmal mittelmäßigen Redner Corbyn passen wollte.

Jene Orientierung der Partei, die für jede linke Partei in Europa, in ihren Methoden beispielhaft bleiben sollte, geriet jedoch mit der Brexit Frage in ein Dilemma, welches zum Schluss sogar den inneren Kern von Corbyns Parteiführung, das Schattenkabinett, zerriss. Denn bei der eher jungen, teilweise akademisch geprägten, urbanen, neuen Parteimitgliedschaft, überwog die pan-europäische Orientierung und insbesondere das Dafürhalten für Freizügigkeit innerhalb Europas. Dieser Position stand die eher aus dem Arbeitermilieu stammende, traditionelle Wählerklientel aus dem englischen Norden gegenüber, welche ihre schwindende ökonomische Sicherheit, bestimmt nicht ganz ohne das Zutun der britischen Regenbogenpresse mehr und mehr der EU anhängte. Jener auch in der deutschen Linkspartei geführte Klientelstreit, der sofern man eine kleine Oppositionspartei ist, für die Diskussion der eigenen strategischen Ausrichtung sinnvoll, als nach aussen getragener Konflikt aber überflüssig und gefährlich ist, wurde vor der Folie des Brexit durch Corbyn nicht durch eine eindeutige Richtungsentscheidung entschärft. Diese hätte vielleicht den Effekt gehabt, dass sich die eine oder andere Seite an die Argumentation gewöhnen und in ihr politisch hätte agieren können, ähnlich wie große Teile der pro-europäischen Tories, unter ihnen auch Teresa May, die Brexit-Position allmählich adaptierten und umsetzen. Die Kompromisse Corbyns und des linken Flügels wurden jedoch nicht verstanden und übersahen auch das Potential des pro-europäischen, sich selbst als „progressiv“ bezeichnenden Flügels, sich mit den in der Partei immer noch zahlreich vorhandenen neoliberal ausgerichteten Kräften zu verbinden.

Antisemitismus Vorwurf ist Folge der neuen Kräfteverhältnisse in der Partei

Keir Starmer, der neue Partei-Chef schaffte es, seinen Schlingerkurs ob seiner Zuordnung innerhalb der Strömungen bis nach seiner Wahl durchzuhalten. Die Bildung seines durchweg pro-europäischen Schattenkabinetts und auch der Parteiausschluss Corbyns aufgrund des Vorwurfes er sei antisemitische Tendenzen in der Partei nicht konsequent nachgegangen, was wahrscheinlich richtig ist, und hätte selber antisemitisch agiert, was eindeutig nicht richtig ist, zeigen, dass Starmer geschickt mit der liberal ausgerichteten Klientel seiner Partei, die weniger pro-palästinensisch ist, paktiert. Der Ausschluss ist so auch als symbolische Geste an die Mitte und den rechten Flügel der Partei zu lesen, und soll die Dominanz des linken Flügels endgültig beenden.

Die linken Bewegungen und ihre zentralen Organisationen, allen voran Momentum, unterziehen sich derweil einem Erneuerungsprozess. Ihr weiteres Eingreifen in die Politik der Labourpartei ist gewiss. Bereits jetzt zeigen sich z.B. mit John McDonnells Projekt „Claim the Future“, welches in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung entsteht, Initiativen, die an die erfolgreiche Kampagnen-Arbeit für die Labourwahlprogramme 2017 und 2019 anknüpfen und trotzdem in enger Zusammenarbeit mit den Bewegungen entwickelt werden. Corbyn stellte jüngst auch seine neue Intiative „Peace and Justice“ vor, die im kommenden Jahr linke Bewegungen und Gewerkschaften bündeln soll.

Green New Deal als positives Vermächtnis

Spätestens mit dem Parteiaustritt von 5 Stadträtinnen und Stadträten aus der Labour-Partei Mitte November, den diese einerseits mit dem Umgang mit Jeremy Corbyn und andererseits mit Starmers Rechtsruck und seiner Abkehr von einem „Socialist Green New Deal“ begründeten, wurde deutlich, dass Starmer und seine Parteiführung ernsthafte Probleme bekommen, wenn sie aus taktischen Gründen von der politischen Zielrichtung der Umsetzung eines Green New Deal abrücken. Denn anders als in Bezug auf die Antisemitismus-Vorwürfe, stehen weite Teile des linken Flügels und der progressiven Kräfte in der Partei hinter dem Green New Deal. Das im Vereinigten Königreich und den USA vorangetriebene Konzept in Anlehnung an den historischen „New Deal“ der 1930iger Jahre in den USA, welches weltweit immer mehr als mögliche, schnell umsetzbare Antwort auf die klimabedingten und sozialen Krisen reüssiert, wird anders als viele andere Ansätze von Bewegungen und Gewerkschaften gleichermaßen getragen. Spätestens seit dem Parteitag 2019 in Brighton steht das Konzept auch symbolisch für einen möglichen Kompromiss zwischen Bewegungen, Partei und Gewerkschaften in Bezug auf die Klima-Frage.

Die Labour-Partei wäre schlecht beraten, wenn sievon dem  Konzept, welches sie  maßgeblich und  nur durch die gleichermaßen vorhandene Orientierung von Corbyns Führung an guten Kontakten zu Bewegungen und Gewerkschaften nach vorne gebracht hat, nun von ihm abrücken würde.

Ob sich das Momentum von 2017, als Labour bei den Wahlen unter Corbyn besonders unter den jungen Wählenden massiv Stimmen einsammelte und dadurch 33 zusätzliche Sitze im Parlament gewann, unter dem neuen Vorsitzenden wiederholen lässt, bleibt bisher offen.

Die globalen Kräfteverhältnisse verschieben sich jedoch gerade wieder. Mit Joe Biden an der Spitze der USA verliert der derzeitige Premier und Parteivorsitzende der Tories, Boris Johnson seinen besten Kumpel Trump. Biden wird eher mit der EU als mit Johnson kooperieren. Auch die Pandemie ist eher ein Glücksfall für Labour. Das katastrophale Agieren der Tories zu Beginn der Krise wird sie hoffentlich Wählerstimmen kosten. Sollte jetzt ein möglicher No Deal Brexit keine Bessserung bringen, sondern die großen sozialen Probleme und die massive soziale Ungleichheit im Land noch verstärken, öffnet das vielleicht dem ein oder anderen Wechselwählenden doch wieder die Augen und lässt ihn 2024 wieder die Stimme an der richtigen Stelle machen. Es bleibt spannend.

Johanna Bussemer ist Leiterin im Europa-Referat der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Eine Fassung des Beitrags erschien zunächst im neuen deutschland[1].

Links:

  1. https://www.neues-deutschland.de/