Impfen lohnt

Corona-Impfstoffe als Gesundheitsschutz und globales Geschäft

Lena Saniye Güngör

Der internationale Wettbewerb und die fundamentale Profitnorm machen keine Pause zur Pandemiebekämpfung. Auch nicht, wenn es um die Ressource Impfstoff geht. Die Linke braucht mit Blick auf Agieren und Zuständigkeiten übergeordneter politischer Ebenen und Gremien wie WHO und EU-Kommission daher eine klare Haltung, die Gesundheit als globales soziales Recht versteht. Dies ist umso mehr erforderlich, wenn verschiedene Formen vom bürgerlichen Impfnationalismus bis zum Narrativ einer rechten „Volksgesundheit“ diskursiv an Raum gewinnen. Dies deutet sich schon auf individualisierter Ebene an: Nicht nur beim Einkaufen schlägt das nationale Herz der Konservativen höher. Auch Impfen gilt fortan als patriotische Aufgabe. Währenddessen wird von ganz rechts außen die Pandemie in Gänze geleugnet und Impfverweigerung als angebliche und vermeintliche Impfpflicht skandalisiert. Eine linke Antwort muss hier ganz klar freiwillige Impfung als gelebte Solidarität verstehen. Die individualisierte Impfdebatte verschleiert jedoch den eigentlichen Verteilungskampf, der global wie lokal einer klaren Orientierung folgen sollte. Die Debatte, wer sich freiwillig impfen lassen will, ist in der Tat relevant: Allein wenn man den Rückgang der Impfbereitschaft um knapp zehn Prozentpunkte im letzten halben Jahr analysiert. Dennoch ist kurzfristig kritischer, wer sich eigentlich impfen lassen kann. Denn der Zugang zur Ressource Impfstoff ist auf mehreren Ebenen keine freie Entscheidung des Individuums.

Diskussionswürdige Prioritäten und übersehene Bedarfe

Anfang November wurde ein gemeinsames Positionspapier der Ständigen Impfkommission, des Deutschen Ethikrates und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina zu ethischen, rechtlichen und praktischen Rahmenbedingungen vorgelegt. Darin wird darauf verwiesen, dass erste Impfstoffe zum Schutz gegen COVID-19 bereits Anfang 2021 zugelassen werden könnten. Nach der EU Zulassung des Impfstoffs wird der Impfstart für den 27. Dezember 2020 geplant. Zunächst nur für bestimmte Gruppen, da nicht für alle Menschen Impfstoffdosen zur Verfügung stehen und die Verteilung zeit- und ressourcenintensiv ist. Entsprechend braucht es Priorisierungen. Die frühere Impfung von Bewohner*innen in Alten- und Pflegeheimen sowie medizinischem Personal trifft dabei auf hohe Bevölkerungszustimmung. Auch bei einer früheren Impfung für beispielsweise Kontaktpersonen von Schwangeren ist mit breiten Zustimmungswerten zu rechnen. Dann wird es allerdings schon diskussionswürdiger. Sollten etwa — dem Vorschlag von Bundestagspräsident Schäuble folgend — Mitglieder des deutschen Bundestages (und der Landtage) früher Impfdosen erhalten? Ist es gerechtfertigt, dass Polizist*innen vor Lehrer*innen und Apotheker*innen geimpft werden sollen? Während Kriterien wie Alter und Vorerkrankungen halbwegs objektivierbar sind, ist die Aufrechterhaltung staatlicher Funktionen Auslegungs- und Verhandlungssache. Schon die Unklarheit um den Begriff und die Kategorisierung von Berufsgruppen als „systemrelevant“ hat dies im Kontext der Notbetreuung von Kindern erwerbstätiger Eltern eindrücklich aufgezeigt. Die Prämissen und den Prozess einer Priorisierung sowie ihre reale Umsetzung aufmerksam und kritisch zu hinterfragen, ist damit eine zentrale Aufgabe der Linken, besonders hinsichtlich marginalisierter Gruppen, die durch ihre geringe Vertretungsmacht regelmäßig durchs Raster fallen.

Ethische Folgefragen

Die Debatte um eine Reihenfolge der Impfung wirft Folgefragen z.B. zur Ungleichbehandlung hinsichtlich von Immunstatus insbesondere von Geimpften und Ungeimpften hinsichtlich in Hinsicht auf Schutzmaßnahmen und Mobilität auf. So hat eine Fluggesellschaft in Aussicht gestellt, Passagiere zukünftig nur noch mit Nachweis einer Impfbescheinigung zu transportieren. Abgesehen davon, dass Flugreisen aus touristischen Gründen in einer Pandemie auch weiterhin völlig fern von jeglicher Solidarität sind, ist die direkt bekundete Sorge um eine indirekte Impfpflicht nicht sachgemäß. Ein indirekter Impfdruck zeigt sich im anders konstruierten Fall, dass eine Reise nicht-touristische Gründe hat und sich die Impfung zwischen den verschiedenen Priorisierungsgruppen einen längeren Zeitraum einnimmt als gewünscht. Situationen der Ungleichbehandlung werden also wahrscheinlicher. Auch diese tolerierte Ungleichbehandlung kann als gelebte Solidarität geduldet werden, wobei sich die Reichweite der Entscheidungsgewalt, die sich ebenso auf Bereiche des staatlichen Einflusses übertragen ließe, mit erheblichen Legitimationsanforderungen konfrontiert ist.

Der Staat hat schließlich und richtiger Weise eine Rolle als zentraler Akteur eingenommen, der die Verteilung des Impfstoffs über Kriterien reglementiert, statt der kapitalistischen Marktlogik freien Lauf zu lassen. Eine Einzelperson kann so viel Geld für eine Impfung bieten wie sie will. Wenn sie in der Priorisierungsliste weiter hinten steht, wird sie ihn deshalb nicht frühzeitiger bekommen (zumindest nicht legal). Das Ringen um eine politische Haltung hierzu, gerade auch hinsichtlich des demokratischen Entscheidens über ebendiese Kriterien, wird sich spätestens zum Sommer 2021 zeitlich beantwortet haben, denn für diesen Zeitpunkt wird mit einem Zugang von ca. 60 Prozent der deutschen Bevölkerung zum Impfstoff gerechnet.

Der Kampf gegen Corona ist international

Doch wie eingangs skizziert brauchen wir nicht nur auf nationaler oder europäischer Ebene, sondern auch auf globaler Ebene eine Verteilungsdebatte dazu, wer den Impfstoff zuerst erhält. Es ist schon jetzt deutlich absehbar, dass der globale Norden nicht nur mehr Dosen sondern auch frühere Lieferung erhält und damit grundlegende Marktlogiken des Kapitalismus greifen und der Impfstoff eben nicht als globales öffentliches Gut behandelt wird. Das ist verheerend, wenn bedacht wird, dass die Erforschung des Impfstoffs vor allem durch öffentliche Mittel realisiert wurde. Wenn wir wieder über räumliche Mobilität reden wollen, also über eine gesundheitliche Sicherheit, die nicht nur nationalstaatlich gedacht wird, dann müssen laut WHO bis zu 70 Prozent der Weltbevölkerung Zugang zur Impfung erhalten haben. Deutschlands Bevölkerung macht jedoch nur 7 Prozent der globalen Population aus und auch der europäische Anteil ist bei weitem nicht groß genug um eine globale Pandemie zu stoppen. Ebenfalls verheerend: Die fundamentale Profitnorm pausiert in der Pandemie nicht nur, sie wird auch insofern verstärkt, als dass den Pharmafirmen das kapitalistische Risiko genommen wurde. Es ist klar, dass jede einzelne Dosis Impfstoff gebraucht und damit verkauft werden wird. Entsprechende Gewinnmargen unter dem Label der Gesundheit sind damit staatlich vorfinanziert worden, selbst das Kostenrisiko möglicher Nebenwirkungen ist von den Schultern der Big Player der Pharmaindustrie genommen, weil auch dies von Staaten getragen wird. Die Kosten werden kollektiviert, die Gewinne individualisiert.

Hier sei ein Vergleich nahegelegt. Es gibt immer noch keine Malaria Impfung, weil sich die meisten Menschen, die diese existenziell benötigen, schlichtweg keine Impfung leisten können. Die Entwicklung und Verteilung des Corona Impfstoffes wiederum wurde verstaatlicht, weil sich ihr Impfstoff global sehr viel mehr lohnt.

Mit Leben und Tod des globalen Nordens verdient es sich demnach für die Pharmaindustrie am Besten. Einer Linken ist jedes Leben gleichermaßen wertvoll.