02.02.2021

„Volksaufstand und Katzenjammer“

Kolja Möller zieht in seinem Beitrag zur Geschichte des Populismus eine Linie vom spätmittelalterlichen Rom bis in die Gegenwart

Johanna Bussemer

Vom Aufstand zum Populismus

Populismus ist die politische Kommunikation des kleinen Aufstands, der Appel des Volkes gegen die Eliten und kein neues Phänomen, sondern immerwährender Bestandteil politischer Prozesse. Das sind die Kernthesen von Kolja Möller in „Volksaufstand und Katzenjammer – zur Geschichte des Populismus.“ Den Begriff des Katzenjammers, der nach dem gescheiterten Volksaufstand eintritt, leiht sich Möller bei Karl Marx, der dieses Phänomen in seiner Betrachtung auf die Ereignisse in Frankreich 1848 formuliert. Möller folgt Marx und Friedrich Engels auch in ihrer Fehleranalyse hinsichtlich den Bedingungen für erfolgreiche Aufstände, deren Potential sie interessiert. Es gäbe den voluntaristischen Fehler, der die politische Veränderung vor allem auf den Volkswillen zurückführt, den identitären Fehler, der sich über die historische Veränderbarkeit von Gesellschaften täusche und den autoritären Fehler, bei dem das Volk nur noch zur Unterstützung von Führungsfiguren herbeigerufen würde. Anhand dieser Annahmen zeichnet Möller eine Linie vom späten Mittelalter bis in die Gegenwart. Er erzählt vom zunächst erfolgreichen Volksaufstand gegen die herrschenden Adelsfamilien 1347 in Rom, in dessen Folge sich Cola di Rienzo zum Volkstribun stilisiert habe und schließlich nach nur einem guten halben Jahr Herrschaft weinend das Capitol wieder verließ. Er hatte es nicht geschafft die Ziele des Aufstandes in der Regierung umzusetzen. Es geht um Napoleon Bonaparte, der es zunächst erfolgreich eine Querfront aus Soldaten, Bauern und anderen, die der modernen Gesellschaft ihren Platz nicht fanden bildete und dessen Regieren dann in einem Projekt des autoritären Regierens mündet. Möller skizziert Beispiele populistischer Bewegungen in den USA im ausklingenden 19. Jahrhundert, wie z.B. den Agrarpopulismus bei dem die ländliche Bevölkerung gegen das Establishment und die Eliten aufbegehrte, die auf Kosten der Produzentenmoral der Bauern lebten. Hier trafen, so Möller, religiöse, konservative, liberale und sozialistische Impulse aufeinander.

Rechter und linker Populismus

Mit einem Hechtsprung folgen wir Möller nach Lateinamerika in die 1990iger und 2000er Jahre, in denen sich nach dem argentinischen Peronismus, in dem der Volkswille innerhalb des neoliberalen Projektes umgesetzt wird, mit Chavez, Morales und Correa Projekte links-populistischen Regierens ausprobiert werden. Und hier beginnt Möllers eigentliches Experiment, welches bereits eingangs mit der Bezugnahme auf Marx und Engels Suche nach den Bedingungen für einen erfolgreichen Aufstand angelegt wurde: Nach einer erhellenden Analyse aktueller populistischer Projekte wie dem der AfD, Trumps oder Marine Le Pens diskutiert Möller, ob diesen ein linker Populismus entgegengesetzt werden könne. Um dem Vorwurf einer Gleichsetzung zu entgehen, seziert Möller zunächst die aktuellen Rechtspopulismen und grenzt sie vom Faschismus ab. Rechter Populismus verschiebe Politik wieder stärker in Richtung Identität, Kollektiv oder Tradition, beziehe sich aber auf die Volkssouveränität und Verfassung. Im Gegensatz zum Faschismus würde Gewalt keine schöpferische Kraft zugeschrieben. Trotzdem berge der Rechtspopulismus Gefahr, wenn, wie zum Beispiel aktuell in den Visegrad-Staaten Verfassungsänderungen initiiert werden, womit die Möglichkeit zur autoritären Transformation gegeben ist. Jedoch erst der starke Bezug auf die Verfassung und die Abgrenzung zum Faschismus machten den Populismus, den sogenannten kleinen Aufstand bis ins linke und liberale Milieu anschlussfähig und damit so erfolgreich.

Entwicklung eines progressiven Populismus

Am Beispiel der Proteste der französischen Gelbwesten argumentiert Möller, dass der kleine Aufstand, das populistische Moment, weder zu verdrängen noch aus machtpolitischen Auseinandersetzungen wegzudenken sei. In Anlehnung an Chantal Mouffe und Ernesto Laclau könne der kleine Aufstand sogar als Lebensexilier der Demokratie gesehen werden. Es müssten aber eben die beschriebenen Fehler vermieden und an die Stelle des vermeintlich homogenen Volkes müsse ein heterogene, Fehler und Prozesse reflektierender Souverän treten. Ein „Volk der Leute“, welches in der Unübersichtlichkeit der Repräsentationskrise der Demokratie eines neues Recht einfordere, das der neoliberalen Globalisierung gegenüberstünde. Europäische Parteien wie Podemos, Syriza oder die Labour Partei Jeremy Corbyns haben diesen Ansatz teilweise erfolgreich genutzt. In Anschluss an den britischen Journalisten Paul Mason schlägt Möller einen vernetzten Aktivismus vor, der auf sich auch pragmatisch entlang von Parteien organisiert.

Möller gelingt mit seinem Buch eine spannende Lektüre, in der die Grundpfeiler des Populismus, seiner Geschichte, Gefahren und seines möglichen Potentials auch für linke, verbindende, politische Projekte im Kontext einer politischen Theorie des Rechtes sowie aktueller politischer Entwicklungen gut und für alle lesbar beschrieben werden. An mancher Stelle wünschte man sich ein paar Seiten mehr, weil einen der besagte Hechtsprung über die Geschichte des deutschen Nationalsozialismus und seiner vielen Wege der politischen Kommunikation und Propaganda, die sich natürlich zahlreicher rechtspopulistischer Momente bediente, dann doch einen Moment ratlos zurücklässt.

Johanna Bussemer ist Leiterin des Europa-Referates der Rosa-Luxemburg-Stiftung