12.03.2021

In der Pandemie allein zu Haus

Einsamkeit als gesellschaftspolitisches Problem nicht nur in Coronazeiten

Lena Saniye Güngör

In Pandemiezeiten ist jeder physische Kontakt potentiell gefährdend. Soziale Mobilität muss auf ein Minimum beschränkt werden, um sich und andere zu schützen. Damit ist der Rückbezug auf den eigenen Haushalt eine der zentralen Einschränkungen im privaten Bereich. Für 42% der in Deutschland lebenden Menschen bedeutet das: Mit sich selbst sein. Schließlich sind Einpersonenhaushalte die häufigste Haushaltsform hierzulande. In Zeiten ohne Corona, in denen man durch Beziehung, Freunde, Arbeit, Hobbys, Kultur etc mehr als genug Möglichkeiten hat, mit anderen Menschen in analogem Kontakt zu stehen, korreliert das nicht unbedingt mit Einsamkeit.

Aber seit einem Jahr ist die Ausgangslage anders. Und ja, dann gibt es mehr Tage als einem lieb ist, an denen die einzige Person, die man analog sieht, die Paketbotin oder der Supermarktverkäufer ist. Oder Tage, an denen zwar kein Home-Office und damit nur digitale Kommunikation belastend sind, sondern die einzigen nicht-virtuellen Kontakte beruflich sind. Heißt konkret: Entweder ich sitze den ganzen Tag allein vor meinem Laptop- in der Hoffnung mir zwischen zwei Videokonferenzen Essen machen oder die Wäsche anstellen zu können, denn darum kümmert sich eben auch niemand sonst. Oder aber ich bin in einem Plenarsaal mit über hundert Personen, habe also eine Vielzahl von Kontakten, die aber nicht auf einen persönlichen Austausch ausgelegt sind. Beides kann belasten. Darüber zu sprechen ist gar nicht so einfach, wenn Andere im Gespräch berichten wie stressig für sie familiäre Doppel- und Dreifachbelastungen sind und die Annahme im Raum steht, dass man es sich als alleinlebende Person einfach Abends mit einem Glas Wein auf dem Sofa gemütlich mache und die Pandemie entspannt an sich vorbeiziehen ließe.

Seit einem Jahr hat sich die Ausgangslage von Ein-Personen-Haushalten im Lockdown nicht verbessert, sondern im Gegenteil wurde durch die Regelung, dass ein Haushalt nur eine haushaltsfremde Person besuchen darf, sogar verschärft. Denn die alleinlebende Person ist immer die eine haushaltsfremde Person. Und wenn die neuste Lockerung des Bund-Länder-Beschlusses eine „Erweiterung“ auf private Treffen für zwei Haushalte unter fünf Personen (Kinder unter 14 Jahren ausgenommen) lautet, dann bedeutet das für alleinlebende Menschen: Gar nichts. Weiterhin nur ein anderer Haushalt ist möglich. Eine gewisse Entlastung hat sich für alleinlebende, aber nicht alleinstehende Personen ergeben, da Paare mit zwei Haushalten zukünftig als ein Hausstand betrachtet werden.

Hinsichtlich der statistischen Relevanz dieser großen und in sich entsprechend heterogenen Bevölkerungsgruppe ist dies verwunderlich. Warum sind auch politische Forderungen nach einer angemessenen politischen Berücksichtigung so selten? In einem kapitalistischen Gesellschaftssystem, das die romantische Liebe und Familie idealisiert hat, was sich - Stichwort unbezahlte Care-Arbeit- durchaus lohnt, ist das Alleinsein mit Scham behaftet. Irgendwas muss falsch sein, nicht geklappt haben, erklärt werden. Ganz so wie dies auch bei anderen „Abweichungen“ von der Norm wie kinderlosen Paaren und Alleinerziehenden ist.

Wenn die Post der einzige echte soziale Kontakt am Tag ist, besteht die Gefahr der Vereinsamung

In einigen Ländern wird Einsamkeit mittlerweile als gesellschaftliches Phänomen mit politischem Handlungsbedarf anerkannt. Nicht zuletzt weil die neoliberalen Sparpolitiken und die Privatisierung öffentlichen Raums das Problem in den letzten Jahren erheblich verschärft haben. So haben beispielsweise Japan und Großbritannien eigene Ministerien für Einsamkeit eingerichtet, das Thema also auch strukturell untersetzt. Für Letzteres ist derzeit Diana Barran zuständig. Barran hat als Reaktion auf die Pandemie zusätzliche fünf Millionen Pfund für Unterstützungsprogramme bereitgestellt, welche sogar auf ärztliches Rezept verschrieben werden (sogenanntes „Social Prescribing“). Dazu wurden entsprechende Kampagnen in den sozialen Medien sowie dem öffentlichen Raum unter dem Slogan „Let´s talk about loneliness“ gestaltet. Die Regierung versucht außerdem, Menschen durch die Gründung von Interessengemeinschaften auf lokaler Ebene zusammenzubringen.

Und in Deutschland? „Angesichts einer zunehmend individualisierten, mobilen und digitalen Gesellschaft werden wir Strategien und Konzepte entwickeln, die Einsamkeit in allen Altersgruppen vorbeugen und Vereinsamung bekämpfen“, verspricht der Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Was genau das in der Praxis bedeutet bleibt unklar. In der Antwort der Regierung auf eine FDP-Anfrage zu Einsamkeit wird neben Fachkongressen und Monitorings lediglich die Förderung von Mehrgenerationenhäusern benannt. Damit ist das politische Agieren nicht nur in der Pandemie, sondern auch allgemein plan- und kreativlos. Und potentiell gefährdend. Denn Einsamkeit korreliert mit chronischem Stress, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, psychischen Erkrankungen, früher Pflegebedürftigkeit, Suizid und frühem Tod. Dieser hat im Japanischen mittlerweile ein eigenes Wort: Kodokushi („einsames Sterben“).

In der medialen Darstellung schaffen die folgenden Tipps Abhilfe von diesen durchaus schwerwiegenden Folgen: Zu sich selbst finden (heißt so viel wie Yoga und Tagebuch), Emotionskontrolle und Online-Dating. Mal abgesehen von der mäßigen Spontanität eines digitalen Flirts spiegeln diese Hinweise deutlich, wie wenig Einsamkeit als politisches Thema bisher in Deutschland begriffen wurden.