04.11.2008

Teamwork und Selbstkontrolle lösten die Überwachung durch die Vorgesetzten ab

Rezension: Arndt Neumann, Kleine geile Firmen (Hamburg 2008)

Bernd Hüttner
Bernd Hüttner, Rosa-Luxemburg-Stiftung

Der Hamburger Historiker und Euromayday-Aktivist Arndt Neumann untersucht in seinem Buch, inwieweit die historische Alternativbewegung im westdeutschen „Modell Deutschland“ der 1970er und 1980er Jahre ein Wegbereiter des Neoliberalismus war. Viele alternative Projekte sehen damals im kollektiven und selbstbestimmten Arbeiten einen Gegenentwurf zur Unterordnung im Büro und am Fließband und gehen voller Elan an die Gründung von Kinderläden, Druckereien, Fahrradwerkstätten und so weiter. Schon bald stoßen sie allerdings an die Grenzen eines auf Konkurrenz basierenden Kapitalismus. Die chronisch unterkapitalisierten Projekte müssen ihre Wettbewerbsnachteile durch vermehrtes „unternehmerisches“ Denken und durch Mehrarbeit oder Spendensammeln ausgleichen.

Neumann untersucht drei größere Projekte bzw. Ereignisse genauer: Die Gründung der Tageszeitung taz, die im Nachhinein als erstes Projekt angesehen werden kann, das konzeptionell und schon bei seiner Gründung post-alternativ war; dann den tunix-Kongreß 1978, den 20.000 Personen besuchen und der eine gewisse Repolitisierung der Alternativszene symobilisiert und schließlich die Gründung des Netzwerk Selbsthilfe.
Konflikte, die sich bis heute durch die Linke ziehen, und wie sie sich aktuell wieder in der Debatte um das Grundeinkommen ausdrücken, haben ihre Wurzeln in jener Periode: Sollte die post-sozialistische „Politik der ersten Person“ vor allem der individuellen Emanzipation dienen, oder war sie ein kollektiver, ja antikapitalistischer Ansatz? Waren die damals ja noch weit stärker fließenden Sozialgelder die Basis für die Mangelökonomie der Projekte, oder sollten sie nicht eher – im Sinne der „Aneignung“ – zur Finanzierung des politischen Kampfes dienen? Ist „Arbeit“ gestohlene Lebenszeit oder ist Lohnarbeit der Ort des Kampfes?

Das Bedürfnis nach Autonomie verbindet sich dann bald mit dem unternehmerischen Denken und dem Zwang zu mehr Effizienz, sind doch die Angehörigen der Alternativprojekte Arbeiter_in und Unternehmer_in zugleich. Neumann schildert auch den Ideentransfer und den Kompetenzaustausch in die Mehrheitsgesellschaft, der zum einen über prominente Einzelpersonen, wie etwa Matthias Horx, aber auch generell vonstatten geht, denn die „Gegenseite“ schläft nicht. Die Ideen und das Arbeitsverständnis der alternativen Bewegung werden im Laufe der Zeit zu Bestandteilen der neuen postfordistischen Arbeitsverhältnisse und gehen dann in den 1990ern im Feld der „neuen Selbständigkeit“ auf: Dynamik, Netzwerke, Kreativität oder flache Hierarchien sind heute längst nicht mehr kritisch oder gar links konnotiert.

Neumanns Text bleibt gelegentlich oberflächlich, was aber vor allem der Kürze seines Textes geschuldet ist. Mit seinem Buch hat er einen lesenswerten und längst überfälligen Beitrag zur historischen Reflexion über alternative Betriebe und das Verhältnis von Selbstbestimmung und Ausbeutung vorgelegt. Auch wenn sich keine gerade Linie von den Latzhosen und Wollsocken zu den zeitgenössischen urbanen Pennern, die ohne ihre Laptops nicht leben können und sie doch gleichzeitig hassen, ziehen lässt – Neumann bietet seinen Leser_innen einen wichtigen Beitrag zur Debatte um Neoliberalismus und seine vielfältige Hegemonie.

Arndt Neumann: Kleine geile Firmen. Alternativprojekte zwischen Revolte und Management; Edition Nautilus Hamburg 2008, 96 Seiten. Siehe auch die Verlagsankündigung[1].

“In neoliberalen Managementkonzepten steht Autonomie für eine möglichst effektive Arbeitsorganisation, in der flache Hierarchien, Teamwork und Selbstkontrolle die Überwachung durch die Vorgesetzten abgelöst haben.”

Zum Autor:

Bernd Hüttner, Jahrgang 1966, Politikwissenschaftler, arbeitet als Regionalmitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Bremen. Koordinator des bundesweiten Gesprächskreises Geschichte der RLS und Mitglied der Historischen Kommission der Partei DIE LINKE. Weiteres siehe hier auf der Website der Bremer Landesstiftung der RLS[2].

Links:

  1. http://www.edition-nautilus.de/proc.php?buecher/neumann/pol_firmen.html
  2. http://www.rosa-luxemburg.com/?page_id=12#huettner