18.11.2008

Global Labor History reloaded

Rezension: Marcel van der Linden, Workers of the World (Leiden 2008)

Bernd Hüttner
Bernd Hüttner, Rosa-Luxemburg-Stiftung

Marcel van der Linden[1] ist Forschungsdirektor am renommierten Amsterdamer Internationalen Institut für Sozialgeschichte[2] und einer der aktivsten Organisatoren und Forscher in der geschrumpfen community der labour historians, unter anderem in der ITH[3]. Nun hat er – nach dem Titel Transnational Labour History im Jahr 2003 – erneut eine Monographie vorgelegt, unter dem pathetischen und an die amerikanischen Wobblies der IWW[4] angelehnten Titel Workers of the World. Ihn ihm sind neue, wie auch anderweitig bereits in ähnlicher Form publizierte Texte zusammengestellt.

Van der Linden geht es in seinen Aktivitäten um eine Erneuerung und Erweiterung der Arbeitergeschichtsschreibung. Gegenstand der „alten“, kommunistischen wie auch sozialdemokratischen Arbeitergeschichte war der doppelt freie, männliche, weiße und sesshafte Arbeiter. Der geografische Schwerpunkt lag im globalen, industrialisierten Norden einschließlich der Länder des realexistierenden Sozialismus. Arbeiterverhalten und -protest wurde vor allen in seiner organisierten und gut sichtbaren Form wahrgenommen, sprich vermittelt über Partei und Gewerkschaft, und ausgedrückt vor allem in und durch Streiks und Wahlen. Die untersuchten Sektoren waren in der Regel Industrie, Bergbau und Transportwesen. Diese Arbeitergeschichte war von einem „methodologischen Nationalismus“ gekennzeichnet, der eng in nationalstaatlichen Bahnen arbeitet und sie ist und war nicht zuletzt in ihrem linearen Entwicklungsdenken mit „dem Westen“ als Modell und Ziel eurozentristisch.

Seit ungefähr 30 Jahren gibt es nun schon im globalen Süden, etwa in Indien, Südafrika oder Indonesien Initiativen, auch dort die Geschichte der arbeitenden Menschen zu bewahren und zu schreiben. Initiativen, die vom IISG und vielen anderen gefördert und kommuniziert werden. Es ist augenscheinlich, dass diese Global Labor History anders arbeiten muss, als die alte Arbeitergeschichte. Jene überwindet den methodologischen Nationalismus, indem sie Gesellschaften als räumliche und soziale Netzwerke neu denkt, sie kritisiert den Eurozentrismus und nicht zuletzt hat ein sie völlig anderes Verständnis von Arbeit. Sie denkt „Arbeit“ als freie und als unfreie Arbeit, als bezahlte und als unbezahlte. Dadurch kommen Ausbeutungsverhältnisse wie etwa Migration und Sklaverei stärker auf die Agenda, ebenso wie die Bedeutung des Haushaltes und der geschlechtlichen Arbeitsteilung für die kapitalistische Ökonomie wie auch für das Verhalten und die Möglichkeiten der Arbeiter_innen.

Van der Linden untersucht nach seiner, der thematischen Einordnung und methodischen Selbstverortung dienenden Einleitung, Produktions- und Konsumgenossenschaften ebenso wie Formen von stärker konflikthaftem Widerstand, wie etwa Streiks, Gewerkschaften und Internationalismus. Im letzten Drittel belegt er, warum die Wallersteinsche Weltsystemtheorie und der ökofeministische Subsistenzansatz (von Maria Mies und anderen) für die Weiterentwicklung der Global Labor History wichtige Beiträge leisten. Van der Linden nähert sich diesen von ihm herangezogenen Theorien aber nicht unkritisch. So sei z.B. der Weltsystemansatz deterministisch, da er zu starken Wert auf die Bedeutung der internationalen Arbeitsteilung lege – welche dazu hin immer als mit einem Zentrum ausgestattet gedacht werde. Die Subsistenztheorie lenke den Fokus auf Haushalt und Familie, ziehe aber zu wenig in Betracht, dass eine scharfe Abgrenzung zwischen „Produktion“ und „Reproduktion“, erst recht zu verschiedenen historischen Zeitpunkten, sehr schwierig sei.

Den Abschluss dieses Werkes, das mit aller Wahrscheinlichkeit nie ins Deutsche übersetzt werden wird, bildet eine 75 Seiten umfassende Bibliographie. Das Buch ist angesichts seines Preises klassische Bibliotheksware, es wäre zu wünschen, dass es irgendwann einmal im Sinne von open access kostenfrei im Netz zugänglich wäre, dies würde seinen Gebrauchswert für Nutzer_innen mit geringem Einkommen bedeutend erhöhen.

Anmerkungen

Marcel van der Linden: Workers of the World. Essays Towards a Global Labor History (Studies in Global Social History Vol 1) Brill Publishers, Leiden 2008, 385 Seiten.
Verlagsinfo unter www.brill.nl[5]

Das Buch Transnational Labour History. Explorations, Aldershot 2003, von Marcel van der Linden ist am 23.10. 2004 bei H-Soz-u-Kult[6] besprochen worden.

Texte des IISG zum Thema v.a. unter www.iisg.nl[7]
Broschüre des IISG von 2005 zu seiner Arbeit im Feld der Global Labour History siehe unter www.iisg.nl[8] (pdf)

Zum Autor:

Bernd Hüttner, Jahrgang 1966, Politikwissenschaftler, arbeitet als Regionalmitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Bremen. Koordinator des bundesweiten Gesprächskreises Geschichte der RLS und Mitglied der Historischen Kommission der Partei DIE LINKE. Weiteres siehe hier auf der Website der Bremer Landesstiftung der RLS[9].

Links:

  1. http://www.iisg.nl/staff/mvl.php
  2. http://www.iisg.nl/
  3. http://www.ith.or.at/
  4. http://www.iww.org/
  5. http://www.brill.nl/default.aspx?partid=210&pid=28984
  6. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-4-056
  7. http://www.iisg.nl/publications/digipub.php#var
  8. http://www.iisg.nl/publications/globallabourhistory.pdf
  9. http://www.rosa-luxemburg.com/?page_id=12#huettner