ablösung der kalten dekade

Über die Hoffnung auf ein Ende des neoliberalen Winters

Yiannis Bournous

Es ist nicht einfach über Ereignisse zu spekulieren, selbst wenn man versucht hat, seine biologische Abstinenz mit inhaltlicher Beschäftigung zu überdecken. Ich will also zur Situation heute kommen und zu den gegenwärtigen Botschaften eines „Prager Frühlings“, die in einer langen und turbulenten Periode, dem neoliberalen Winter, entwickelt wurden. Nach der langen, kalten Dekade der neunziger Jahre zeigen die neuen Forderungen, neue Bewegungen und Methoden, neue Konvergenzen und politische Praktiken in den letzten Jahren, dass es Zeichen für einen kommenden Frühling in vielen Ländern der Europäischen Union gibt.
In den vergangenen Jahren haben sich die sozialen Bewegungen in Europa verjüngt und an Reife gewonnen (insbesondere mit ihrem „altermondialistischen“ Element. Auch deshalb steht der Neoliberalismus heute vor großen Problemen: Es ist ein unflexibles, erdrückendes System, das heute keinen „großen Pakt“ der Kompromisse anbieten kann, um die Ansprüche und Widerstände der europäischen Bürgerinnen und Bürger zu absorbieren. Das keynesianische Rezept der siebziger Jahre steht nicht mehr zur Debatte. Dies führt zu wachsender sozialer Unduldsamkeit, die den gemeinsamen Boden für das Handeln der gesellschaftlichen und politischen Linken, wenigstens im europäischen Maßstab, bereitet.
Der entscheidende Punkt für uns muss sein, auf der stetigen Erneuerung unserer politischer Praktiken zu bestehen, um neue Räume zu öffnen, in denen sich die wachsenden Gruppen wieder finden, deren Würde und Grundrechte angegriffen werden. Ein gutes Beispiel für eine solche soziale Gruppe ist das neue „wissenschaftliche Prekariat“, das gut ausgebildet ist und dem Arbeitsmarkt als gehorsame und flexible Arbeitskräfte in prekärer Beschäftigung zur Verfügung steht. Tausende von Master-Absolventinnen und Absolventen sowie Doktorandinnen und Doktoranden enden jährlich in der Praktika-Schleife und sind nicht in der Lage ein unabhängiges und emanzipiertes Leben jenseits des Kinderzimmers bei ihren Eltern zu führen.
Gerade aufgrund ihrer guten Ausbildung hat das „wissenschaftliche Proletariat“ hohe Ansprüche und bleibt – trotz der generellen Enttäuschung – ein „dynamisches Publikum“ in unseren Gesellschaften. Deshalb können sie für das System gefährlich werden und deshalb richtet sich ein Großteil der neoliberalen Offensive an die Jugend. Die Herrschenden unterschätzen eben die Kraft der Unwägbarkeit – genauso wie am Platz des himmlischen Friedens, an der Sorbonne oder in Prag.