die welt nicht ihrem lauf überlassen

Robert Misik interviewt Rossana Rossanda

Robert Misik: Sie haben ein sehr sentimentales Buch über ihre Zeit als Kommunistin geschrieben.
Rossana Rossanda: Ich war in der Kommunistischen Partei Italiens viele, viele Jahre, von 1943 bis 1969. Dann bin ich ausgeschlossen worden. Sie hatten damit Recht. Schließlich war ich mit ihrer Politik nicht einverstanden. Die italienische Kommunistische Partei hatte aufgehört, Italien grundlegend verändern zu wollen. 1945 waren wir in der Lage die Demokratie überhaupt wieder aufbauen zu müssen. Erst gab es die schrecklichen Jahre des Faschismus, danach die Zweiteilung der Welt. Deswegen war man vorsichtig. Aber in den sechziger Jahren habe ich gemeint, man dürfte auch etwas mutiger sein.

Robert Misik: Für Politik haben Sie sich erst als Studentin interessiert?
Rossana Rossanda: Das war ja nicht meine Entscheidung, die Politik hat sich sozusagen für mich interessiert. Ich war 15 Jahre alt, als 1939 der Krieg ausgebrochen ist. Wir haben den Faschismus verachtet, meine Familie und ich. Aber wir dachten, wir können uns heraus halten. Man musste aber Position beziehen, vor allem nach Beginn der deutschen Besatzung. Ich habe dann im Widerstand ein paar unwesentliche Hilfsleistungen erledigt.

Robert Misik: Die dunkle Seite des Kommunismus haben Sie damals ziemlich ausgeblendet. Der Aufstand 1953 ist Ihnen gar nicht aufgefallen, Ungarn 1956 hat Sie nicht sonderlich interessiert. Sie beschreiben das sehr selbstkritisch. Fühlen Sie sich schuldig?
Rossana Rossanda: Ich spreche darüber sehr offen in meinem Buch. Aber wissen Sie, das ändert nichts an einem: Ich würde denselben Weg wieder gehen. Wir kamen aus dem Faschismus, der wäre nicht untergegangen ohne die Sowjetunion, und wir hatten eine neue Welt zu entdecken. Der Antifaschismus hat uns zusammen geschweißt.
Wissen Sie, wie unser Verhältnis zum Ostblock war? Wir haben permanent Angst gehabt, dass wieder etwas Schlimmes passiert. Wir wussten, wir können dafür nichts, aber man wird es uns um die Ohren schlagen. Vor jeder Wahl dachten wir: Hoffentlich gibt es nicht noch ein Desaster! Mein Lebenspartner, der aus Polen stammt, sagte immer: Wie konntest Du dich nicht dafür interessieren? Aber ich habe mich nur für das interessiert, womit ich unmittelbar zu tun hatte.

Robert Misik: Die italienische Kommunistische Partei hatte ja auch eine große Anziehungskraft auf Intellektuelle. Ein Denker wie Antonio Gramsci hat sie gegründet, Leute wie der Schriftsteller und Regisseur Pier Paolo Pasolini, der Verleger Feltrinelli und der Autor Italo Calvino gehörten dazu. Was machte die Partei so anziehend für freie Geister?
Rossana Rossanda: Ich war ja auch so eine Intellektuelle! Die KPI war keine geschlossene leninistische Partei wie die in Frankreich. Aber Italien hat sich auch modernisiert, es gab eine rasante Entwicklung. Mir schien alles möglich.

Robert Misik: Sie waren ja in der Parteiführung für die Kultur zuständig. Sie hatten mit den Großen zu tun, nicht nur in Italien: Sie kannten Bertolt Brecht und Jean-Paul Sartre.
Rossana Rossanda: Heute war ich am Dorotheenstädtischen Friedhof. Als ich das erste Mal da war, lagen dort nur Leute, die ich aus Büchern kannte: Hegel etwa, oder Fichte. Heute ist er gefüllt mit Freunden von mir. Bertolt Brecht liegt hier, den hab ich kennen gelernt, als Giorgio Strehler seine Dreigroschenoper inszenierte. Ich wusste übrigens gar nicht, dass Herbert Marcuse, der große linke Soziologe, auch hier begraben ist.

Robert Misik: Ihnen schien alles möglich, die Parteiführung war dagegen übervorsichtig. Für die waren die Studentenbewegung und spontane Streiks Unruhestifter. Warum haben Sie sich auf deren Seite geschlagen?
Rossana Rossanda: 1968 war eine große Chance für die Linke im Westen. Aber sie hat sie nicht genutzt. Deshalb steht sie heute da, wo sie ist. Statt sich auf die Seite der Bewegung zu schlagen, hat die KP beschlossen, sich gegen uns zu wenden, gegen die Gruppe, die „il manifesto“ gegründet hat. So sorgte man dafür, dass sich die neuen Bewegungen der Unzufriedenen isoliert haben.

Robert Misik: In Ihrem Buch verlieren Sie darüber relativ wenige Worte. Kommt da noch ein Buch?
Rossana Rossanda: Ich werde versuchen, noch über die Jahre nach 1968 zu schreiben. Wissen Sie, ich bin Kommunistin geblieben. Ich habe meine Eltern sehr geliebt, aber ich wollte nie wie sie sein. Wir dürfen die Welt nicht ihrem Lauf überlassen.

Robert Misik: Sie sind auch mit mehr als achtzig Jahren sehr aktiv? Noch voll dabei bei „il manifesto“?
Rossana Rossanda: Ich lass die nicht in Ruhe. Jeden Tag rufe ich an. Ich lebe jetzt in Paris. Aber mit Telefon und Internet ist die räumliche Distanz ja kein Problem.

Robert Misik: Was wäre denn ihr Ratschlag für die heutigen Linken in Europa?
Rossana Rossanda: Linke in Europa, gibt’s so was? Jedenfalls gibt es keine Kräfte, die wirklich etwas bewegen können. Wenn in Frankreich die Eisenbahner streiken, schicken die italienischen Bahnarbeiter nicht einmal ein Telegramm. Als ich Politik betrieb, da saß ich bei den Leuten, und ich hab auch gesehen, wenn ich sie langweilte. Heute spricht man im Fernsehen zu den Wählern, da kriegt man gar nichts mehr mit.

Robert Misik: Jetzt regieren in Italien die Ex-Kommunisten. Romano Prodi ist Regierungschef. Sehr unzufrieden damit?
Rossana Rossanda: Zuerst hat sich die Kommunistische Partei zur „Partei der Demokratischen Linken“ gewandelt, und gerade eben zur „Demokratischen Partei“. Jetzt haben sie zwar ein paar Millionen Mitglieder, aber sie wissen nicht, was sie damit sollen. Von den Kommunisten ist nichts übrig geblieben. Bin ich froh, dass sie mich ausgeschlossen haben! Die neue Partei ist ja nicht einmal so etwas wie eine europäische Sozialdemokratie, die wollen alles so machen wie Clinton oder Blair.

Die ungekürzte Fassung des Interviews erschien in profil 3. Dezember 2007