Moderne Proletarier?

Zur Studie „Die neuen ArbeitnehmerInnen“

Stefan Janson

Methodisch baut das Buch "Die neuen Arbeitnehmer – Zunehmende Kompetenzen, wachsende Unsicherheit" auf einer älteren Untersuchung auf. Schon in der 2001 erschienen Studie "Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel" war eine der Kernthesen Michael Vesters und Peter von Oertzens, dass "die neuen sozialen Milieus der Ausdruck nicht einer Auflösung, sondern einer Modernisierung der Arbeitnehmermilieus sind". In Anlehnung an den Ansatz von Pierre Bourdieu gingen sie sowohl vom Fortbestand sozialer Klassen als auch von deren Ausdifferenzierung in Milieus aus.
In der nun vorliegenden Studie werden modernisierte Arbeitnehmermilieus charakterisiert und die Befunde daraufhin befragt, wie sich Anknüpfungspunkte für die Ansprache und Organisation dieser Gruppen durch Gewerkschaften finden lassen. Im Wesentlichen kommen die Autoren zu folgenden Schlüssen: Es hat keine Abnahme, sondern ein Gestaltwandel des Interessenbewusstseins in der Arbeitnehmerschaft stattgefunden. Der Strukturwandel in der Arbeitswelt führt zu einer Differenzierung der qualifizierten Arbeitnehmermilieus. Diese verlieren ihre gesicherten Stellungen in den Unternehmen: Eine Entwicklung, die Spielräume für den Kampf gegen die Ab- und Entwertung ihrer Arbeitskraft eröffnet. An Bedeutung gewinnt eine neue Form des industriellen Konflikts. Neoliberale Strategien einer "Verbetriebswirtschaftlichung" werden als Angriffe auf das Fachkönnen, das Bedürfnis nach vermehrter Selbstbestimmung und "vernetzter Kooperation" verstanden.
In politischer Absicht wird aktuelles Material für die Untersuchung der für Sozialistinnen und Sozialisten entscheidenden Frage aufbereitet: Welche Verhaltensmuster in welchen Milieus der Arbeitnehmerschaft machen von den gesellschaftlichen Linken ein Umlenken ihrer Arbeit im Sinne einer emanzipativen Radikalisierung erforderlich? Die Ergebnisse der Untersuchung fordern zuallererst die Gewerkschaften in ihrem eklatanten Demokratiedefizit, mit ihren wenig attraktiven Repräsentationsstrukturen heraus. Gleiches gilt aber nicht minder für größere Fraktionen der sich selbst als "Neue Linke" stilisierenden Partei „Die Linke“ die neuen ArbeitnehmerInnenmilieus wird man mit Autoritarismus und einer Stellvertreterpolitik des „kleineren Übels" nicht überzeugen, schon gar nicht gewinnen können. Das ist vom Standpunkt der "allgemeinen proletarischen Emanzipation" auch gut so. Staatsfixiertheit, die Überreste einer doktrinären Welterklärung aus marxistisch-leninistischen Theorieversatzstücken, die fortdauernde Stellvertreterattitüde von objektiv funktionslos gewordenen Gewerkschaftsfunktionärsmilieus - dies wird eine wirkliche Neue Linke nicht voranbringen. All das wird die dringend für ein demokratisch- sozialistisches Projekt gebrauchten Arbeiterinnen und Arbeiter und Angestellten nicht anlocken.
Es ist die Aufgabe der libertär orientierten Sozialistinnen und Sozialisten, in ihren Arbeitszusammenhängen den Boden für eine Erneuerung linker Politik zu bereiten. Dafür ist die Partei "Die Linke" nur ein Platzhalter. Dieser Aufbruch wird nur gelingen, wenn die neuen Arbeitnehmermilieus auf eine emanzipatorische Bewegung treffen, die selbst demokratisch, theoretisch neugierig und offen, auf Selbsttätigkeit und -organisation setzt. Sie muss in so weit ganz die Einsicht verkörpern, dass unser persönliches und sozial vernetztes Wohlergehen voraussetzt, dass es auch allen anderen Menschen gut geht. Das Buch über die neuen Arbeitnehmermilieus stellt hierfür gut aufbereitetes Material zur Verfügung. Es ist nicht nur Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, sondern auch sozialistischen Linken zu empfehlen.

Michael Vester/Christel Teiwes-Kügler/Andrea Lange-Vester: Die neuen Arbeitnehmer. Zunehmende Kompetenzen - wachsende Unsicherheit, Vorwort von Berthold Huber, VSA-Verlag Hamburg 2007, 254 Seiten.