Editorial

Liebe LeserInnen,

am Anfang schien alles einfach. „Die Kommunisten, weit entfernt, unter den gegenwärtigen
Verhältnissen mit den Demokraten nutzlose Streitigkeiten anzufangen, treten
vielmehr für den Augenblick in allen praktischen Parteifragen selbst als Demokraten
auf. Die Demokratie hat in allen zivilisierten Ländern die politische Herrschaft des Proletariats zur notwendigen Folge, und die politische Herrschaft des Proletariats ist die erste Voraussetzung aller kommunistischen Maßregeln. Solange die Demokratie noch nicht erkämpft ist, solange kämpfen Kommunisten und Demokraten also zusammen, solange sind die Interessen der Demokraten zugleich die der Kommunisten“, schrieb Friedrich Engels 1847. Republik gegen Monarchie: Ha! Sollten sie zittern, die geschminkten Despoten, vor dem demokratisch wählenden Plebs, der permanenten Revolution des Stimmzettels, der Dynamik des sich emanzipierenden Mobs.

Die Sache mit der Demokratie wurde dann aber komplizierter. Nachdem die Untertanen sich das Wahlrecht, später das für Sozialistenparteigänger, am Ende sogar das für Frauen, erkämpften, verzichteten der neugeborene Bürger und die neugeborene Bürgerin auf Stimmzettelrevoluzzerei. Und Engels Postulat blamierte sich in der Praxis, denn die Kommunisten gaben auf, für die Demokratie und damit die politische Herrschaft des Proletariats zu arbeiten. Der Stalinismus trennte die Demokratie von der Linken. Darüber nahmen beide Schaden: Die Demokratie, weil seither als „demokratisch“ gilt, wenn, wie Hermann L. Gremliza einmal schrieb, ausgemacht ist, dass kein Gesetz gegen den erklärten Willen der Deutschen Bank zustande kommt. Und die Linke, weil ihr weder AnhängerInnen noch Proletariat zutrauten, ein solches Gesetz jemals zustande zu bringen. Ohne den Zaubermantel der Demokratie wurde aus dem linken Riesen ein kleiner Gnom in verkniffener Gestalt von Berija, Kádár, Bilak, Jaruzelski, Honecker. Und die real existierende Demokratie nahm die höhnische Gestalt von Kiesinger, Filbinger und Strauß an: die Macht des Geldes, die Abwehr von Dissidenz, die Unterstützung faschistoider Militärregime von Algerien bis Chile.

So weit, so schlecht. Vielleicht sollten ja nicht nur KommunistInnen den DemokratInnen Kommunismus lehren, sondern auch DemokratInnen den KommunistInnen Demokratie. Die Selbstbewegung des Raumschiffs Freiheit im All Gesellschaft wird anders nicht zu bekommen sein. Der „Prager Frühling“ bot 1968 einen Ausblick: Binnen weniger Monate explodierte der politische Prozess, die Selbstaufklärung des Volkes. Die tschechoslowakische Linke, sich zurücksuchend zur Einheit von KommunistInnen und DemokratInnen, eingeklemmt zwischen verkniffenen und höhnischen Gestalten des Ostens wie Westens, scheiterte darüber.

Doch die Aufgabe bleibt. Wir luden deshalb in dieser Ausgabe Menschen ein, mit uns nach der Demokratie zu suchen. Die Suche ist schwierig. Vieles ist verschüttet, einiges zerstört, anderes noch gar nicht entdeckt worden. Doch wir suchen weiter nach einer Gesellschaft, in der Gestalten wie obige nichts zu melden haben und Banken keine Gesetze machen können.