06.05.2009

Krise bei Kaffee und Kuchen

Linkes Schwächeln im Kampf um die Deutungshoheit

Susanne Götze
Susanne Götze

Das Problem aber ist trotz steigender Arbeitslosenzahlen, angekündigter „sozialer Unruhen“ und täglich neuen Hiobsbotschaften immer noch ein Abstraktum: Niemand kann sich diese Summen vorstellen, die gerade über unseren Köpfen und aus unseren Taschen über die Tische gereicht werden. Niemand kann dieser Finanz-Jonglage folgen – eine Zahlenkolonne jagt die nächste. Immer mehr Geld wird in den Orkus geschickt, die Billionen verschwinden. Insolvente Unternehmen sind vorstellbar, doch ein globales Meer aus faulen Wertpapieren und Kreditpaketen? Aus der zwar in Zahlen fassbaren aber hieroglyphisch bleibenden Spekulationsblase ist nun mittlerweile eine unvorstellbare Rettungsblase geworden, mit deren Knall wir spätestens aus unseren Wohnzimmern aufschrecken und besorgt die Gardinen beiseite schieben.

Kommt dann die Krise zu uns nach Hause? Wie wird sie aussehen? Wird sie mehr als Depression sein? Wird es Wut, Hoffnung und neuer Glauben, neue Kraft sein? Als chronischer Globalisierungskritiker fragt man sich derzeit, ob dieses Aufbäumen des angestochenen Turbokapitalismus mehr vernichten als erschaffen wird.

Jahrzehntelang haben kritische Menschen auf der ganzen Welt versucht, die trügerische Ruhe des kapitalistischen Spekulationsalltags zu stören. Nun hat das Pferd Schaum vorm Mund und alle weichen erschreckt zurück – auch viele Linke. Seit einem halben Jahr mittlerweile schlägt das wild gewordene Tier um sich und wer davon nicht profitiert, sind genau diejenigen, „die es sowieso schon immer gewusst haben“. Die Linke hat es bis jetzt genauso wenig geschafft mit ihren ExpertInnen und Super-Kadern das Abstraktum mit Leben zu füllen, wie ein neues Pferd ins Rennen zu schicken. Es wird stattdessen immer noch auf den alten Gaul gewettet. Doch vielleicht auch, weil eben niemand Reiten gelernt hat und die letzten zehn Jahre damit verbracht wurden, sich über das Entstehen von Sozialforen zu freuen.

Die Menschen, die in London gegen den G20-Gipfel auf die Straße gingen, wie auch schon gegen die Politik unzähliger G8-Gipfel davor, wurden in den bürgerlichen Medien schlicht lächerlich gemacht. Mit einer unbeschreiblichen Arroganz stellt sich ein Spiegel-Reporter vor die demonstrierenden Massen und spricht von einem kläglichen Scheitern der Proteste. Wieder mal habe es die Linke nicht geschafft, „ihre Kritik an den Mann zu bringen“. Ja, da haben in Genua 2001 schon mehr Autos gebrannt. Und dann geht es wieder ab ins warme Hotel: Auftrag erfüllt. Genau dieser Kleingeist ist es, der enttarnt werden muss: Hier sprechen nicht „die Medien“, sondern die Vertreter der Klasse, die jahrelang an dem Kollateralschaden mitgebastelt haben. Nicht die Demonstrant/-innen sind die nietzeanischen „tückischen Zwerge“ – sondern die phantasielose, besitzwahrende Bürgerlichkeit. Dieser Zwergengeist, der durch die neoliberale Gehirnwäsche seinen Höhepunkt erreichte, hat sich so tief eingenistet, dass weder Krise noch Krieg, Klimawandel oder grassierende Armut mehr schocken, aufrütteln oder zum Nachdenken anregen können.

Dabei braucht es eigentlich nicht viel Vorstellungskraft, um sich eine andere Gesellschaft als diesen täglichen Wahnsinn auszumalen. Trotzdem fällt es eben auch so manchem Linken schwer, sich mehr vorzunehmen als ein gerechteres Steuersystem. Beispiele dafür gab es in den letzten Monaten viele: Statt in die Öffentlichkeit zu gehen, fuhren linke Abgeordnete in ihre Wahlkreise, um ihre MitarbeiterInnen samt Anhängerschaft „zu informieren“. Insgesamt kann man die linke Reaktion bis zum 28. März auch als „aufgeregtes Unter-sich-Sein“ bezeichnen – wenn es überhaupt aufgeregt war. Statt sich im linken Spektrum ernsthaft füreinander zu interessieren – über eine Demovorbereitung hinaus – werden lieber weiterhin kleine Tütensüppchen gekocht. Isoliert bleiben deshalb auch die unzähligen linken Alternativen – und damit ist nicht der Mindestlohn gemeint -, die unbeachtet vor sich hinbrodeln. So wurde beispielsweise von dem Ende Februar in Wien stattfindenden Kongress für Solidarische Ökonomie – ein Thema mit nicht zu überbietender Aktualität – kaum Notiz genommen. Selbst linke Tageszeitungen wussten damit kaum etwas anzufangen. An anderer Stelle beklagen dann aber eben diese Redakteur/-innen die Konzeptlosigkeit der Linken. Einer engen Zusammenarbeit von Bewegung und Partei wird dagegen mit dem Argument der anstehenden Bundestagswahl aus dem Weg gegangen. Die Situation ist wirklich verrückt: Während Troja in den Krieg zieht, sitzen die Kassandriner in ihren Hinterzimmern und schütteln die Köpfe. Da bleibt nur mit Neil Young zu entgegnen: „Time is running out. Let`s roll.”