03.05.2009

Laubenpieper-Sozialismus

Rezension: Steffen Kludt, Am Ende des Fortschritts? „Sozialismus in den Farben der DDR“

Bernd Hüttner
Bernd Hüttner, Rosa-Luxemburg-Stiftung

Steffen Kludt: Am Ende des Fortschritts? „Sozialismus in den Farben der DDR“. Eine generationsgeschichtliche Perspektive. Schkeuditzer Buchverlag 2009, 168 Seiten.

Zur DDR sind wahrlich schon sehr viele Bücher erschienen. Steffen Kludt bietet seinen LeserInnen mit seiner bei Konrad Jarausch[1] geschrieben Staatsexamensarbeit ein Best-of der vor allem mit dem voluminösen Band „Die DDR aus generationengeschichtlicher Perspektive“[2] (Leipzig 2005) definierten und mit Annegret Schüle, Thomas Ahbe, Rainer Gries und anderen verbundenen kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Generationenforschung zur DDR.

Kludts zentrale These ist, dass die innere, schlussendlich im Zusammenspiel mit anderen Faktoren zum Untergang führende Krise der DDR auf einen „Clash der Generationen“ zurückzuführen ist: Die die DDR dominierende Generation der antifaschistischen Kämpfer mit ihrer Sozialisationserfahrung konnte mit Modernisierung und Individualisierung ab Mitte der 1960er Jahre nicht umgehen, die mit ihnen einhergehenden zivilisatorischen Potentiale nicht produktiv nutzen.

Fünf Generationen werden von Kludt unterschieden. Die älteste ist die „Alte Garde“, die noch von der Weimarer Zeit der extremen Konfrontation geprägt worden ist. Die sozialistische Utopie dieser von Honecker und seiner Generationskohorte verkörperten „antifaschistischen Patriarchen“ sei vor allem von den Entbehrungen ihrer Jugendzeit zu Beginn der Weimarer Republik formatiert worden. Genügend und billiger Wohnraum, Ernährung und Kleidung, so sah der Traum vom besseren Leben für diese Generation aus – und dieser Traum limitierte auch ihr politisches Vorstellungsvermögen und Handeln. Individuelle Freiheit und Pluralität von Lebensformen kommen da nicht vor. Die auch von anderen HistorikerInnen so bezeichnete Aufbau-Generation (Jahrgänge 1925 bis 1935) stellte zusammen mit der „Alten Garde“ die erste Führungsschicht der neu gegründeten DDR der 1950er Jahre, beide hatten eine hohe Identifikation mit dem Sozialismus in den Farben der DDR. Die Aufbaugeneration stand aber immer im Schatten der „Alten“ und, so Kludt, entwickelte „kein eigenes politisches Selbstbewusstsein“.
Die dritte Generation ist die der Funktionierenden (Jahrgänge 1935 bis ca. 1950), sie gilt als unauffällig, orientiert sich an den beiden älteren Generationen, nur ein sehr geringer Teil von ihr wird Bestandteil der Post-68er-Reformdebatte und dann des 1989er Herbstes. Die vierte Generation, die Kludt die „integrierte“ nennt, ist die erste, die ihr komplettes Leben in der DDR verbringt, da ihre Angehörigen erst nach deren Gründung geboren werden. Sie war deren materielles Niveau gewöhnt, und als sie erwachsen wurde, stand die DRR auf dem Höhepunkt ihrer moralischen Reputation und wirtschaftlichen Entwicklung. Die „Integrierten“ beginnen aber, sich zaghaft mental und kulturell von den ihnen vorhergehenden drei Generationen zu entfernen. Diese Distanzierung beschleunigt sich bei den „Entgrenzten und Distanzierten“. Die Angehörigen der Jahrgänge der 1960er bis Anfang der 1970er Jahre sind in ihrer Alltagswelt vom offiziellen Staatssozialismus entkoppelt. Einige Theoretiker erkennen zwar noch und fordern, dass die wissenschaftliche-technische Revolution nur zusammen mit „der Jugend“ machbar ist, und die Staatspartei gesteht zur Bewältigung jener auch gewisse Nischen zu, politisch bleibt aber alles im wahrsten Sinne des Wortes beim / bei den Alten.
Die DDR und ihre Staatspartei misst der Jugend hohe Bedeutung zu, jene wendet sich aber schon längst von der gerontokratischen Fürsorgediktatur ab. Was frühere Generationen noch vor dem Hintergrund einer harten Kindheit und Jugend als Schutz empfunden hatten, ist für die jüngeren selbstverständlich und wird immer mehr unter dem Aspekt der „Gefangenschaft“ wahrgenommen. Es ist ein Allgemeinplatz, dass westliche Medien große Bedeutung für die Sozialisation der Angehörigen der entgrenzten und distanzierten Generation hatten.

Aus diesem angenehm zu lesenden Buch, in dem der Begriff „Stalinismus“ nicht auftaucht, ist viel über die DDR und über DIE LINKE zu lernen, denn die meisten derzeitigen Mitglieder der älteren Parteieliten dürften der hier „integriert“ genannten Generation angehören.
Der 1978 geborene Steffen Kludt erhielt für sein Buch[3] zurecht den Förderpreis Wissenschaft der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg[4] 2009.

Zum Autor:

Bernd Hüttner, Jahrgang 1966, Politikwissenschaftler, arbeitet als Regionalmitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Bremen. Koordinator des bundesweiten Gesprächskreises Geschichte der RLS und Mitglied der Historischen Kommission der Partei DIE LINKE.
Weiteres siehe hier auf der Website der Bremer Landesstiftung der RLS[5].

Links:

  1. http://www.clio-online.de/Web=13473
  2. http://www.univerlag-leipzig.de/article.html;article_id,567
  3. http://gnnverlag.de/products-page/rosa-luxemburg-stiftung-brandenburg/einzelpublikationen/am-ende-des-fortschritts/
  4. http://www.bbg-rls.de/
  5. http://www.rosa-luxemburg.com/?page_id=12#huettner