Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Die Redaktion

im Jahr 2009 hat es die Wahrheit nicht leicht. Aus der Krise will nicht so recht die Alternative wachsen. Die Wirtschaftskrise tobt, die Akkumulation stockt und die Einschläge von Sozial- und Arbeitsplatzabbau rücken näher. Doch den Kräften des Fortschritts fällt wenig Substanzielles ein. Außer: größere Konjunkturprogramme. Soweit, so richtig. Aber das ganz Andere sieht eigentlich doch etwas anders aus.

Die Kräfte der Beharrung wiederum sind schwer mit der Rehabilitation des status quo beschäftigt, und die geht so: Das Bestehende sei zwar doch nicht so optimal wie bisher behauptet. Aber das ganz Andere, das schöne Leben für alle, sei eben nur ein unmögliches Utopia. Die FAZ warnt vorsorglich vor der Dreistigkeit, die Krise auch als Systemwechsel-Chance zu sehen. Gefährlich sei vor allem – so die FAZ – der reformkommunistische „Prager Frühling“, denn er erschiene als Alternative eines „guten Sozialismus“, obwohl doch dem Kommunismus in Gänze ein menschenverachtender Charakter eigen sei.

Wo „die da oben“ den platten Sermon verbreiten, die Krise läge nur an der übertriebenen Gier Einzelner, verlegen sich „die da unten“ auf ebenso richtige wie unzureichende Parolen: „Millionäre besteuern“ und „Wir zahlen nicht für Eure Krise“. Wenn die Krise nicht automatisch die Alternative katalysiert, bleibt die Suche. Deshalb haben wir den Schwerpunkt dieser Ausgabe so gewählt: Her mit dem schönen Leben! Und Weg mit Hartz IV! Letzteres ist noch lange nicht das schöne Leben, aber für Millionen eine unverzichtbare Voraussetzung, um überhaupt erst wieder um die Aneignung des eigenen Lebens kämpfen zu können. Deshalb geht es in diesem Heft auch um Hartz IV – allerdings mit einem anderen Fokus als den in den Talkshows üblichen.

Auch wenn die linksdrehende Rhetorikschallplatte mit ihren Songs von „Haben wir schon immer gewusst“ bis „Nur so kanns gehen“ anderes behauptet: Wenn Hartz IV weg ist, keine Millionäre mehr zu besteuern sind und auch niemand mehr da ist, für dessen Krise wir zahlen müssten, fangen die Probleme des schönen Lebens ja erst so richtig an. Die Redaktion von „prager frühling“ jedenfalls behauptet nicht, das ultimative Rezept zu kennen. So haben wir gesucht, und etwas gefunden: „Infrastruktursozialismus“ nennen wir ein Zwischenergebnis. Vielleicht gefällt Euch unser Plan, bestimmte Bereiche des Lebens für alle kostenfrei zugänglich zu machen. Über andere Backmischungen zum schönen Leben sind wir uns nicht ganz einig: Etwa, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen eher charming oder dumping ist. Oder, wie viel Paradoxiemanagement eine Linke braucht, um nicht als moralisches Mahnmal oder blutleere Ideenschmiede zu enden, deren Konzepte niemand mit Leben füllen will. Oder auch einfach, welches alternative Leben im Falschen noch ein schönes Leben ist. Das macht aber nichts; als undogmatisches Magazin haben wir sie einfach kontrovers gestellt. Platte Parolen, haarscharf an der Wahrheit vorbei, gibt es schließlich schon genug.