1.000 euro für alle!

Wie bedingungslos soll die soziale Sicherung sein?

Jörg Schindler, Direktkandidat der LINKEN in Wittenberg für den Bundestag und Katja Kipping, stellvertretende Parteivorsitzende der LINKEN diskutieren über das Grundeinkommen. Das Interview mit den beiden Redaktionsmitgliedern des prager frühlings führte Thomas Lohmeier.

prager frühling: Verteilt man das gesamte Volkseinkommen gerecht, bekäme jede/r fast 2.000 Euro im Monat. Wie hoch wäre Euer Grundeinkommen?

Jörg: Man kann das Geld nicht nur einfach verteilen. Es muss auch etwas in den gesellschaftlichen Reservefonds gelegt werden. Ich würde daher von 1.000 Euro plus Miete ausgehen. Bedingung wäre: Wer soziale Grundsicherung in Anspruch nimmt, darf keine Arbeit haben und nicht über nennenswertes Vermögen verfügen.

Katja: In der Höhe sind wir uns einig. Sie muss sich an der Armutsrisikogrenze orientieren und gesellschaftliche Teilnahme ermöglichen. Im Gegensatz zu Jörg will ich aber ein bedingungsloses Grundeinkommen, wo man seine Bedürftigkeit nicht beweisen muss. Wir sind uns allerdings einig, dass es keine Sanktionen geben soll: Der Sanktionsparagraph im Sozialgesetzbuch muss abgeschafft werden.

pf: Aber befördert ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht Kombilöhne und Lohndumping? Wer 1.000 Euro zur Verfügung hat, kann auch für drei Euro in der Stunde arbeiten, um sein Einkommen aufzubessern.

Katja: Seit wann richtet sich im Kapitalismus die Lohnhöhe nach dem Bedarf? Schon Marx wusste, dass die Löhne vor allem von der Kampfkraft der Beschäftigten abhängen. Und solange Erwerbslosigkeit den Fall in eine stigmatisierte Sozialleistung bedeutet, wird diese geschwächt. Zudem wollen wir ja das Grundeinkommen gemeinsam mit dem Mindeststundenlohn einführen.

Jörg: Bei einem bedarfsgeprüften Modell stellt sich dieses Problem nicht, weil sich die Höhe der Grundsicherung verringert oder sie gar entfällt, sobald man ein Arbeitsverhältnis hat. Rechnet man Arbeitseinkommen nicht an, bleibt das Problem des Lohndumpings selbst dann bestehen, wenn es Mindestlöhne gibt. Das Problem lässt sich nur durch eine Stärkung der Verhandlungsmacht der Gewerkschaften lösen.

Katja: Aktuell erleben wir mit Hartz IV genau das Gegenteil eines Grundeinkommens. Denn Hartz IV bedeutet eine Grundsicherung unterhalb der Armutsrisikogrenze, mit Arbeitszwang, mit Bedürftigkeitsprüfung sowie finanzielle Inhaftnahme von Angehörigen und MitbewohnerInnen. Im Zuge dessen hat nachweisbar die Bereitschaft, Lohndumping und ungesunde Arbeitszeiten in Kauf zu nehmen, zugenommen. Hier zeigt sich, je schlimmer die Situation der Erwerbslosen, desto erpressbarer die Beschäftigten. Diese Logik dreht das BGE um.

Jörg: Hartz IV macht die Menschen erpressbar. Das sehe ich wie Katja. Die Ursache ist aber die Höhe der Regelleistung und nicht, dass Hartz IV eine bedarfsgeprüfte Grundsicherung ist. Auch ein Grundeinkommen ohne Bedarfsprüfung, dessen Höhe nicht zum Leben reicht, bedeutete Armut.

pf: Ist das nicht sowieso eine sehr verwaltungstechnische Frage wie man die Grundsicherung auszahlt?

Katja: Bedürftigkeitsprüfung heißt immer, dass im Zweifelsfall die Bedürftigen ihre Bedürftigkeit beweisen müssen. Man muss die Rechnung mit der real-existierenden Sozialbürokratie machen. Das Bedingungslose Grundeinkommen ist im Gegensatz zur Grundsicherung eine universelle Leistung, die allen zusteht und deswegen kein Stigma bedeutet, für dessen Bezug man sich womöglich schämt.

Jörg: Ich teile Katjas Kritik an der Sozialbürokratie. Aber ob man eine Steuer im Nachhinein einzieht oder ob man eine soziale Leistung gewährt, ist ein Unterschied. Wer Sozialleistungen bezieht, braucht z.B. Vertrauensschutz oder auch Sonderbedarfe, Steuerschuldner aber nicht. Im Übrigen muss doch auch beim Bedingungslosen Grundeinkommen letztendlich eine Einkommenssteuererklärung erstellt werden, die das Einkommen der Höhe nach prüft.

pf: Wenn man über das Bedingungslose Grundeinkommen spricht, wird auch oft von einer einheitlichen Konsumsteuer – wie zuletzt bei der Onlinepetition des Bundestages – gesprochen. Was haltet Ihr von diesem Vorschlag?

Katja: Ich halte davon gar nichts. Beim letzten internationalen Grundeinkommenskongress gab es ein Treffen von emanzipatorischen Grundeinkommensfans, bei der sich alle für eine klare Umverteilung von Oben nach Unten, eine Kopplung an den Mindestlohn und das Fortbestehen der Sozialversicherungssysteme ausgesprochen haben. Das ist beim Konsumsteuermodell nicht gegeben.

Jörg: Richtig. Bei der Frage Grundeinkommen oder Grundsicherung kann man durchaus zu verschiedenen Ergebnissen kommen. Aber als Linke müssen wir uns Gemeinsamkeiten überlegen, wie man zu einer Umverteilung des Reichtums, aber auch der Arbeit kommt

Katja: Das ist ein guter Punkt. Ein weiterer linker Ansatz ist, das Grundeinkommen auch in Form von öffentlichen Gütern, wie einem kostenfreien Bus- und Bahnverkehr sowie WLAN für alle zu denken.

pf: Sollen eigentlich die lebensstandardsichernden Sozialversicherungen nach Eurer Vorstellung in das Bedingungslose Grundeinkommen integriert werden?

Katja: Das BGE soll die Sozialversicherungen nicht ersetzen, sondern ergänzen. Ich sehe da eine Analogie zum Mindestlohn. Wenn wir für den Mindestlohn kämpfen, dann bedeutet das ja nicht, dass es keine höheren Löhne geben soll. Im Gegenteil. Wer möchte, kann sich über eine lebensstandsichernde Renten- oder Arbeitslosenversicherung eine höhere Rente oder ein höheres Arbeitslosengeld erarbeiten.

Jörg: Ich wünsche mir eine Grundsicherung als Auffangbecken, die möglichst niemand in Anspruch nehmen muss, weil höhere Ansprüche aus anderen, an speziellen Lebenslagen orientierten Sozialsystemen bestehen. Studierende z. B. erhalten ein elternunabhängiges Bafög und Rentnern eine paritätisch finanzierte gesetzliche Rente.

Pf: Das Grundeinkommen wird nicht nur von Linken gefordert. Was ist eigentlich links am Grundeinkommen?

Jörg: Ein Grundeinkommen wäre insoweit links, wie es zu einer Umverteilung führt. Ich habe aber Bedenken, ob wir durch das bedingungslose Grundeinkommen nicht einen riesigen sozialbürokratischen Moloch schaffen, in dem wir den Schutz vor sozialer Ausgrenzung auch auf Leute ausweiten, die ihn nicht benötigen.

Katja: Ein Grundeinkommen ist links, weil es Existenzangst ausschließt und es die Verhandlungsposition derjenigen deutlich verbessert, die nur ihre Arbeitskraft verkaufen können.