unrealistische erwartungen an linke regierungsbündnisse

Das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung in Lateinamerika

Kathrin Buhl

Am 11. November 2008 verabschiedete das uruguayische Parlament ein Gesetz über reproduktive Gesundheit, das den Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten 12 Wochen legalisierte. Präsident Tabaré Vázquez, Vertreter des Linsbündnisses Frente Amplio, legte nur wenige Tage später sein Veto gegen diese Entscheidung ein. Diese Nachricht löste Bestürzung und Unmut aus – allerdings wenig Überraschung: Vázquez hatte schon bei seinem Amtsantritt angekündigt, dass er ein solches Gesetz aufgrund seiner persönlichen Überzeugung in jedem Fall verhindern würde.

Der öffentliche Protest blieb leise, an einer von feministischen Organisationen sofort einberufenen Kundgebung nahmen nur wenige hundert Menschen teil. Der Einfluss der katholischen Kirche in Uruguay gilt als vergleichsweise gering, und nach Umfragen sprechen sich mehr als 60 Prozent der Bevölkerung für die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs aus.

Wie in anderen lateinamerikanischen Ländern war die Regierungsübernahme der Frente Amplio mit der Hoffnung verbunden, das Recht auf Selbstbestimmung von Frauen nunmehr tatsächlich umsetzen zu können. Die dem Veto von Vázquez folgende Diskussion ging daher weit über die Frage der Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs hinaus: Ist es für eine Linke akzeptabel, das umstrittene Vetorecht gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit, und gegen die Entscheidung beider Kammern des Parlaments einzusetzen? Der Versuch, auf parlamentarischem Weg ein Plebiszit über das Gesetz herbeizuführen – dafür ist die Ablehnung des Vetos mit einer 3/5-Mehrheit des Parlaments nötig – scheiterte knapp. Bleibt der uruguayischen Linken, auf einen neuen Anlauf in der 2010 beginnenden Amtsperiode zu hoffen – sofern die Frente Amplio die nächsten Wahlen gewinnt, sofern der neue Präsident eine andere Position vertritt. „Der Schmerz, die Freiheit, der Genuss, die Verantwortlichkeit der Frauen und die ethische Dimension ihrer Entscheidungen wurden ein mal mehr herabgewürdigt, zum Schweigen gebracht und unter Vormundschaft gestellt, als verfügten Frauen weder über Urteilsvermögen noch über moralische und ethische Werte.“ kommentiert die Feministin und politische Aktivistin Lilián Celiberti.

Auch der brasilianische Präsident Luis Inácio da Silva lehnt persönlich das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ab, erklärt ihn aber im gleichen Atemzug als eine „Frage der öffentlichen Gesundheit“ und fordert eine breite gesellschaftliche Debatte. Seine Partei, die PT, hat auf ihrem Parteitag im September 2007 nach heftigen Diskussionen den Beschluss gefasst, die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in Angriff zu nehmen. Doch der Gesetzesentwurf, bereits 2005 in die parlamentarischen Wege geleitet, bleibt in Kommissionen stecken, und der Präsident setzt andere Prioritäten.
Im Unterschied zu Uruguay ist die katholische Kirche in Brasilien einflussreich – und sie übt massiven Druck auf alle aus, die das Recht auf Selbstbestimmung der Frauen verteidigen. Der im Falle eines neunjährigen Mädchens, vom Stiefvater vergewaltigt und mit Zwillingen schwanger, vorgenommene Schwangerschaftsabbruch wurde vom Bischof von Recife und Olinda mit der Exkommunizierung der Ärzte und der Mutter bestraft. Dies löste heftige Diskussionen aus, zumal Schwangerschaftsabbruch im Fall von Vergewaltigung oder Gefahr für das Leben der Mutter in Brasilien legal sind – zeigte aber auch, wie konfliktiv die Diskussion ist.

Obgleich es keine gesicherten Daten gibt, geht man davon aus, dass eine Mehrheit der brasilianischen Gesellschaft das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ablehnt. Und für die Linke – nicht nur die PT, auch die PSOL - scheint es ein zu hohes Risiko zu sein, eine wirkliche gesellschaftliche Debatte zu initiieren – könnte das doch potentielle Wählerstimmen kosten. Wie viel wiegen sie, in einem Land, in dem pro Jahr nach Schätzungen von Nichtregierungsorganisationen zwischen 750.000 und einer Million illegale Schwangerschaftsabbrüche unter höchst fragwürdigen hygienischen Bedingungen vorgenommen werden? Wie viel wiegen das Leid, die gesundheitlichen Probleme, und nicht zuletzt, in nur allzu vielen Fällen, der Tod dieser Frauen?

Auch in anderen südamerikanischen Ländern hat die Regierungsübernahme von Mitte-Links-Bündnissen die rechtliche Situation der Frauen nicht verbessert: in Argentinien sterben pro Jahr mehr als 400 Frauen nach illegalen Schwangerschaftsabbrüchen, aber die Präsidentin, Christina Kirchner, lehnt jede Änderung der geltenden Gesetze strikt ab. In Chile gilt nach wie vor das unter der Pinochetdiktatur erlassene absolute Verbot von Schwangerschaftsunterbrechungen, auch im Fall von Vergewaltigung oder Gefahr für das Leben der Mutter. Und die Präsidentin, Michelle Bachelet, schwieg, als die Rechte und die katholische Kirche durchsetzten, dass die „Pille danach“ nicht mehr in Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens ausgereicht werden darf.

Der ecuadorianische Präsident Correa sprach sich offen gegen die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs aus, Evo Morales dementierte Anklagen der Kirche, er strebe eine Änderung der Gesetzgebung an – Schwangerschaftsabbruch wird in Bolivien mit drei Jahren Haft bestraft-, Hugo Cháves gestand öffentlich ein, dass eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs eine Schwächung seiner sozialen Basis zur Folge haben könnte, die das Projekt des Sozialismus des 21. Jahrhunderts gefährden könnte. Ein Hoffnungsschimmer am Horizont war die Entscheidung der PRD-Regierung in Mexiko-Stadt, zumindest in ihrem Einflussbereich den Schwangerschaftsabbruch zu legalisieren, trotz massivem Drucks der katholischen Kirche.

Das Dilemma der lateinamerikanischen Linken liegt auf der Hand: in der Mehrheit der Länder ist die Frage des Schwangerschaftsabbruchs sehr umstritten, und es ist eher zweifelhaft, ob die Legalisierung ihrer Popularität förderlich wäre. Die Macht der Kirche, konservative Traditionen, eine ausgeprägt patriarchalische Kultur und der Einfluss der zumeist konservativen Massenmedien sind ungeheuer stark, und nur allzu oft werden sie genutzt, um die Frage des Schwangerschaftsabbruchs politisch zu instrumentalisieren. Und so bleibt es bei Beschlüssen, sich der Frage der Selbstbestimmung der Frauen über ihren Körper anzunehmen, oder zumindest dem Problem der gesundheitlichen Folgen illegaler Schwangerschaftsabbrüche, denen wenig konkrete Schritte folgen. Und es bleibt bei jährlich etwa vier Millionen illegalen Schwangerschaftsabbrüchen, deren Folgen vor allem die armen, die schwarzen, die indigenen Frauen zu tragen haben.

Vor allem, aber zum Glück nicht nur, Frauenorganisationen stellen sich diesem Szenario entgegen: mit Protesten, mit Demonstrationen, mit Kampagnen, mit Musik, Theater und mit unzähligen Bildungs- und Aufklärungsangeboten. Nicht immer ist diese Arbeit so sichtbar wie jährlich am 28. September, dem Aktionstag für die Straffreiheit des

Schwangerschaftsabbruchs in Lateinamerika und der Karibik. Aber es sind die vielen kleinen Schritte, die zu Veränderungen führen werden. Die Erwartung, dass progressive Regierungen das Problem lösen, erweist sich bislang jedenfalls als wenig realistisch.