Das Konkrete entscheidet

„Strategic Unionism“ mit Vorschlägen zur Krise gewerkschaftlicher Repräsentation

Carmen Ludwig

Die Gewerkschaften stecken in einer Repräsentationskrise. Dies ist der Ausgangspunkt der Forschungsgruppe „Strategic Unionism“, die sich im Herbst 2006 in Jena konstituiert hat. Mit dem gleichnamigen Buch plädiert sie für eine Revitalisierung der Gewerkschaftsforschung und nicht zuletzt auch der Gewerkschaften.

Die ArbeitnehmerInnenvertretungen in den entwickelten kapitalistischen Gesellschaften stehen vor zahlreichen Herausforderungen: Der Finanzmarktkapitalismus schwächt tradierte Formen der ArbeiterInnenmacht, während die Gewerkschaften mit ihren Organisationsstrukturen und Handlungsstrategien noch weitgehend dem fordistischen Wohlfahrtsstaats-Kapitalismus verhaftet sind. Der Kapitalismus vermag sich im Zuge einer „Landnahme“ (Rosa Luxemburg) in neue, zuvor nichtkapitalistische Territorien auszubreiten. Dabei wird die Arbeitskraft einem verstärkten Re-Kommodifizierungsdruck ausgesetzt. Dieser manifestiert sich sowohl in Stellenabbau (trotz Gewinnen der Unternehmen), einer zunehmenden Konkurrenz zwischen ArbeitnehmerInnen als auch in der Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse.

Trotz der damit verbundenen Schwächung gewerkschaftlicher Verhandlungs- und Organisationsmacht ist es eindeutig zu früh, einen Nachruf auf die Gewerkschaften zu verfassen. Im Gegenteil: Die Krise gewerkschaftlicher Repräsentation kann von den AkteurInnen selbst beeinflusst werden. Entscheidend hierfür sind die konkreten Praktiken, mit denen die Gewerkschaften auf neue Handlungsbedingungen reagieren. Diese werden von den Autor/-innen anhand von länderspezifischen Fallstudien und innovativen Handlungspraktiken wie dem aus dem angelsächsischen Raum stammenden Organizing-Ansatz rekonstruiert. Im Organizing-Konzept sieht das Team um Dörre dabei nicht nur eine Methode zur Mitgliedergewinnung. Gewerkschaften sollten sich – entsprechend eines weit gefassten Organizing-Konzepts – als beteiligungs- und kampagnenorientierte soziale Bewegungen verstehen, die eine aktive Bündnispolitik betreiben. Grenzen und Möglichkeiten der Übertragbarkeit dieses Ansatzes auf die deutschen Gewerkschaften werden anhand von interessanten Beispielen für eine partizipative Betriebspolitik oder der LIDL-Kampagne von ver.di diskutiert.

Das Buch „Strategic Unionism“ gibt einen sehr guten Überblick über den Stand der internationalen Gewerkschaftsforschung. Die Autor/-innen argumentieren überzeugend für eine neu ausgerichtete wissenschaftliche Beschäftigung mit Gewerkschaften. Sie unterbreiten Vorschläge, wie eine intensivierte und fruchtbare Zusammenarbeit von Gewerkschaften und kritischer Sozialwissenschaft aussehen kann. Der Anfang dafür wurde mit diesem Buch gemacht. Es eröffnet das Feld für weitere Themen, wie zum Beispiel die Frage danach, wie inklusive Solidarität in einer branchenübergreifenden Gewerkschaft sowie in betrieblicher Praxis hergestellt werden kann: Mit dem Erstarken von Berufsverbänden à la GDL oder „Cockpit“ hat diese Frage an Bedeutung gewonnen. Dies belegt, in welch vielfältiges Terrain, die gewerkschaftliche Begleitforschung noch vordringen kann. Es ist nun an den Gewerkschaften und interessierten Wissenschaftler/-innen, sich den vielen „weißen Flecken“ zu widmen und das interessante Feld der Gewerkschaftsforschung auch in Deutschland zu erschließen.

Das Buch „Strategic Unionism – Aus der Krise zur Erneuerung? Umrisse eines Forschungsprogramms“, ein Ergebnis der Forschungsgruppe Ulrich Brinkmann, Hae-Lin Choi, Richard Detje, Klaus Dörre, Hajo Holst, Serhat Karakayali und Catherina Schmalstieg, erschien 2008 beim VS-Verlag und umfasst 181 Seiten.