Große Heilkunst in Kleinasien

Liebe geht bekanntlich durch den Magen. Mitunter allerdings aufwärts.

Uwe Schaarschmidt

Mit Mitte vierzig sieht man einige Dinge des Lebens klarer, auch wenn man dafür zumeist schon eine Brille benötigt. Mit Mitte vierzig hat man immerhin schon den einen oder anderen privaten Tsunami – hoch oben an die Zimmerpalme geklammert – überlebt und kann anderen Beziehungsbankrotteuren hilfreich zur Seite stehen. Läuft also einem guten Freunde die Holde fort und in die Arme eines finsteren Burschen hinein, weiß man gleich, was zu tun ist. Man trabt zum Baumarkt, erwirbt eine Schubkarre und lädt den verlassenen Weinerling zu Bier, Bier und Bier auf die Veranda ein, wo schon die Schubkarre wartet, um mit all den zu kompostierenden Abfällen aus dem ehemaligen Garten der Liebe beladen zu werden, welche dem bierseligen Freundeskopf entweichen.

Plop, auf die Pulle, „Prost – auf die Liebe – hahaha“ und schon geht’s los, beginnt sich das nimmer endende Möbiusband aus Einsicht und Flachsicht zu bewegen. „Wer weiß, wie lange das schon geht!“ „Wahrscheinlich schon eine ganze Weile, mein Bester!“ „Die glaubt doch wohl nicht, dass es mit DEM besser wird!“ „Doch, das glaubt die ganz gewiss!“ „Ich habe noch einen Pullover bei ihren Eltern.“ „Scheiß auf den Pullover. Noch ne Flasche?“ „Ja danke, weißt Du was?“ „Nee, raus damit!“ „DEM mache ich ja keinen Vorwurf, sie ist ja eine tolle Frau!“ „Oja, ist sie wirklich. War der Pullover eigentlich teuer?“
„Wenn ich das Schwein in meinem Pullover erwische!“

Nun ist die erste Schubkarre voll und wartet darauf, auf dem Kompost der Emotionen entladen zu werden. Ein ansehnliches Hühnengrab, aus bestem Humus des Scheiterns, bekleckert mit ein wenig eigenem Mageninhalt vom gestrigen Nachdenken über das Leben. So, schwupps, abgekippt, verteilt, ganz obendrauf den wundervollen Satz: „Ich hatte gestern ein sehr gutes Gespräch mit ihr und ich glaube nun, dass das Verhältnis zwischen uns immer ein ganz besonderes bleiben wird!“

Und ab geht die Post, hui macht das Spaß mit der Karre, schnell noch in der Getränke-Oase vorbeigegurkt – und schon sind wir wieder auf der Veranda, gerade rechtzeitig, da kracht ein riesiger Kasten in die Schubkarre. Rummms! „Weißt Du was?“ „Nee raus damit!“ „Morgen gehe ich los und kaufe einen riesigen Flachbildfernseher!“ Hoppla, die Frustkauf-Nummer, die Hälfte der Sitzung ist also geschafft. Natürlich gehört ein so schönes Gerät nicht auf den Kompost!

„Sag mal, alter Freund – hast Du eigentlich schon mal darüber nachgedacht, in unsere WG zu ziehen? Platz ist hier genug – auch dem Flachbildfernseher soll es an nichts fehlen!“ „Ehrlich?“ „Ehrlich!“ „Du bist ein guter Freund!“ „Naja“, murmle ich und spüre, wie mir das schlechte Gewissen durch die Kaldaunen eumelt.

„Meinst Du wirklich, ein riesiger Flachbildfernseher hülfe Dir bei der Bewältigung der Vorstellung, wie der andere gerade mit ihr…“ „Hör doch auf! Was soll ich denn machen?“ „Na – kauf Dir doch einfach ein Flugticket nach Anatolien!“ „Wieso nach Anatolien?“ „Ganz einfach“, antworte ich mit dem staubigen Schmunzeln des Mittvierzigers: „Du fliegst nach Anatolien, nimmst den erstbesten Bus ins erstbeste Kaff, setzt Dich dort vor ein Cafe und schaust zu, wie Frauen unterdrückt werden.“ Jetzt muss er lachen, wie niedlich! „Meinst Du?“ barmt er, und wischt sich eine Träne von der Backe. „Meinst Du, das hilft?“ „Probier’s aus!“ beschwöre ich ihn – „selbst wenn nicht, du bist auf jeden Fall ein Backgammon-Profi, wenn Du wiederkommst!“