Sammlungsbewegung oder nationale Traditionsclubs?

Zum desaströsen Zustand europäischer Linksparteien

Jörg Schindler

Die Kette der Niederlagen ist lang: So dezimierte sich das spanische Wahlbündnis Izquierda Unida von 21 Parlamentssitzen in 1996 auf 2 Mandate in 2008. Das gleiche Schicksal ereilte Frankreichs Kommunisten: Stimmten noch 1993 etwa 2,3 Millionen kommunistisch (9,2%), so halbierte sich dieser Anteil zu den Wahlen 2007 auf 1,1 Millionen. Die 15 Abgeordneten konnten keine eigene Fraktion mehr bilden. Fatal auch die Bilanz der italienischen „Rifondazione“: Nachdem sie 1998 aus der „Olivenbaum“-Koalition ausgestiegen war, gelang ihr ein Comeback. Verankert in der globalisierungskritischen Bewegung galt sie als Hoffnungsträgerin. Sie zog 2002 mit 5% der Stimmen im Parlament ein und konnte 2006 mit 6% ihr Ergebnis nochmals verbessern, weitere 2,3% erzielte die traditionellere „Communisti Italiani“. Berlusconi wurde abgewählt. Davon ist heute wenig übrig. Nur noch 3,1% Stimmen konnte das neue „Linke-Regenbogen“-Bündnis aus beiden kommunistischen Parteien, Grünen und Linkssozialisten 2008 erzielen. Lediglich die niederländische und die griechische Linke kann derzeit ähnlich der deutschen Linken Wahlzugewinne verbuchen: So steigerte das griechische Linksbündnis SYRIZA sein Ergebnis von drei auf fünf Prozent, Tendenz weiter steigend. In den Niederlanden gelang der früheren Splitterpartei „Socialistische Partij“ ein kometenhafter Aufstieg. 1995 zog sie erstmals mit 2 Abgeordneten ins Parlament ein. Gegenwärtig verfügt die sie über 25 Sitze (17%). Doch dies sind Ausnahmen.

Linke Subjekte des Fordismus

Die europäischen Linksparteien stehen vor schweren Problemen. Vielfach kämpfen sie um ihr parlamentarisches Überleben. Mitgliedschaft und Präsenz vor Ort schrumpfen. Der Untergang des Realsozialismus und die Wandlung vom fordistischen Korporatismus zum neoliberalen Wettbewerbsstaat veränderten die Bedingungen. Befriedigende Antworten haben sie hierauf nicht gefunden. Schwer traf die westeuropäischen Linksparteien die Aufkündigung der „funktionalen Arbeitsteilung“ zwischen Linken und Sozialdemokraten. Diese basierte auf korporativen Sozialsystemen zur Abfederung von Marktrisiken. Die so erzeugte Verkoppelung von Arbeit und Lebensstandard war ein Fortschritt. Damit verbunden waren institutionalisierte Gewerkschaften sowie starke „staatsnahe“ Bereiche wie der öffentliche Dienst oder Bildungseinrichtungen. Linke Parteien rangen hier um Einfluss. Hier war ihre Basis. Linke und Sozialdemokratie stützten so das nationale Sozialmodell.

Maastricht, Blair und linke Ratlosigkeit

Anfang der 90er Jahre zeigten sich jedoch Risse: Der öffentliche Sektor wurde abgebaut, soziale Sicherung privatisiert, Mitbestimmungsansätze zurückgenommen. Die EU-Maastricht-Kriterien von 1992 verboten eine keynesianische Krisenpolitik. Unter diesem Eindruck orientierte die Sozialdemokratie auf einen „Dritten Weg“: Schröder und Blair formulierten sie als „neue Mitte“, attraktiv für aufstrebende Mittelschichten. Die Sozialdemokratie a’la Blair, die 1997 immerhin 13 EU-Staaten regierte, ließ die Linksparteien ratlos zurück. Gemeinsame Projekte wurden so schwerer umsetzbar. Die Zuspitzung sozialer Konflikte zeigte sich in den Metropolen in migrantischen sowie in prekären Milieus zuerst. Die fehlende Verankerung der Linken dort begünstigte rechtspopulistische Parteien.

„Realos“ ohne Partner, „Fundis“ ohne Perspektive

Innerhalb der westeuropäischen Linksparteien werden im Kern zwei Strategien kontrovers diskutiert: Die „realpolitische“ Linke hält – trotz des Niedergangs des fordistischen Korporatismus – an Bündnissen mit der Sozialdemokratie – trotz ihres blairistischen Kurses – fest, um Rechtsregierungen zu verhindern. Zugleich erhofft sie sich, noch bestehende alte Regulationsmodi zu erhalten. Anders traditionalistische Orientierungen: Diese lehnen derartige Regierungsbeteiligungen ab. Sie können sich dabei auf die vernichtende Bilanz von Mitte-Links-Regierungen für die eigene Partei stützen. Die darin erzielten Erfolge blieben bescheiden. Neoliberale Ansätze gaben weiter den Takt vor. Deshalb wurden die Linken in den folgenden Wahlen abgestraft, jüngst in Italien. Also wünschen diese Strömungen eine Rückbesinnung auf „kommunistischen Werte“. Beispielsweise führte nach ihrer Wahlniederlage die italienische PRC „Hammer und Sichel“ wieder ein. Doch bewirkt diese „Rückbesinnung“ lediglich eine verbale Fundamentalisierung. Sie ersetzt jedoch keine erfolgreiche Politikpraxis und ist daher nur Symbolik.

Anti-neoliberale Sammlungsbewegung

Beide Strategien, „realpolitische“ wie „fundamentalistische“, beziehen sich weiterhin auf den alten fordistischen Staat. Im neo-liberalen Wettbewerbsstaat sind diese Strategien aber kaum Erfolg versprechend. Erforderlich ist daher die plurale Reorganisation systemkritischer Kräfte. Europas Linksparteien sind daher nur als bewegungsnahe sozialistische Sammlungsbewegungen, nicht jedoch als bloße nationale Traditionsklubs überlebensfähig. Dieser „Regenbogen“ kann allerdings nicht aus reiner Wahlarithmetik bedrohter Vertretungsformen aus der fordistischen Ära entstehen. Vielmehr müssen sich die Subalternen der neoliberalen Epoche zusammenfinden. Ziel dieser „Mosaiklinken“ (H.-J. Urban) wäre es, gemeinsame Formen von Gegenwehr und institutioneller Vertretung zu entwickeln. Der Wettbewerbsstaat hat den fordistischen Klassenkompromiss aufgekündigt. Eine post-neoliberale Regulation wird deshalb nur als europäisches Sozialmodell möglich sein. Dies erfordert supranationale linke Strukturen, ob parteiförmig, als Interessenvertretung oder in Bewegungsstrukturen.

Wiederverknüpfung von Arbeit und Lebensstandard

In der Substanz führt an der Wiederverknüpfung der Arbeit, auch in ihren neuen Formen, mit sozialer Standardsicherung, kein Weg vorbei. Die Ruinen nationaler Regulation, etwa im Arbeitsrecht oder in Sozialbereich, bedürfen europäischer Neukonzeption. Denkbar sind „modernisierte“ Formen der Regulation, etwa gewerkschaftliche Mitbestimmung in prekären und grenzüberschreitenden Jobverhältnissen sowie demokratische Regulierung im Alltag, etwa durch Bürgerhaushalte oder VerbraucherInnenräte. Ohne Initiativen für solidarisch und supranational vereinbarte Standards ist kein Politikwechsel möglich: Allein im nationalen Rahmen werden die Linksparteien daher die Gefahr ihrer weiteren Marginalisierung nicht abwenden.