Kampffeld Heteronormativität

Sexuelle Vielfalt als Querschnittsaufgabe

Dr. Barabara Höll und Bodo Niendel

„Die Bewegung hat mich daran erinnert, dass der Status des Schwulen oder der Lesbe wie die Familie, die Region, die Nation oder jede andere kollektive Entität nichts anders ist als eine auf dem Glauben beruhende soziale Konstruktion.“ Pierre Bourdieu

Folgt man Bourdieus Argumentation, ist auch die Heterosexualität eine Konstruktion. Dies mag absurd klingen, erscheint doch Heterosexualität als selbstverständliche Sexualität. Aber ein Blick in die Begriffsgeschichte erhellt: Der Begriff der Heterosexualität entstand um 1880 in Abgrenzung zum zuvor entwickelten Begriff der Homosexualität. Eine Erklärung für die gesellschaftliche Konstruktion bietet die Queer-Theory (1). Sie kritisiert die Selbstverständlichkeit von Identitäten und die scheinbare Natürlichkeit der Sexualität. Die gesellschaftlichen Verhältnisse sind durch Heteronormativität geprägt: Die heterosexuellen Normen durchdringen auch noch die letzte Pore der Gesellschaft. Zugleich erscheint Heterosexualität als natürlich. So verwundert nicht, dass lesbische und schwule Jugendliche ein mehr als dreifach höheres Selbstmordrisiko haben. Will man gleichgeschlechtlichen oder transgender Jugendlichen ernsthaft helfen, müsste in Schule und Elternhaus sexuelle Vielfalt vermittelt werden. Denn wenn andere Formen als das heterosexuelle Begehren als normabweichend – selbst im positiven Sinne – gelten, so begreifen sich diese Jugendlichen als defizitär. Dabei wird Politik mit und um Sexualität häufig als Lesben- und Schwulenpolitik fehlverstanden. Selbst in alternativen Kreisen wird sie auf Homo-Ehe und CSD-Paraden verkürzt. Hierbei gelten Lesben, Schwule und Transgender wieder als die Anderen, die Nicht-Heterosexuellen und damit als Abweichung von der gesellschaftlichen Norm.

Judith Butler begreift die geschlechtliche und sexuelle Ordnung der Gesellschaft als heterosexuelle Matrix. In dieser Gesellschaft gibt es nur zwei Geschlechter. Diese sind in der körperlichen und sozialen Rolle klar voneinander zu unterscheiden. Zugleich stehen diese Geschlechter, Mann und Frau, sich gegenüber und beziehen sich in ihrem Begehren aufeinander. Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität werden als Selbstverständlichkeit zu einer Einheit verbunden. In den gesellschaftlichen Strukturen und Institutionen ist die Heteronormativität (Ehe, Ehegattensplitting, geschlechtspezifische Arbeitsteilung usw.) eingeschrieben. Die Macht- und Ressourcenverteilung anhand dieser Norm bestätigt sie und lässt sie als natürlichen Stabilitätskern erscheinen. Sexualität ist so ein Produkt von Macht- und Herrschaftsverhältnissen.

Die Kritik der Heteronormativität versucht, den harten Stabilitätskern des Alltagsverstandes, also Heterosexualität als Selbstverständlichkeit, zu erschüttern, um Sexualität ins Feld der Politik zu rücken. Dieser Perspektivwechsel gewährt nicht den Anderen Rechte, sondern stellt die tatsächlich vorhandene sexuelle Vielfalt in den Vordergrund. Sexualität soll weder belächelt, in der körperlichen Praxis detailliert beschrieben, noch befreit werden.
Eine Politik (auch eine realpolitische) der Kritik an Heteronormativität wäre eine Querschnittspolitik. Sie würde in allen Debatten, von der Sozial-, Familien bis zur Rentenpolitik, die sexuelle Vielfalt der Gesellschaft hervorheben, statt wie bisher implizit von der Normalität des Heterosexuellen auszugehen. Dies ist ein ganzes Stück mehr Arbeit, als den „armen Diskriminierten“ Teilhabe und Rechte zu gewähren.

1 Die Theorie ist eng verbunden mit dem Namen Judith Butler und ihrem Werk „Gender trouble“ (dt. Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a.M., 1991).