Schöner Leben mit neuem Feminismus?

Geschlechterverhältnisse als politische Anliegen

Corinna Genschel und Nadine Sanitter

Seit kurzem sind die Neuerscheinungen „Wir Alphamädchen“ sowie „Neue deutsche Mädchen“ und die damit verbundene Rede um „den neuen Feminismus“ im Feuilleton präsent, als wäre Feminismus zum „Wort des Jahres“ avanciert. Die Schwächen dieser Bücher sind unbeabsichtigt symptomatisch: Nicht nur wird um die Deutungshoheit feministischer Analysen gerungen. Es zeigt sich auch wie die (neoliberal) reformierten Geschlechterverhältnisse in Denkformen und gesellschaftliche Strukturen eingeschrieben sind.

In den Büchern ist zunächst auffällig, dass die Ungleichheit der Geschlechter auf die Vereinbarkeitsfrage sowie auf Karriereschwierigkeiten verengt wird. Bemerkenswert ist, wie sehr der „neue Feminismus“ die Abgrenzung von dem als alt charakterisierten Feminismus braucht. Trotz des Anspruchs, Uneindeutigkeiten und Zwischentöne stark zu machen, werden grobe schwarz-weiß Bilder konstruiert.

Damit arbeiten sie, wie Sabine Hark formuliert, daran, „Feminismus in einer bestimmten Gestalt in der Geschichte zu entsorgen“. Zugleich wird die Wechselwirkung von Geschlechterverhältnissen mit anderen Ungleichheitskategorien verschwiegen.

Dennoch, artikuliert wird ein Bedürfnis nach Gleichberechtigung, die – und das ist das Wichtige der Bücher und Diskussionen – nicht mal für diese jungen, gebildeten, mehrheitsdeutschen Frauen gilt. „Wir Alphamädchen“ formulieren: „Realität ist aber, dass wir weiter um Emanzipation kämpfen müssen, in fast allen Bereichen des Lebens“.
Sehen wir die Autorinnen als Vertreterinnen einer bestimmten Gruppe, ist Form und Kontext, in der das Bedürfnis nach Gleichberechtigung artikuliert wird, interessant. Nancy Fraser sieht in Kämpfen um die Interpretation von Bedürfnissen zentrale Triebfedern sozialer Bewegungen, wie der Frauenbewegungen. Diese Bewegungen kämpfen darum, dass Bedürfnisse, die als individuell gelten, als gesellschaftliche Anliegen wahrgenommen werden; diese haben das Ziel, in die Ordnung der gesellschaftlichen Bedürfnisbefriedigung einzugreifen. Welche Bedürfnisse als private gelten und für welche „die Gesellschaft“ zuständig ist, wirft kritische Fragen an Herrschaft auf. Denn wer und was bestimmt, was zu verteilen ist (z.B. Arbeit), in welcher Form dies geschieht (Sozialstaat) und welche Bedürfnisse wie anzumelden sind? Die „Politik der Bedürfnisinterpretation“ ist in dem Maße herrschaftskritisch, wie es gelingt Ordnungsmechanismen offen zu legen, die der Bedürfnisbefriedigung Form geben. Es ist eine Politik, die auch weh tut, da sie Macht, Herrschaft und Privilegien abschaffen will.

Für die politische Analyse kann es sinnvoll sein, die Wünsche bestimmter Gruppen zum Ausgangspunkt zu nehmen, um darüber gesellschaftliche Verhältnisse besser begreifen zu können – Verhältnisse, die nach Janine Brodie auch von der Re-Formierung der Geschlechterverhältnisse geprägt sind. Unter dem Primat der Ökonomisierung sind sie „dereguliert“ und entpolitisiert. Der Platzanweiser Geschlecht erodiert und intensiviert sich zugleich. Dies zeigt sich z.B. im Sozialgesetz, das Frauen als geschlechtsneutrale Beschäftigte anspricht und parallel dazu Reproduktionsarbeiten wieder stärker in die Familie abschiebt.

Ein Ergebnis dieser Entwicklungen ist nach Sabine Lang, dass Geschlechterverhältnisse kaum noch als Anliegen sprechbar sind, die gesellschaftlicher Lösungen bedürfen. Grenzen von Emanzipation werden erfahren, sind aber Privatangelegenheit geworden. Dabei ist jedoch das Maß von Selbstbestimmung eindeutig zu einer Frage ethnisierter, vergeschlechtlichter Klassenverhältnisse geworden. Die Alphamädchen wollen davon nichts wissen und behaupten, „alle jungen Frauen wollen heute das Gleiche“.

Ist jedoch die Veränderung der hierarchischen Geschlechterverhältnisse über die Vereinbarkeit und Karriere hinaus Ziel von Politik, heißt es mit Knapp auch weiterhin, „eine besondere Aufmerksamkeit für Formen von Gewalt, Deklassierung, Diskriminierung und Identitätszwang“ zu zeigen. Politische Herausforderungen gibt es genug. Zum Schreiben mittelmäßiger Bücher sollte dabei eigentlich keine Zeit bleiben.