Sand im Getriebe

Die deportation.class-Kampagne – ein Angriff auf die rassistische Hegemonie

Katja Grote

15 Jahre ist es mittlerweile her, dass in Deutschland das Asylrecht faktisch abgeschafft wurde und seitdem Zehntausende jährlich abgeschoben werden. An der rassistischen und nationalistischen Debatte im Vorfeld der Grundgesetzänderung beteiligten sich nicht nur die überwiegende Anzahl der MedienvertreterInnen und PolitikerInnen – von Lafontaine bis Schäuble –, die Mehrheit der deutschen Bevölkerung ließ im nationalen Taumel der so genannten Wiedervereinigung ihrem Rassismus freien Lauf. Unter Applaus wurden Flüchtlingsheime angegriffen, (vermeintliche) Nicht-Deutsche in ihrem Leben bedroht oder tatsächlich ermordet. Übereinstimmend wurden dennoch die AusländerInnen, nicht die RassistInnen zum Problem erklärt. Nur wenige protestierten.

In einem gesellschaftlichen Klima, in dem mehrheitlich der Abschottung gegen Flüchtlinge das Wort geredet wurde, startete das bundesweite antirassistische Netzwerk „kein mensch ist illegal“ im März 2000 die Kampagne „deportation.class – Gegen das Geschäft mit Abschiebungen“ – ein Versuch, Kritik an diesem hegemonialen rassistischen Diskurs überhaupt Gehör zu verschaffen. Erst im Mai 1999 war mit Aamir Ageeb erneut ein Flüchtling bei seiner Abschiebung ums Leben gekommen – in einer Maschine der Lufthansa. Auch wenn die Airline nicht für die Abschiebepolitik selbst verantwortlich zu machen ist, so leistet sie doch einen wichtigen Beitrag zu ihrer Durchführung und stellt zugleich das schwächste Glied der Abschiebe¬maschinerie dar. Immerhin kann die effektive Beschmutzung eines teuer erkauften Images zur realen ökonomischen Gefahr für ein Unternehmen werden. Mit der Kampagne sollten Abschiebungen einerseits real erschwert, besser noch verhindert werden, andererseits wurde versucht, die Unmenschlich¬keit und Brutalität der Abschiebung von Menschen, die Schutz suchten oder auf ein besseres Leben hofften, sichtbar zu machen und so zur öffentlichen Auseinandersetzung zu zwingen.

Am Anfang stand ein Plakatwettbewerb, an dem sich zahlreiche KünstlerInnen beteiligten. Das so entstandene Kampagnenmotiv zeigte in den Lufthansa-Farben orange-blau einen verschnürten Passagier. Mit Flyern, die denen der Lufthansa zum Verwechseln ähnlich sahen, wurden günstige Flüge in der „deportation class“ beworben, einem abgetrennten Bereich für Flüchtlinge. Lufthansa dementierte öffentlich und klagte auf Markenschutz. Die Plakatausstellung musste unter Androhung einer Geldstrafe aus dem Netz entfernt werden. Dennoch war dies der erste Erfolg der Kampagne: Der Konzernriese Lufthansa sah sich zur Reaktion gezwungen. In einem Solidaritätsakt spiegelten etliche Gruppen die Ausstellung auf ihren Seiten und machten die Kampagne nur noch bekannter.

Wo Lufthansa fortan für sich Werbung machte, fanden sich ihre GegnerInnen ein. Auf Touris¬mus¬messen, Pressekonferenzen, am Flughafen oder bei Aktionärsversammlungen informierten sie im FlugbegleiterInnen-Outfit mit Flyern, Pressemappen, Postkarten, Plastiktüten, Luftballons und sogar Kinospots über das Abschiebegeschäft des Unternehmens. Parallel zur Aktionärsversammlung der Lufthansa am 20. Juni 2001 brachten schließlich bei einer online-Demonstration mehr als zehntausend Menschen den Server der Lufthansa zeitweise zum Erliegen.

Auch das Flugpersonal wurde gezielt angesprochen. Die Gewerkschaft ÖTV rief daraufhin ihre Mitglieder auf, sich nicht an Abschiebungen zu beteiligen, die PilotInnenvereinigung Cockpit empfahl, niemanden gegen seinen Willen zu befördern. Nicht zuletzt wurden Flugreisende aufgefordert, Abschiebungen durch die Weigerung, sich zu setzen und anzuschnallen, zu verhindern – teilweise mit Erfolg.

Mit einer Vielzahl von Aktionsformen, der Ausrichtung auf Imageschädigung und unter Beteiligung zahlreicher linker Gruppen zwang die Kampagne über mehrere Jahre Lufthansa und Öffentlichkeit zur Beschäftigung mit dem Thema Abschiebungen. Mit der sich weiter verändernden europäischen Asylpolitik wurde aber auch eine neue Ausrichtung antirassistischer Politik notwendig. Der Verlagerung von Abschiebungen auf eigens gecharterte Maschinen versuchte die deportation.class-Kampagne noch zu begegnen, indem sie vor Büros der rumänischen TAROM protestierte und eine Anti-Imagekampagne gegen die LTU startete. Schon bald wurde aber deutlich, dass das Potenzial der Kampagne ausgeschöpft war. Fortan konzentrierte sich „kein mensch ist illegal“ stärker auf die europäische Grenzschutzagentur Frontex und die Auffanglager vor den Grenzen der EU. Wer heute die deutsche und europäische Abschottungspolitik zum Thema und ihre Folgen sichtbar machen will, findet die Betroffenen immer seltener innerhalb Europas. Sie bleiben unsichtbar und ohne Stimme. Für eine antirassistische, antinationale Gegenöffentlichkeit haben sich die Bedingungen weiter verschlechtert. Eine linke Hegemonie ist weit entfernt. Doch Sand ins Getriebe zu streuen, lohnt sich allemal.