An der Basis gibt’s Hausgemachtes

Bei einem Kreisverband der LINKEN

Alexander Wallasch

Wolkenloser Himmel. Manfred Kays blinzelt in die Sonne. Er wartet auf einen Genossen mit Auto. Unter ihm eine ausgetretene Sandsteinschwelle, über ihm der Balken eines alten Holztores. Vor ihm eine Haltestelle. Ein Bus kommt an. Es geht zum Einkaufen: Samstagvormittag wird die Innenstadt zur Shoppingmeile. Auf Kays weißem T-Shirt leuchtet den Konsumenten eine linke Botschaft entgegen. Kays Haar ist grau und locker nach links gescheitelt, seine Brille mit einer Kordel gesichert. Er wirkt ernst, aber nicht reserviert. Selbstbewusst steht er vor dem kleinen Parteibüro. Das Interesse bleibt gering. Den wenigen schiefen Blicken begegnet er gelassen. Mit Berührungsängsten weiß Kays umzugehen: mit den eigenen ebenso wie mit denen seiner Gegenüber.

Manfred Kays Biografie ist rot gefärbt: VVN, DKP, Friedensunion, Krefelder Appell usw. Aber selbst ihn hat der Erfolg der Partei DIE LINKE überrascht. Jahrzehntelang im rauen Ost-West-Konflikt aufgerieben, sind linke Überzeugungen auf einmal hip, sogar meinungsbildend: Ganze Themenkreise werden von Mitbewerbern kopiert. Für Überzeugungen, wie sie heute DIE LINKE äußert, bekamen Alt-West-Linke wie Manfred Kays vor der Wende oft den guten Rat: „Wenn’s euch hier nicht passt, dann geht doch einfach nach drüben!“ Macht man daraus eine prägende Erfahrung, steht zu befürchten, dass ein allzu linksfröhlicher Mainstream den alten Kämpfern schnell zu viel werden könnte.

Noch im Juni 2007 formulierte der Brandenburger Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD): „Die Linkspartei ist im Osten eine Volkspartei. Im Westen ist sie jedoch im Wesentlichen eine Ansammlung von Frustrierten und in anderen Parteien Gescheiterten.“ In einem Jahr kann sich viel ändern: Den Eindruck eines Gescheiterten jedenfalls macht Kays nicht. Auch der Kreisvorsitzende und Neu-Pensionär Gerald Molder, der gerade im neuen Skoda Kombi vorfährt, ist zu wach, um frustriert zu wirken. Er kommt im naturfarbenen Leinenblazer überm rotkarierten Hemd. Molder ist locker im Ton und bestimmend in der Geste: Den Lehrerberuf erkennt man sofort; dennoch fühlt man sich von dem 65-Jährigen angenehm abgeholt. Etwas bleibt allerdings sofort haften: Beobachtet man Molder und Kays bei ihren routinierten Vorbereitungen zum zweiten Kreistag des Braunschweiger Kreisverbandes, wird man das Gefühl nicht ganz los, man sei gewohnt, unter sich zu sein. Es scheint, als wären schnelle Erfolge eine linke Sache nicht. Zwar ist man „angetreten um den neoliberalen Trend der unsäglichen Agenda 2010 zu brechen“, wie Gerald schmissig formuliert, aber Aufbruchsstimmung und Enthusiasmus wollen auch bei ihm nicht in rasender Geschwindigkeit aufkommen. Die Frage bleibt also, wie man jetzt Begeisterung für die Sache abholen will. Linke Politik mit Charme und Chuzpe zu verkaufen bleibt vorerst einigen wenigen fernsehtauglichen Gesichtern vorbehalten.

Die traditionellen linken Kräfte in den neuen Kreisverbänden scheinen sich abwartend selbst unter Denkmalschutz gestellt zu haben. Ganz sicher gilt das für das mittelalterliche Fachwerkwohnhaus, in dessen Erdgeschossladen die Geschäftsstelle des Braunschweiger Kreisverbandes untergebracht ist. Hier arbeitet man in Bürogemeinschaft mit dem Interkulturellen Forum. Solche Wahlverwandtschaften haben immer gute Gründe; in Braunschweig ist der Zwingendste die Finanzlage: Den etwas mehr als einhundert Mitglieder zählenden Verband bleiben kaum hundert Euro monatlich. Und das reicht nicht mal für das Nötigste.

Da das Parteibüro aber nur sieben Quadratmeter klein ist, die auch noch voll gestellt sind mit Ständern voller Vierfarb-Segnungen aus Berlin, wird gewohnheitsgemäß in den Saal der Arbeiterwohlfahrt umgezogen. Molder und Kays laden Kopierer, Fahnen und Plakate in den Skoda. Zwei zufällig vorbeikommende jüngere Genossen fassen zögerlich mit an. Autos fahren vorbei Richtung Europaplatz. Am linken Fenster die deutsche, am rechten die türkische Fahne. Der Skoda fährt unbeflaggt.

„Guten Morgen Genossinnen und Genossen!“ Die Grußformel hallt durch den noch leeren Saal und wird von den Holz verkleideten Wänden zurückgeworfen. Das klingt merkwürdig hölzern und ungelenk. Ein neues Selbstverständnis muss sich erst noch Luft machen. Maximale Entspannung heißt hier, dem Kreisvize auf der Suche nach einem Hammer „Mit Zirkel oder Sichel?“ zu entgegnen.

Der Saal ist leicht abgedunkelt. Büroleiterin Brunhilde Oschmann fragt nach starken Männern, die ihr den Gummi verdeckelten Topf mit selbstgemachten Pichelsteiner aus dem Auto tragen, die Fraktionsvorsitzende im Bezirksrat Gisela Ohnesorge und Ratsherr Udo Sommerfeld stehen in der Küche überm Zuckerkuchen. Das bringt Gerd auf den Plan; die gute Seele des Büros war bisher mit Plakate-Aufhängen beschäftigt: „Liebe Genossen, Finger weg vom Gebäck, das ist doch für die Kaffeepause. Mensch Udo, wird ja auch Zeit, dass sich hier mal ein Mann in der Küche zeigt!“ Manfred weiht derweil zwei Politfrischlinge in die mysteriöse Welt des Zwei-Fähnchen-in-Dosen-Steckens ein. Die grinsen sich einen und vertauschen kurzfristig die Lust am politischen Engagement mit Spaß an Comedy – nicht Scheibenwischer, sondern Loriot und Gelsenkirchner Politbarock. Das Podium wird beflaggt, noch mehr Plakate kommen hinzu. Das Rot der Partei macht sich gut auf Holz. So wirkt es noch verheißungsvoller.

Zur Begrüßung sind 20 Prozent der Braunschweiger Parteimitglieder anwesend. 20 Prozent von 113 – das geht eigentlich gar nicht. Da bliebe was über hinterm Komma. Aber um die Zahl hinterm Komma braucht sich DIE LINKE in naher Zukunft kaum Sorgen zu machen: An den Wahlurnen wächst die Basis schneller. Und da bekommen Zuckerkuchenesser vor 15 Uhr auch keinen auf die Finger.