Gretchenfrage

Was hältst du von … der kulturellen Praxis der Linken?

İpek İpekçioğlu, DJ Ipek

„Ey, bist du links orientiert? Das hört man an deiner Musik.“ Das werde ich des Öfteren gefragt. Dabei mache ich nicht speziell linke Musik, auch wenn ich bei linken Support- oder Solidaritätsveranstaltungen auflege und Stücke von Musikerinnen und Musiker spiele, von denen man weiß, welche politische Gesinnung sie haben. Ich bewege mich also durchaus in der linken Kultur.
Linke Kultur ist dabei meiner Meinung nach immer noch sehr weiß und männlich. Sie ist nicht automatisch feministisch, antirassistisch und kritisch gegenüber anderen Unterdrückungsmechanismen. Politisch wurden viele Freiheiten erreicht, zum Beispiel beim Feminismus. Die jüngere Generation kann nun diese Früchte ernten. Darauf darf man sich aber nicht ausruhen. Denn das kann auch schnell wieder zu Ende gehen, wie uns die Weimarer Republik bewiesen hat. Also: Belasst es nicht beim Früchteernten, sät weitere Bäume!

Luc Jochimsen, Kulturpolitikerin

Gegenfrage: Was ist eigentlich kulturelle Praxis?
Ist das die Kultur, die im Alltag eine Rolle spielt? Also, im Alltag der Linkspartei z.B.? Da fällt mir als erstes das Karl-Liebknecht-Haus ein. Das würde ich am liebsten sofort innen neu einrichten – mit einem lichtdurchfluteten Bücherei-Galerie-Bistro im Erdgeschoss, wo Jeder eingeladen ist zum Lesen, Staunen, Essen, sich informieren, wo es freche Lesungen, schrille Konzerte, ernste Studien, gemeinsames Kennenlernen und hoffentlich viel Lachen gibt. Dieses historische Haus könnte Kult-Ort der Linken werden. Das wäre ein Stück kulturelle Praxis, mit der ich „es gern halten würde.“

Karin Zennig, aktiv in der Gruppe dissident

Die radikale Linke scheint ihre selbstreferenzielle Attitüde abgelegt und von der Identität zur Haltung zurück gefunden zu haben. Die Wiederentdeckung des Sozialen findet ihren Ausdruck im stärkeren Interesse an Akteuren alltäglicher Arbeitskämpfe, Sozialproteste, Verweigerungen und Widerstände. Damit einher geht das Eingeständnis, diesen als MittelschichtsüberzeugungslinkeR oftmals gar nicht anzugehören, sondern in Kontakt mit ihnen kommen zu müssen. Darüber hinaus erleben nicht überbrückbare Interessenskonflikte eine Renaissance. Zu einer gesellschaftlichen Linken ist es zwar damit immer noch ein weiter Weg, aber immerhin.

Walter Baier, Koordinator von transform

Die Neufindung der Linken sehe ich vor allem auch als eine kulturelle Neuerfindung. Im breiten Sinn, als die Art, in der der ganze Mensch lebt. Das würde bedeuten, nicht nur die Produktions- sondern die gesamte Lebensweise auf den Prüfstand zu stellen. Wie halten wir es im Zeitalter des Prekariats mit der Solidarität, wie mit der Demokratie im Alltag, wie mit Feminismus und wie mit ökologisch bzw. global verträglichem Konsum? Kultur bestünde darin, möglichst viel von jener Gesellschaftlichkeit zu leben, für die wir politisch streiten. Ich bevorzuge daher auch eine Kunst, die uns für die Zumutungen unseres eigenen kapitalistischen und patriarchalen Alltags sensibilisiert und damit zur Veränderung herausfordert.

Kai Burmeister, IG Metall, SPD-Linker

Tarifrunden, Klima-Camps und die Kooperation der linken Parteien in Hessen zeigen zunächst wenig Verbindendes. Dennoch sind diese Auseinandersetzungen Bestandteil in der politischen Praxis der Linken im Lande.
Heute ist die Lücke zwischen den gesellschaftlichen Problemen und der Zersplitterung der radikalen Reformkräfte zu groß. Gebraucht wird ein Crossover, bei dem alle Akteure das nötige Maß an Verständnis für die Vielfalt sozialer Auseinandersetzungen und unterschiedlichen politischen Herangehensweisen aufbringen müssen.
Es geht um ein solidarisches Bündnis der Linken aus Arbeit, sozialer Bewegung, Wissenschaft und Kultur. Dafür braucht es Leitbilder und kulturelle Deutung: Profil in Sachen Gute Arbeit und Sozialstaat können wir einbringen.

älkä, freie Künstlerin

mit einem kulturverständnis jenseits von konstantin wecker ist es schwer, den überlieferten ballast mitzutragen, der im umfeld der LINKEN gern zelebriert wird. als sympathisantin, mitglied und somit innenbeobachterin genieße ich vielmehr die „kleine kulturrevolution“, die innerhalb der jugendstrukturen langsam gestalt annimmt. traditionelle lagerfeuergesänge flankieren freundlich elektronische rückzugsräume und nebenan kann trotzdem pogo tanzen, wer so wünscht.
dort wird politik und kunst zunehmend die gleiche beachtung zuteil. erst durch diese kulturelle infrastruktur, die den kleinsten gemeinsamen nenner der inhalte vor dem zerplatzen schützt, wird thematische zusammenarbeit bei großprojekten wie den g8-protesten erträglich.
unklar bleibt, warum kunst und politik sich weiterhin behandeln, wie einander abgeneigte schulkameraden in einer werken-ag: zusammenarbeiten, wenn etwas dabei rausspringt, sonst geflissentlich ignorieren. würden sie freiwillig gemeinsam in den urlaub fahren, könnten sie internationale designpreise abräumen.