26.07.2009

Bleib standhaft, SPD.

Rot-rot in Berlin bei Kindertagesstätten über Kreuz.

Jörg Schindler

Berlin will die Kindertagesstätten kostenfrei machen. Bis 2010 das zweite, bis 2011 auch das dritte KiTa-Jahr. Langfristig sollen auch die Kinderkrippen gebührenfrei werden. Es war ein Wahlversprechen, so wurde es zwischen SPD und LINKE vereinbart. Doch nun bricht Carola Bluhm, voraussichtlich neue sozialistische Sozialsenatorin, die Einigkeit.

LINKE für Qualität, SPD für alle?

Angeblich geht es um die Qualität. Um die sieht es in der Tat nicht optimal bestellt aus; es gibt zuwenig Kinderbetreuungspersonal. Viele Eltern seien deshalb bereit, für eine bessere Qualität in den Kitas einen «gewissen Betrag» zu zahlen, so Bluhm. Bluhm will daher mit den KiTa-Gebühren auch die geplante Gebührenfreiheit selbst kassieren. Die versprochene KiTa-Gebührenfreiheit sei ein Fehler.

Die SPD sieht das jedoch anders. Beachtlich ist jedoch, dass die Sozialdemokraten die Zwei-Scheiße-Argumentation der LINKEN nicht mitmachen. Der SPD-Landesvorsitzende Müller betonte, es stehe außer Frage, dass neben der Verbesserung der Qualität der Betreuung auch das Personal aufgestockt werden müsse. Und Buschkovsky, Bürgermeister des Problembezirks Neukölln, verwies auf die bildungsbürgerliche Argumentationslinie von Bluhm: Besser gestellte Kreise könnten sich leisten, zu sagen, wir zahlen lieber mehr Geld und kriegen dafür mehr Qualität in den Kitas.

gekreuzte Linien

Da ist was dran. Interessanterweise erinnert die Diskussion stark an die verflossene Studiengebührendebatte: Wenn die Studiengebühren doch den Hochschulen zugute kämen und sozial schwächere Studierende hiervon befreit würden, seien sie doch sozial. Auch interessant: 2003 wollte Berlins SPD Studiengebühren einführen, wurde allerdings durch einen Parteitagsbeschluss der damaligen PDS gestoppt, die auf Gebührenfreiheit bestand. Nun argumentieren die Koalitionäre über Kreuz. Während die SPD für die grundsätzliche Gebührenfreiheit plädiert, entdecken linke Senatorinnen in spe ihre Liebe für die Sozialstaffelung von Gebühren im Bildungsbereich.

Bildungsgebühren für Reiche?

Der Vorstoß von Bluhm ist deshalb mehrfach unverständlich.

Zum einen deshalb, weil zwischenzeitlich gerade auch bei den Sozialdemokraten ein deutliches Umdenken in der Bildungsfinanzierung eingesetzt hat. Die PISA-Ergebnisse verweisen auf die Mittelalterlichkeit des deutschen Bildungssystems, auch, was die frühkindliche Bildung betrifft. Auch ohne grundsätzliche Systemkritik liegt auf der Hand, dass Kinderbetreuung bei Muttchen zu Hause nicht grad direkt zum Doktortitel führt. Die SPD ist richtigerweise sogar bereit, nicht in die Gehtallesnicht-Falle zu tappen - natürlich kann man, etwa schrittweise, beides finanzieren. Man muss eben wollen.

Zum zweiten deshalb, weil sich bei der Bildungsfinanzierung exemplarisch die politische Überlegenheit des Öffentlichen gegen das Private erzählen lässt. Vorwärts zum Infrastruktursozialismus.

Zum dritten deshalb, weil auch DIE LINKE (und ihre WählerInnen) ein massives Interesse daran haben müssen, dass auch Kinder von Besserverdienenden mit dem Pöbel zusammen Bildungseinrichtungen besuchen müssen. Denn das nutzt im Zweifel auch den sozial schwachen Kindern - und der Qualität, um die es ja angeblich geht.

Zum vierten deshalb, weil Bildungsgebühren kein Umverteilungsinstrument sind, da sie sozial erwünschtes Verhalten, nämlich Bildung, als Kriterium haben. Sondern das sind die Steuern.

Und zum fünften deshalb, weil DIE LINKE doch auf ihrem Parteitag 2008 in Cottbus die Kindertagesstätte, gebührenfrei und für alle, beschlossen hatte - und damit allen konservativen Zuhausebleiber-Konzepten, auch in der eigenen Partei, eine deutliche Absage erteilte. Und im Übrigen eine eigene Kampagne für die Gebührenfreiheit der KiTas beschloss.

Bleib standhaft, SPD.

Ja, ich fordere die SPD auf: Bleib standhaft. Ich werde Dich zwar weiterhin, aus ganz übergeordneten Gründen, nicht wählen. Aber in dieser Frage hast Du meine unbedingte Sympathie. Und vielleicht kommt DIE LINKE in Berlin dann doch wieder auf den Weg der sozialdemokratischen Bildungsreformen zurück. Schließlich wurden 1970 die Hörergelder flächendeckend abgeschafft. Warum nicht endlich auch die KiTa-Gebühren durch weitere rot-rote Landesregierungen? Das wäre ja schonmal was.