Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Die Redaktion

Frage an Radio Eriwan: Stimmt es, dass die Linke international ist? Antwort: Im Prinzip ja. Weltweit kämpft sie im eigenen Land ums Überleben. Der Rest stimmt.

Der Sozialismus im eigenen als auch derjenige in einem Land ist Geschichte, schon mangels Sozialismus. Aber im eigenen Land kämpft die Linke heute noch. Und das angesichts globaler Wirtschaftskrise, in der das Kapital international agiert - was als Drohung zu verstehen ist. Während die Rechte durch die Welt im Parforce reitet, trabt die Linke müde hinterher, und das auch erst, wenn der letzte nationale Gaul endgültig verreckt ist. Vergessen ist die Zeit, als die Arbeiterbewegung sich als Weltbewegung proklamierte, als die Linke gegen Kriege und Unterdrückung in Fernost und Mittelamerika Menschen auf die Straße brachte - und damit den linken Pferden die Sporen gab. Heute agitiert die Linke für den Erhalt des nationalen Wohlfahrtskompromisses - ehrenwert, aber intuitiv spürt man: Es ist ein bisschen der verlorene Posten, den der linke Don Quichotte hält. Letztendlich aussichtslos der Kampf um den überlebten nationalen Klassenkompromiss, gefochten mit den unterlegenen Waffen nationaler Ritterlichkeit. Eher mitleidig die geschundene Rosinante fordistischer Regulation, die ihre besten Tage hinter sich hat. Bei aller Liebe zu alten Schlachtrössern: Manchmal ist es wohl Zeit, die Pferde zu wechseln.

Vom Internationalismus, dem einst stolzen Ross der Linken, ist gegenwärtig nicht viel zu spüren. Diese Ausgabe haben wir deshalb unter dem Schwerpunkt „Linke und Nation“ gestellt. Enthält der Internationalismus eine sympathisch-optimistische Sicht der Weltgeschichte, erzeugt dagegen die nationale Defensivstrategie dämmriges Trübsal eines Begräbnisses. In dieser Ausgabe kritisiert deshalb Andreas Fischer-Lescano exemplarisch die Begräbnisstrategie der deutschen Linken in der EU-Verfassungsdebatte.

Oder war der linke Internationalismus gar schon immer eine Schimäre, ein lahmer Gaul? Wir haben versucht, die Geschichte der Linken zur Nation nachzuzeichnen und, was schon die historische Sozialdemokratie ihre Liebe zu Deutschland entdecken ließ. Wir streiften weiter: Welche Krämpfe kann die Linke bekommen, wenn sie sich zu Deutschland bekennen soll - und will? Aber wieso verkrampfte auch die anti-nationale, später anti-deutsche Linke dann doch so derart? Was zum Hier und Heute führt: Wie kriegt die Linke die Klappergäule wieder flott, um einen Angriff auf die Welt zu reiten? Wir fanden viele Baustellen.
Bei einigen BauarbeiterInnen fragten wir nach dem Stand der Arbeiten, etwa beim Honoratiorenclub Europäische Linke, beim Reiseunternehmen Europäischer Gewerkschaftsbund und beim Jubelzirkus Weltsozialforum. Wir fragten, ob „Globale Soziale Rechte“ mehr ist als Zauberkugelfernsehen und wo eigentlich Egotronics liebster Ort in Deutschland ist. In unserer Europa-Rubrik gibt's ein Dossier zur politischen und sozialen Situation in Post-Jugoslawien, also nach dem Zerfall einer ganzen Nation. Aber lest selbst.

Hier noch einmal Radio Eriwan an die prager-frühling-Redaktion: Nationale Linke -
übertreibt ihr damit nicht ein bisschen? Antwort: Im Prinzip ja. Aber der Rest stimmt.