bewegt euch!

In neuen Büchern rennen Gorz und Negri der Linken mal wieder voran

Robert Zion

Dass, so André Gorz, „die Scheiße, in der wir heute stecken“, mit Demokratie nur noch sehr entfernt etwas zu tun hat, ist für beide großen alten Männer der europäischen Linken in ihren aktuellen Veröffentlichungen ausgemacht. Und wer Toni Negri schon einmal live erleben konnte, kann sich gut vorstellen, wie es geklungen hat, als es im Interview aus ihm herausbrach: „... doch dafür braucht es Demokratie, Demokratie, Demokratie.“ Auch Gorz erinnert in seinem Vermächtnis eindringlich daran, was politische Ökologie in ihrem Kern bedeutet: „Es ist dies nichts anderes als das Problem der Demokratie.“

Obwohl beide aus höchst unterschiedlichen politischen Zusammenhängen stammen, kommen sie in ihren Gesellschaftsanalysen und daran anschließenden Forderungen zu nahezu identischen Ergebnissen: Negri, der Bewegungslinke aus der „potere operaio“ und der „autonomia“ Italiens der 60er und 70er Jahre und vom Staat verurteilter „Verführer der Jugend“; und Gorz, Sartre-Schüler, „einer der einflussreichsten Sozialtheoretiker der europäischen Linken“ (Peter Glotz) sowie einer der Väter der politischen Ökologie.

Zum fordistischen Wohlfahrtsstaat keynesianischer Provenienz gibt es kein Zurück mehr, da das System selbst eine innere und äußere Schranke erreicht hat. Das zusammenfallende Waren- und Kapitalverhältnis verlangt einen Exodus aus der Arbeitsgesellschaft und eine Gemeinwesenökonomie. Sowohl in Negris Interview-Band als auch in Gorz’ Interview- und Aufsatzsammlung wird dabei vor allem eine Idee in das Zentrum aktueller links-emanzipatorischer Politik gerückt: „Allein schon die Idee eines Existenzeinkommens zeugt von einem Bruch“, betont Gorz. Während Negri hierin sogar schon das Zentrum künftiger sozialer Kämpfe sieht: „Der Kampf um das bedingungslose Einkommen, ist, denke ich, geeignet, zu einem wirklich grundlegenden Konflikt in Europa und in den USA zu werden. Er bietet das Terrain, auf dem sich die ‚Klasse’, die Multitude der Produzentinnen und Produzenten insgesamt bewegen kann.“

In Zeiten, in denen der Interbankenverkehr endgültig tot, die ökologische Grenze erreicht, die weltweite Zerstörung gesellschaftlicher Reproduktionsgrundlagen evident und mit der jüngsten Finanzblase die bisher größte „Beatmungsmaschine des sterbenden Kapitalverhältnisses“ (Robert Kurz) geplatzt ist, braucht es für die wie paralysiert wirkende parteipolitische Linke dann offensichtlich doch noch solcher Weckrufe von ihren philosophischen Vordenkern. „Der Weg aus dem Kapitalismus wird also auf jeden Fall stattfinden, ob auf zivilisierte oder barbarische Weise“, stellt Gorz lapidar fest.

Und dennoch: „Nie habe ich derart gleichgültige Menschen und derart triste Leidenschaften erlebt wie unter der derzeitigen Führung der italienischen Linken, so Negri. „Es sind Bürokraten, Sachbearbeiter, sie sind intellektuell erschöpft.“ So ist es. Also, bewegt Euch! Ludger Volmer, ehemals Parteisprecher der deutschen Grünen, empfahl nach dem jüngsten Desaster der italienischen Gesamtlinken den dortigen Grünen, wieder Toni Negri zu lesen. Gorz’ „Auswege aus dem Kapitalismus“ hätte er gleich mit empfehlen können, nicht nur den Grünen und nicht nur denen in Italien, sondern dem gesamten technokratisierten Funktionärskader der parteipolitischen Linken Europas.

Info:

Antonio Negri/Raf Valvola Scelsi: Goodbye, Mr. Socialism. Das Ungeheuer und die globale Linke, Berlin: Tiamat, 2009.
André Gorz: Auswege aus dem Kapitalismus. Beiträge zur politischen Ökologie, Zürich: Rotpunktverlag, 2009.