germany: zero points

Nationale Befindlichkeiten beim Eurovision Song Contest

Christiane Graf

Alle Jahre wieder wird der Eurovision Song Contest ausgetragen. Er ist eines der großen TV-Pflichtereignisse, lassen sich doch nationale Befindlichkeiten und Vorurteile selten auf so amüsante Weise wie hier beobachten.

Freunden des schwarzen Humors wird es nicht schwer fallen, sich für diese Veranstaltung zu begeistern: Der ESC ist ein Musikwettbewerb mit dem Ziel, in grotesken Kostümen Lieder mit Titeln wie “Boom Bang-a-Bang”, “Ding-A-Dong” oder “Diggi-Loo Diggi-Ley” zu singen (so die Gewinnertitel der Jahre 1969, 1975 und 1984). Es gibt tatsächlich einen Monty-Python-Sketch, in dem Inspector Jean Paul Zatapathique den Europolice Song Contest mit dem Nonsens-Lied “Bing Tiddle Tiddle Bong” gewinnt. Fraglich ist, ob hier noch die Realität parodiert wird oder ob es sich nicht umgekehrt verhält, gemäß der These von Kracauer: „Kein Kitsch kann erfunden werden, den das Leben nicht überträfe.“

Trotzdem herrscht in Deutschland immer noch der Glaube, dass es beim ESC um die Vorherrschaft auf dem Feld der Kultur gehe. Das Erreichen eines der vorderen Plätze wird zum Staatsziel erklärt und die Identifikation mit dem deutschen Wettbewerbsbeitrag zur heiligen Pflicht. Dumm nur, wenn das Lied höchstens mittelmäßig ist, wie auch in diesem Jahr. “Miss Kiss Kiss Bang” hieß der Song, der von einem Duo namens “Alex Swings Oscar Sings” dargeboten wurde, eine irgendwo zwischen Modern Talking, Roger Cicero und Scooter angesiedelte Krawall-Nummer. Die deutschen Medien merkten nach dem Auftritt völlig ironiefrei an, dass der Sänger im Gegensatz zu den No Angels im letzten Jahr immerhin alle Töne getroffen habe und das schlechte Abschneiden (20. Platz) daher nicht an der Gesangsleistung habe liegen können.

Die Bühnenshow, der zweite wichtige Bewertungsfaktor, erstaunte noch mehr als das Lied selbst: Zwei Tänzerinnen turnten vor einer 40er-Jahre-Kulisse um den silberne Leggins tragenden Sänger herum. Der stakkato-artige Tanz der beiden Damen wirkte wie eine Salve aus einem Maschinengewehr, und man konnte sich gut vorstellen, dass sie im Dritten Reich eine große Karriere als Bühnenstars erwartet hätte. Ist das der unverkrampfte Umgang mit der eigenen Geschichte, der allerorts gefordert wird?

Unfreiwillig komisch war denn auch die angesäuerte Stimme des deutschen Moderators, als er ein ums andere Mal “Germany: Nul Points” kommentieren musste. Erklärungen sind natürlich schnell bei der Hand, können so doch alte Feindschaften ganz ungehemmt ausgelebt werden: Die osteuropäischen Staaten bildeten ein Kartell, das sich gegenseitig Punkte zuschöbe. Daher sei es auch kein Wunder, dass Norwegen dieses Jahr gewann, denn der Sänger wurde in Minsk geboren. Auch die baltischen Staaten ebenso wie der skandinavische “Wiking-Block” sähen sich als kulturelle Einheiten und schenkten sich gegenseitig großzügig Punkte. Da ihm seine Nachbarländer eher wenig freundlich gesinnt seien, wäre Deutschland benachteiligt und die regelmäßig erreichten hinteren Plätze auch nicht verwunderlich. Die Behauptung, dass manche Länder sich gegenseitig die Punkte zuschöben, kann mit Hilfe der ESC-Statistik leicht widerlegt werden. Und der Grund dafür, warum keines seiner Nachbarländer Deutschland besonders gut leiden kann, ist mit etwas Kenntnis der Geschichte auch leicht gefunden.

Natürlich ist der ESC ein Spektakel des Oberflächlichen und Künstlichen, doch gerade dies kann den Blick für die absurden Debatten um die angemessene Repräsentation einer Nation schärfen. Im Grunde sind kulturelle Unterschiede der dargebotenen Songs nicht wahrnehmbar, sie bestehen alle aus den gleichen Versatzstücken - das scheinbar Typische wird häufig erst für diesen Anlass erfunden. Die vermeintliche Authentizität entlarvt sich damit als ebenso konstruiert wie die Nation selbst.

Die Eurovision Song Contest TOP 5

Die Hitliste der trashigsten Songs des ESC. Völlig objektiv, natürlich.

1. Verka Serduchka: Dancing Lasha Tumbai[1]

(2. Platz 2007, Ukraine)

Ein als Frau verkleideter Sänger, glitzernde Uniformen und ein
Refrain, den jeder mitsingen kann - die perfekte Umsetzung des
ESC-Prinzips.

2. Herreys: Diggy-Loo Diggy-Ley[2]

(1. Platz 1984, Schweden)

Schwedens erste Bougroup: Drei Brüder mit goldenen Schuhen zogen aus,
um mit ihrem Lied die Welt zu erobern.

3. Teach-In: Ding-A-Dong[3]

(1. Platz 1975, Niederlande)

Der Klassiker des sinnfreien Gute-Laune-Schlagers: Ganz gleich, wie es
Dir gehen mag, sing dieses Lied und alles wird gut!

4. Lulu: Boom bang-a-bang[4]

(1. Platz 1969, Großbritannien)

Direkt aus dem Land, wo rosa Kätzchen auf Bäumen wachsen und der
Li-La-Launebär Chef des Geheimdienstes ist.

5. Sébastian Tellier: Devine[5]

(19. Platz 2008, Frankreich)

Er arbeitet mit Daft Punk und Mr. Oizo zusammen, tourte mit Air und
Röyksopp. Tja, so ist das beim ESC: Alles, wirklich alles ist möglich.

And now for Something Completely Different

Monty Pythons Chief Inspector Jean Paul Zatapathique, the singing
forensic expert from the Monaco Murder Squad wins the Europolice Song
Contest.[6]


Links:

  1. http://www.youtube.com/watch?v=mY1AnCJsxDk&feature=related
  2. http://www.youtube.com/watch?v=UTFec_mrD-c&feature=related
  3. http://www.youtube.com/watch?v=jF7f38-5pp8
  4. http://www.youtube.com/watch?v=fV9Ea5rKOR0
  5. http://www.youtube.com/watch?v=A0D0ZxjpbkM&feature=related
  6. http://www.youtube.com/watch?v=vL8XYBo2gPQ&eurl=http%3A%2F%2Fpythonline.com%2Fforum_topic%2Fmashcaster_pythonizer_discussions%2Fwhat_is_making_you_happy_or_laugh_right_now&feature=player_embedded