Replik auf Andreas Fischer-Lescano

Fabio De Masi
Fabio De Masi

Andreas Fischer-Lescano hat Unrecht. In seinem Beitrag für den prager frühling 05 (Oktober 2009) “hier ist die rose, hier tanze”[1] unterstellt er der LINKEN, sie führe ein nationales Abwehrgefecht gegen den Vertrag von Lissabon Der Jubel über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon sei unangebracht. Die Bestätigung des Parlamentsvorbehalts bei Militäreinsätzen etwa, verhindere noch keinen völkerrechtswidrigen Krieg. Der Beitrag ist angesichts der Qualitäten von Andreas Fischer-Lescano enttäuschend.

1. DIE LINKE. führt keine nationalen Abwehrgefechte sondern sie sorgt sich um die Substanz parlamentarischer Kontrolle. Die Defizite des Urteils wurden dabei nicht übersehen, etwa in der Wirtschafts-und Sozialpolitik. Dies war ausdrücklich Bestandteil der Klageschrift der LINKEN. Das Urteil hat die von der LINKEN vorgebrachten Einwände, etwa die vom Europäischen Gerichtshof praktizierte und grundgesetzwidrige Abwägung von Grundfreiheiten des Binnenmarktes und Menschenrechten jedoch abgewiesen. Andreas Fischer-Lescano weiß als Jurist das eine Klage gegen den Vertrag von Lissabon schon aus formalen Gründen bei der parlamentarischen Kontrolle der Europapolitik ansetzen musste. Jedoch verschweigt Fischer-Lescano unsere zentrale Botschaft, wie sie etwa in der Forderung nach Volksabstimmungen bei wesentlichen EU-Vertragsänderungen auch durch den ehemaligen Bundesrichter und linken Abgeordneten Neskovic formuliert wurde: “Mehr Demokratie in Europa wagen!”

2. Das der Parlamentsvorbehalt bei Kriegseinsätzen keine Kriegseinsätze verhindert ist banal. Die parlamentarische Kontrolle von Kriegseinsätzen gering zu schätzen, ist aber fahrlässig. Sie zeigt von einem technokratischem oder wahlweise elitärem Verständnis einer parlamentarischen Demokratie. Das Parlament soll nicht nicht nur über Militäreinsätze entscheiden, um Regierungsgewalt einzuhegen, sondern um eine kritische Öffentlichkeit zu ermöglichen. Man stelle sich vor die Friedensbewegung müsste jedes mal eine Zugfahrkarte nach Brüssel lösen, um den Abzug der Bundeswehr oder eines Tages der EU-Battle Groups aus Afghanistan einzufordern. Das wäre gut für die belgische Eisenbahn, aber schlecht für Afghanistan.

3. Über die fehlende europäische Öffentlichkeit verliert Fischer-Lescano kein Wort. Die wohlgemerkt europäischen Proteste gegen die Dienstleistungsrichtlinie etwa waren Ergebnis einer kritischen Öffentlichkeit in den betroffenen Mitgliedstaaten. Die Dienstleistungsrichtlinie wurde nicht durch das Europäische Parlament sondern den Bundestag skandalisiert. Europas Arbeitnehmer sind nicht alle Erasmusstudenten, die in Fisher-Lescano's Seminaren sitzen.

4. Martin Höppner von der Max-Planck-Gesellschaft weist in einem Beitrag für das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung nach, dass selbst die Forderung der LINKEN nach einer sozialen Fortschrittsklausel vermutlich wirkungslos wäre. Die Klausel soll arbeitnehmerfeindliche Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) wie in den Fällen Laval, Viking, Rüffert verhindern. Er verweist darauf dass der EuGH nicht ohne Grund europäische Grundrechte geschaffen hat. Nur dadurch kann der EuGH den Vorbehalt nationaler Verfassungsgerichte, EU-Rechtsakte auf Vereinbarkeit mit den Grundrechten zu überprüfen, umgehen und gleichzeitig einen faktischen Vorrang der Binnenmarktfreiheiten vor den Grundrechten etablieren. Die Grundrechtecharta wird in ihrer Geltung in den Schlussbestimmungen des Art. 52 kastriert, auch sie gilt nur in den Grenzen der Freiheiten des Binnenmarktes. Die Forderung nach einer nationalen verfassungsgerichtlichen Kontrolle von EU-Rechtsakten hat daher nichts mit nationaler Romantik zu tun, sondern folgt der Notwendigkeit europäisches Richterecht einzuhegen. Die EU hat im Bereich des Verbraucherschutzes oder der Antidiskriminierung auch fortschrittliche Ansätze. Dies folgt der Logik der Harmonisierung des Binnenmarktes. Das eine nationale verfassungsgerichtliche Kontrolle daher im Einzelfall auch zu Konflikten mit arbeitnehmerfreundlicher Rechtsprechung führen kann ist richtig. Doch auch auf nationaler Ebene bürgt ein Gerichtsverfahren nicht dafür, dass es immer zu Gunsten eines Arbeitnehmers ausgeht. In jedem Fall gilt aber: “„Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit” (Rousseau)

5. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt in einem Gutachten zum “Spannungsverhältnis zwischen EU-Recht und der Re-Regulierung der Finanzmärkte” gar zu dem Schluss, dass die Einführung der in einigen Mitgliedstaaten noch geltenden Börsenumsatz-, einer Devisenumsatz- (Tobin Tax) sowie einer Finanztransaktionssteuer in Konflikt mit der Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 63 AEUV gerät. Daran würden auch wechselnde politische Mehrheiten nichts ändern, denn der harte Kern der europäischen Integration sind Verträge. Um die Verträge der EU zu ändern bedarf es einer Ratifikation von 27 Mitgliedstaaten. Mit anderen Worten ein neoliberales Dorf in Europa genügt, um ein besseres Europa zu verhindern.

6. DIE LINKE. hat Vorschläge wie eine gouvernance èconomique, europäische koordinierte Konjunkturprogramme und die soziale Fortschrittsklausel in die Diskussion gebracht. Der Widerstand gegen Lohndumping durch die verschärften Zumutbarkeitsregelungen von Hartz IV (”Das europafeindlichste Gesetz” – Oskar Lafontaine) ist einer der edelsten Dienste an der europäischen Integration, denn Deutschland gefährdet mit seinen chronischen Exportüberschüssen die europäische Währungsunion. Wer all dies anti-europäisch nennt ist blind und verkennt in intellektueller Selbstverliebtheit das Ausmaß der Entfremdung der breiten Bevölkerung vom Europa der Eliten. Die Entfremdung von den Eliten ist keine Petitesse sondern eine der wichtigsten Lehren aus dem Realsozialismus.

Für DIE LINKE. muss gelten weder tumbe Treueschwüre auf die Nation noch auf die EU. Wir bleiben nur einer Sache treu, Politik im Interesse der Mehrheit von 490 Millionen Menschen in der EU (und Jener die an ihren Außengrenzen täglich sterben).

„Idou Rhodos, idou kai to pêdêma“ („Das was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie)!

Zum Autor:

Fabio De Masi ist Volkswirt und Master in Internationalen Beziehungen. Er ist wissenschaftl. Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Alexander Ulrich und schreibt in seiner persönlichen Eigenschaft.

Links:

  1. https://www.prager-fruehling-magazin.de/de/article/375.8222-hier-ist-die-rose-hier-tanze-8220.html