10.01.2010

Eskalation oder Isolation?

Anmerkungen zum Artikel „Breit statt eng“ von Steffi Graf, Frederike Benda, Ben Stotz und Oskar Stolz, insbesondere zur Forderung eines Besetzungsstreiks.

Dominik Düber (Mitglied im Beirat des BdWi und Gründungsmitglied von Die Linke.SDS)

Die beiden Bildungsstreiks im Juni und November 2009 sind ohne Frage die erfolgreichsten Proteste gegen ein sich stetig verschlechterndes Bildungssystem seit einigen Jahren. Selbst gegenüber den beiden vorausgegangenen großen Protestbewegungen, dem Lucky Streik 1997 und UNiMUT 1988 weisen sie einige Vorzüge aus: Sie wurden von langer Hand von einem breiten Bündnis geplant und entstanden nicht aus spontanem Unmut. Ihnen gelang die breite Einbindung von SchülerInnen. Sie erhoben nicht nur ständische Forderungen, sondern kritisierten grundsätzlich das vorherrschende Bildungsverständnis. Und sie fanden Antworten auf die Frage, wie Protest unter veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erfolgreich sein kann.

Vereinbarkeit von Studium und Protest

Gerade dieser letzte Punkt wird in Breit statt eng ausgespart. Die AutorInnen benennen richtigerweise die langfristige Planung und die geschickte Vernetzung von bundesweitem und dezentralem Protest als Gründe des Erfolgs. Als weitere Gründe kommen aber mindestens noch hinzu, dass mittlerweise niemand mehr vollständig leugnen kann, dass die Hochschulreform der letzten Jahre sich als dysfunktional, selbst in ihrem eigenen Paradigma (Berufsbefähigung, Internationalisierung etc.), herausgestellt hat. Man findet niemanden mehr, der für ihre Einführung verantwortlich sein will. SchülerInnen und Studierende haben also ein breit geteiltes Anliegen artikuliert. Hierin dürfte eine Ursache für einen zweiten Erfolgsgrund liegen. Wie schon der Lucky Streik erfreute sich der Bildungsstreik insgesamt einer sehr positiven medialen Berichterstattung, die spürbar dazu beitrug, die Bildungspolitiker und Hochschulrektoren unter Druck zu setzen, ohne dass dafür eine noch nie gesehene Anzahl an Aktiven erforderlich gewesen wäre.
Ein dritter, von Graf et al. nicht diskutierter, aber doch ganz entscheidender Erfolgsgrund, dürfte die pragmatische Protestform (bei teilweise durchaus weitgehenden Inhalten) gewesen sein. Verlor der Lucky Streik gerade dann deutlich an Kraft und Beteiligung, als für die Aktiven der „Verlust“ eines Semesters drohte, hat der Bildungsstreik diese Problematik geschickt umgangen. Er wurde, zumindest zunächst, zeitlich befristet und ermöglichte damit auch jenen die Beteiligung, die in der gegenwärtig angespannten gesellschaftlichen Situation Angst haben, Zeit zu verlieren oder sich dies finanziell ohnehin nicht leisten können. Kurz gesagt: Man konnte mal eine Woche protestieren und dann weiter studieren. Neben der zeitlichen trug auch die räumliche Beschränkung zum Erfolg bei: Es wurde nicht der Versuch unternommen, ganze Fakultäten oder Universitäten zu besetzen, sondern lediglich einzelne Hörsäle zwar für jeden sichtbar besetzt, ohne aber den Uni-Betrieb als Ganzes zum erliegen zu bringen. Dies ist nicht deshalb ein Erfolg, weil damit die Auseinandersetzungen mit Hochschulleitungen und ggf. Polizei geringer gehalten wurden, sondern weil lähmende Auseinandersetzungen zwischen Studierenden vermieden wurden.

Besetzungsstreik: Eher Isolation als Eskalation

Schaut man sich die Besetzungsstreiks der Vergangenheit an, hatten diese in der Regel zwei große Probleme: Man setzt nicht, wie im Unternehmen, in erster Linie eineN ArbeitgeberIn unter Druck, sondern vor allem (zumindest in deren Wahrnehmung) jene Studierende, die zügig studieren wollen oder müssen. Dies führte zu heftigen Streitigkeiten unter den Studierenden (bis zu Studierenden, die selber die Polizei riefen, um in ihren Hörsaal zu kommen oder studentischen Initiativen wie www.studieren-jetzt.de), die es den ProtestgegnerInnen leicht machte, die Legitimität der Besetzungen in Frage zu stellen. Das zweite Problem ergab sich aus diesen Auseinandersetzungen und der zeitlichen Unbefristetheit: Die Beteiligung wurde immer geringer und irgendwann ging die Besetzung sang- und klanglos unter.
Graf et al. stellen richtig fest: Viele Studierende haben sich im Bildungsstreik punktuell beteiligt, ohne ihren Uni-Alltag generell ruhen zu lassen. Ein Besetzungsstreik, der diese nun dazu zwingt, ihren Uni-Alltag ruhen zu lassen, wird aber vermutlich eher deren Widerstand als deren Zustimmung nach sich ziehen. Weiterhin fordern Graf et al.: „Der Beschluß eines Besetzungsstreiks muß gut vorbereitet sein, weil er nur funktionieren kann, wenn die Mehrheit der Studierenden hinter ihm steht“. Selbst wenn man optimistisch ist, dürften sich am Bildungsstreik aktiv an den erfolgreichen Hochschulen vielleicht 2%, an den weniger erfolgreichen vielleicht eher 0,25% der Studierenden beteiligt haben. Es ist also nicht absehbar, dass dies in Zukunft eine Mehrheit tun wird.
Wer also tatsächlich die Protestform des Besetzungsstreiks wieder aufleben lassen will, sollte nicht so tun, als sei dieser so einfach zum Erfolg zu führen. Auch Vollversammlungen werden in der Regel nur von einer Minderheit der Studierenden besucht und garantieren mitnichten eine mehrheitliche Unterstützung, geschweige denn eine inhaltliche Hegemonie. Will man den Besetzungsstreik dennoch, muss man jenen, die ihn, häufig erstmals, durchführen sollen, auch sagen, worauf sie sich einlassen: heftige Auseinandersetzungen, gerade auch mit den Studierenden, die mit dem Verlust eines Semesters existenzielle Ängste, die durchaus eine materielle Grundlage haben können, verbinden.
Neben einer Eskalation könnte die Folge also ebenso in einer Frustration und Minimierung der Aktiven einerseits, sowie in einer Isolation von denjenigen, die sich aus Angst, Leistungsdruck und finanziellen Problemen nur punktuell engagieren wollen andererseits sein.

Aufgaben des SDS

Der SDS täte entsprechend gut daran, nicht einfach alte Protestformen (die schon unter damaligen Bedingungen große Probleme hatten) wieder zu beleben, sondern sich selbst der Herausforderung zu stellen, in veränderten Rahmenbedingungen angemessene Strategien zu finden. Mit einer angemessenen Analyse könnte er dabei von den Erfahrungen des Bildungsstreiks lernen.
Allerdings sollte der SDS auch nicht übersehen, dass selbst die hervorragendste Strategie den Bildungsstreik nicht dauerhaft am Leben erhalten können wird. Proteste im Bildungssystem waren immer zyklisch und werden kaum dauerhaft sein können. Es wäre (zwar positiv aber) eher überraschend, sollte der Bildungsstreik 2011 noch wahrnehmbar existieren. Aufgabe eines Verbandes wie des SDS wäre also nicht nur, sich Gedanken über die Zukunft des Bildungsstreiks zu machen, sondern auch eine eigenständige Perspektive zu entwickeln, die kaum nur darin bestehen kann, in der jeweils aktuell hoffnungsvollsten Bewegung aufzugehen. Als Verband trägt er auch die Verantwortung dafür, gerade dann für Kontinuität zu sorgen, wenn keine hoffnungsvolle und erfolgreiche Bewegung zu sehen ist.