hoffnungsträgerin unserer zeit

Thesen der Redaktion zu Klimagerechtigkeit

1. Naturverhältnisse

Mensch und Natur sind nicht als Gegensatz, sondern nur in Zusammenhang denkbar. Der Mensch ist Teil der Natur und hat sich gleichzeitig als gesellschaftliches Wesen herausgehoben. Weil also Mensch und Natur untrennbar verbunden sind, ist jede menschliche Tätigkeit mit der Veränderung der Natur verbunden. Es gibt immer nur Naturverhältnisse, nicht „den“ Menschen und „die“ Natur. Wir denken den Erhalt unserer Umwelt als Grundlage unseres Lebens gemeinsam mit unserem Interesse, selbst menschlich zu leben. Hieraus entsteht die „ökologische Frage“, die wir anthropozentrisch beantworten. Zurückzuweisen sind alle Versuche, der „abstrakten Natur“ Vorrang vor dem menschlichen Dasein einzuräumen oder gar „den Menschen als größten Feind der Natur“ anzusehen. Wie die Naturverhältnisse sich gestalten, ist Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzung und damit ein politisches Handlungsfeld, in dem unterschiedliche Vorstellungen für eine Ausgestaltung der Naturverhältnisse miteinander ringen.

2. Globale und sozialen Gerechtigkeit

Der ärmere und verwundbarere Teil der Menschheit ist vom Klimawandel beispielsweise durch Überschwemmungen und Dürre zuerst betroffen. Der Bericht des Klimarates der Vereinten Nationen enthält diesbezüglich erschreckende Prognosen: Während Malaysia droht, im Meer zu verschwinden, werden auf dem afrikanischen Kontinent in den kommenden zehn Jahren zusätzliche 75 bis 250 Millionen Menschen unter Wassermangel leiden. Innerhalb eines Landes sind es ebenfalls die Ärmeren, die besonders unter den Folgen des Klimawandels und der Umweltverschmutzung zu leiden haben. Prekäre Lebens- und Wohnsituationen nehmen weiter zu. Wer Geld hat, kann in überschwemmungssichere Gegenden umziehen. Wer Geld hat, kann sich ein Häuschen im Grünen leisten. Wer kein Geld hat, dem bleibt oft keine Wahl als das Leben an lauten Straßen oder in Vierteln mit krebserregender Feinstaubkonzentration. Der Kampf für soziale und globale Gerechtigkeit muss also den Kampf für Klimaschutz einschließen oder er geht am zentralen Problem vorbei.

3. Der Klimawandel ist existentiell

Der Klimawandel in seiner jetzigen Form ist – und dies ist durch die so genannte Fußabdruckmethode bewiesen – durch menschlich bedingte Umweltverschmutzung verursacht. Seine Folgen sind enorm und bedrohen zunehmend zivilisatorische Errungenschaften sowie die menschliche Existenz an sich. Wer also die ökologische Frage als Nebenwiderspruch abtut, irrt gewaltig. Denn: All die von der ArbeiterInnenbewegung erkämpften Rechte, all die sozialen Fortschritte, wie branchenspezifischer Mindestlohn, können über kurz oder lang vom Klimawandel im wahrsten Sinne des Wortes weggespült werden. Der Kampf um Klimagerechtigkeit ist eine existentielle Aufgabe und die Herausforderung unserer Zeit.

4. Ökologie und Produktionsverhältnisse

Klimawandel und Umweltverschmutzung sind Ausdruck dessen, dass sich in einer kapitalistischen Gesellschaft tendenziell die freigesetzten Produktivkräfte sich durch den Druck der Profitlogik menschenfeindlich entladen und damit in Destruktivkräfte verwandeln können. Sie sind zudem Ausdruck dafür, dass dem unter diesen Bedingungen produzierten Reichtum die Tendenz innewohnt, neue Armut zu schaffen. Deshalb sind soziale und ökologische Fragen häufig – obwohl zunächst gegensätzlich wahrgenommen – durchaus jeweils Gegenstand des gleichen gesellschaftlichen Konflikts: den Konflikt um eine aus menschlicher Sicht sinnhafte Form der Produktion. Perspektiven einer sozialistischen Ökologie sind zu entwickeln und auszubuchstabieren.

5. Bei Verschmutzerindustrien ansetzen

Häufig setzen Maßnahmen zum Energiesparen an den Verbraucher/-innen an. Nun können auch sie ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten (mehr dazu unter Pro und Contra zum politischen Konsum auf den Seiten 28, 29). Inakzeptabel wird es jedoch, wenn die Maßnahmen so ausgestaltet sind, dass gerade die Ärmsten besonders viel wegtragen müssen, während die Produzent/-innen ausgespart bleiben. Eine Aufforderung zum kollektiven Frieren für Arme hat mit nachhaltiger Umweltpolitik nichts zu tun. Eine solche Politik untergräbt die Akzeptanz für Klimaschutz in der Bevölkerung. Nachhaltiger Klimaschutz muss zunächst bei den Produzent/-innen, also der Verschmutzerindustrie ansetzen.

Dazu gehören internationale Regeln zur Internalisierung der externen Kosten. Zu den externen Kosten von Emissionen gehört die Zerstörung von Lebensräumen, die Schäden, die durch Extremwetterlagen entstehen, die Krankheiten und Todesfälle, die durch Umweltverschmutzung befördert werden. All diese Kosten sind nicht in den Kosten für Sprit und Kerosin enthalten. Diese Kosten muss die Allgemeinheit tragen. Die Konzerne, die Gewinne machen, dabei Abgase und damit Umweltverschmutzung produzieren, müssen nur die allgemeinen Transportkosten bezahlen. Unternehmen, deren Logistik auf lange Transportwege angelegt ist, zahlen nur die allgemeinen Spritkosten. Die Umweltbewegung fordert deswegen zu Recht seit langem, dass die Verursacher auch die externen Kosten zu tragen haben. Vorstellbar wäre dies durch eine entsprechende Besteuerung der von Unternehmen verursachten Emissionen.

6. Akteure I: Die neue Klimabewegung

Es gibt eine global vernetzte Bewegung für Klimagerechtigkeit. In Kopenhagen war eine Bewegung zu erleben, die sich durch eine Aktions-Orientierung auszeichnet, die Fragen der Ökologie verbindet mit der Kritik der Produktionsverhältnisse und die anknüpft an Aktionsformen aus Gipfelprotesten sowie Formen des zivilen Ungehorsams. Die neue Klimabewegung ist aus zwei Gründen eine Hoffnungsträgerin unserer Zeit: Erstens kämpft sie für globale Klimagerechtigkeit und für die Abwendung existenzieller ökologischer Bedrohungen. Zweitens kann sie zu einem Laboratorium für eine neue Linke werden, die global vernetzt ist, soziale und ökologische Problemlagen zusammenbringt und dabei politisches Handeln neu denkt und attraktiv macht. Positiv an der neuen Klimabewegung ist deshalb auch, dass sie bisher nicht zum Spielfeld der dogmatischen Beton-Linken geworden ist (siehe dazu den Beitrag zur neuen Klimabewegung auf den Seiten 14, 15).

7. Akteure II: DIE LINKE: Gut aufgestellt, doch im Konflikt

Programmatisch ist DIE LINKE gut aufgestellt. So gehen die Forderungen im Bundestagswahlprogramm, z.B. zu erneuerbaren Energie, über die Forderungen der Grünen hinaus. Im Wahlprogramm ist DIE LINKE, auch dank der Arbeit engagierter roter Umweltpolitiker/-innen, sehr klar, spricht sich gegen den Bau neuer Kohlekraftwerke und gegen den Neubau von Autobahnen aus. In der Praxis und im politischen Alltag sieht es komplizierter aus. Vor Ort stimmt man dann doch recht gerne in den Ruf nach weiteren Autobahnanschlüssen an. Und wenn es um Arbeitsplätze, wie bei Opel oder im Bergbau, geht, wird die Relevanz des ökologischen Umsteuerns schnell relativiert (siehe dazu auch die DIE-LINKE-im-Konflikt-Interviews auf den Seiten 30, 31).

8. Globale Steuerungsmechanismen

Globale Steuerungsmechanismen einer Weltklimapolitik sind gegenwärtig nur wenig entwickelt. Marktförmige Steuerungsmechanismen, wie etwa der Handel mit Emissionszertifikaten, sind als Marktmechanismen strukturell so angelegt, dass sie die Position der ökonomisch Stärkeren stärken. Die Kapitalakkumulation findet ihr ökologisches Pendant in den Emissionszertifikaten. Diejenigen Länder, die bereits entwickelte Produktivkräfte haben, haben in der Regel mehr Möglichkeiten weitere Rechte zur Umweltverschmutzung zu erwerben als Länder mit geringer entwickelten Produktivkräften. Insofern verschärfen marktförmige Instrumente die bestehende globale Ungerechtigkeit. Wer es ernst meint mit der globalen Gerechtigkeit, muss sich folgender Herausforderung stellen: Um die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu verhindern, muss es global zu einer enormen Reduktion der Emissionen kommen. Diese Reduktion müssen die westlichen Industrienationen erbringen. Während die notwendige Entwicklung der Produktivkräfte in den Entwicklungsländern wohl nicht ganz ohne ein quantitatives Wachstum zu realisieren ist. Allerdings sollten diese Regionen nicht die Fehler der westlichen Welt wiederholen. Konkret bedeutet das: Anstatt zuerst den Irrweg mit Atomkraftwerken und Spritschleudern weiterzuverfolgen, empfiehlt es sich die flächendeckende Energieversorgung auf Grundlage erneuerbarerer Energien (siehe dazu das Interview mit Hermann Scheer ab Seite 33) sowie die Mobilität für alle auf Grundlage von Bus und Bahn – auch für die Armen im globalen Süden – zu befördern. Die ärmeren Länder haben ein Recht darauf, die Entwicklung der westlichen Welt nachzuholen. Aber hier empfiehlt sich ein Aufholen ohne das Wiederholen der Fehler. Konkret könnte das bedeuten: Produktionsstätten für Fahrräder oder für Brennstoffzellenautos statt Fabriken, in denen Spritschleudern hergestellt werden. Konkret sollte das bedeuten, soziale Bewegungen und andere zivilgesellschaftliche Akteure an diesen Prozessen zu beteiligen, anstatt die „Organisierung von Fortschritt“ den Eliten und dem Kapital zu überlassen.

9. Streit der Strategien – Für einen Red Green Deal

Mit welcher Strategie auf diese Herausforderung zu reagieren ist – darüber ist eine heftige Debatte entbrannt. Im Umfeld der PDS wurde das Modell des sozial-ökologischen Umbaus diskutiert, welches aktuell etwas in Vergessenheit geraten scheint. Die Grünen und ihr Umfeld setzen aktuell auf das Konzept des Green New Deals, der auf Wachstum im ökologischen Sektor, auf eine Konversion von unökologischen Arbeitsplätzen hin zu Jobs im Bereich erneuerbare Energie setzt. Linke und linksradikale Kreise kritisieren den Green New Deal als einen neuen Klassenkompromiss, da er innerhalb der kapitalistischen Eigentums- und Wachstumslogik bleibt und setzen sich stattdessen für Ökokommunismus ein.

Wir meinen, die parteipolitische und gesellschaftliche Linke muss mit einem eigenen strategischen Modell auf die Anforderungen reagieren. Hierbei sollte bei der Forderung der Bewegung für Klimagerechtigkeit angeknüpft werden. Zudem schlagen wir hierzu einen Red Green Deal vor (siehe dazu das Plädoyer der Redaktion auf den Seite 38, 39). Dieser besteht auf aus einer Art ökologischen Infrastruktursozialismus[1], wie wir ihn bereits im vierten Heft beschrieben haben.

Links:

  1. https://www.prager-fruehling-magazin.de/de/article/302.ein-beitrag-gegen-die-krise.html