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Pro: Politisch bewusster Konsum

Prof. Ulrich Beck

Als vor einigen Jahren deutsche Banken und Versicherungen den Bau von Atomkraftwerken in Bulgarien finanziell unterstützen wollten, gründete sich ein Netzwerk, welches nicht nur gegen den bulgarischen Staat, sondern auch gegen die deutschen Banken protestierte. Diese hatten so große Angst vor einem Verlust an Ansehen in der deutschen Öffentlichkeit, dass sie ihre Kredite wieder zurücknahmen. Das zeigt nicht nur, wie gewitzt NGOs inzwischen vorgehen, sondern auch wie angreifbar Großkonzerne sind. Die Riesen zittern. Und oft bringt sie schon die Furcht vor einem möglichen Protest dazu, ein umstrittenes Projekt erst gar nicht umzusetzen.
Die Herrschaft der Unternehmen gründet darauf, dass sie damit drohen können, nicht zu investieren. Das ist die Machtressource der Nicht-Investition. Und dagegen entsteht eine entsprechende Gegenmacht-Ressource: die des Nicht-Kaufens. Der politische Konsument verwendet den Einkaufswagen als Wahlurne und stimmt an der Supermarktkasse ab. Wir haben also nicht mehr alle vier Jahre die Wahl, sondern jeden Tag. Der Bürger bzw. die Bürger entdecken den Kaufakt als Stimmzettel, den man immer politisch anwenden kann. Die Kreditkarte ersetzt quasi den Wahlzettel. Unverantwortliche Unternehmen werden qua Nicht-Kauf einfach abgewählt. Das ist geradezu fatal für das mobile Kapital. Denn auch der mächtigste Weltkonzern kann seine Kunden ja nicht entlassen. Und die Drohung „Dann wandern wir in andere Länder aus, wo die Konsumenten noch braver sind.“ – wird nicht wirklich funktionieren.
Die Figur des aktiven Konsumenten steht in keinerlei Gegensatz zu den Anforderungen des Kapitalismus, im Gegenteil, sie wird von ihm sogar gefordert – auch der Kapitalismus will, dass wir uns ständig mit Produkten auseinandersetzen. Und genau das macht der politische Konsument. Nur halt anders als gedacht. Es gibt allerdings eine Grundvoraussetzung: Kaufkraft. Wer sich ohnehin gar nichts kaufen kann, kann nicht mitmachen.
Natürlich wird nicht jede einzelne Kaufentscheidung sofort Rückwirkung auf die Firmenpolitik haben. Was zählt, sind gerade massenhafte Mit-Nicht-Käufer. Es kommt also darauf an, Protest massenmedial zu inszenieren und zwar auf der Bühne der Tagesschau. Wenn die politischen Orte der ersten Moderne die Straße oder das Parlament waren, dann ist es jetzt, in der zweiten Moderne das Fernsehen. Dafür gibt es gelungene Beispiele. Als die Landarbeiter der kleinen Gewerkschaften in Florida sich gegen unwürdige Arbeitsbedingungen zur Wehr setzten, verbündeten sie sich mit den Studierenden und organisierten einen Boykott gegen die Fast-Food-Kette Taco Bell – mit Erfolg. Neben der transnationalen Organisation und dem Vorhandensein von Kaufkraft besteht eine weitere wichtige Vorraussetzung für einen erfolgreichen Protest darin, dass er transnational organisiert wird. Das zeigt das eingangs erwähnte Beispiel aus Bulgarien.
Ich sehe im politisch bewussten Konsum eine Form der Subpolitik. Die Idee der Subpolitik ist, dass Entscheidungsbereiche, die im Modell des Industriekapitalismus im Windschatten des Politischen liegen, also der Konsum, die Wissenschaft, das Privatleben, jetzt in die Stürme der politischen Auseinandersetzung geraten. In der Subpolitik Boykott nun verbindet und verbündet sich die aktive Konsumgesellschaft mit der direkten Demokratie und dies weltweit. Darauf setze ich große Hoffnungen.