aufbruch zu neuen ufern

Die italienische Linkspartei Sinistra e Liberta

Christina Ujma

In Italien ist die politische Landschaft in Bewegung geraten, Berlusconis Hegemonie angeschlagen, die Linke im Aufwind. Es vergeht kaum ein Wochenende, an dem nicht Hunderttausende auf die Straße gehen, um gegen Berlusconi oder für den Erhalt von ArbeitnehmerInnenrechten, die Pressefreiheit, gegen Migranten- oder Homosexuellenfeindlichkeit zu demonstrieren. Am 25. Oktober 2009 standen sogar drei Millionen ItalienerInnen Schlange, um den neuen Vorsitzenden der Demokratischen Partei (PD) zu wählen. Der heißt Pierluigi Bersani und hat nicht nur in der Urwahl seiner Partei, sondern auch in der großangelegten Abstimmung unter den UnterstützerInnen eine klare Mehrheit bekommen. Bersani steht für eine selbstbewusste Rückkehr zu einem sozialdemokratischen Politikkonzept, das die Themen Arbeit und Prekarisierung ins Zentrum der Parteipolitik setzen will. Eine der ersten Aktionen Bersanis war ein Treffen mit Nichi Vendola, dem inoffiziellen Vorsitzenden der Linkspartei Sinistra e Liberta (SEL).

Libertär und arbeiterbewegt

Was hat den Vorsitzenden der großen progressiven Volkspartei Italiens so sehr an den Prekären der italienischen Politik – einer kleinen Linkspartei – interessiert, die sich noch in der Gründungsphase befindet? Einerseits natürlich deren Verbindung zu den mobilisierungsstarken Bewegungen Italiens, andererseits aber auch die Tatsache, dass Sinistra e Liberta den bislang trotz vieler Rückschläge erfolgreichsten Versuch einer explizit modernen linken Partei repräsentiert, die sich anders als in Europa üblich, nicht auf die Fortschreibung linker Politikmodelle, die in der Zeit des Fordismus entwickelt wurden, beschränkt. Sinistra e Liberta stellt den ernstgemeinten Versuch dar, Arbeit und Ökologie zusammenzudenken und die Linke wieder als Befreiungs- und Emanzipationsbewegung zu etablieren. Das geht bereits aus dem Namen hervor; Freiheit ist bisher ein eher unterrepräsentiertes Konzept im linken Denken gewesen.
Nach dem Scheitern des linken Wahlbündnisses Arcobaleno an der 4-Prozent-Hürde bei den Parlamentswahlen im April 2008 gab es zahlreiche Initiativen und Aufrufe führender linker Persönlichkeiten und Intellektueller, endlich eine vereinigte Linkspartei zu gründen. Die Allianz oder Fusion aus Rifondzione Communista, den Communisti Italiani, den Grünen und der linkssozialistischen Sinistra Democratica kam aber wegen des Widerstands Rifondaziones nicht zustande. Nachdem sich die bündnisorientierten Flügel der Communisti Italiani und Rifondaziones abgespaltet hatten, gab es bei der Europawahl im April 2009 ein hastig zusammengezimmertes Wahlbündnis mit den Grünen, den Sozialisten und der Sinistra Democratica, das auf Anhieb 3,1% erreichen konnte.
Nach diesem relativen Erfolg wurden die Weichen für eine Linksparteigründung gestellt; die Regionalwahlen im Frühjahr 2010 machen einen beschleunigten Prozess notwendig. Als im Oktober die basisdemokratisch organisierten Grünen auf einmal Angst vor der eigenen Courage bekamen und mehrheitlich beschlossen, nicht bei Sinistra e Liberta mitzumachen, entschied man einfach, dem unterlegenen bündnisorientierten Flügel der Grünen den Beitritt dadurch zu erleichtern, dass man die Partei in Sinistra, Ecologia e Liberta umbenannte. Als dann Anfang November auch noch die kleine sozialistische Partei PSI absprang, schien es kurzzeitig so, als ob das Projekt ernsthaft gefährdet sei. Aber dann hatte die PSI, abgesehen von ihrem Apparat und dem Parteivermögen, personell und programmatisch wenig beizutragen. Das Projekt Sinistra, Ecologia e Liberta hat jedenfalls eine Eigendynamik gewonnen, die sich auch durch Rückschläge kaum beirren lässt.

Die Prekären der Politik

Abgesehen von Spendenappellen an die Basis geht man selbstironisch mit den Querelen und Widrigkeiten um: Wir sind die Prekären der italienischen Politik lautet eine Selbstbeschreibung von SEL. Der Slogan des Gründungsparteitags „Reise in die Zukunft“ wurde mit einem Fiat 500, einer Art italienischem Trabbi, illustriert. Nur unzureichend abgefedert und holprig, wie eine Fahrt in diesem Gefährt, hat sich der Gründungsprozess der neuen Partei bisher gestaltet, was den Blick auf die inhaltlichen Konturen SEL manchmal verstellt.
Symbolisch für deren außergewöhnliche Dimensionen steht Nichi Vendola, der designierte Vorsitzende der Partei. Er kommt sowohl aus der legendären eurokommunistischen Partei Italiens wie aus der Alternativ- und Lebensreformbewegung. Als bekennender Schwuler hat er es eine Amtszeit lang geschafft, Präsident der stockkatholischen Region Apulien zu sein, was dem Amt eines Ministerpräsidenten entspricht. Er ist theoretisch und politisch gleichermaßen versiert. „Denken heißt überschreiten.“ – dieses Bloch-Zitat ist sein Motto. Sein Ziel ist eine linke Politik, die durch kulturelle Neugier und die aktive Orientierung am täglichen Leben gekennzeichnet ist, dabei gleichermaßen experimentell und populär agiert. Kaum ein europäischer Linkspolitiker kann so eloquent die kapitalistische Verdinglichung, Entfremdung und totalitäre Herrschaft des Marktes kritisieren. Stattdessen propagiert er Solidarität mit den Unterdrückten und Ausgegrenzten und die Orientierung auf umfassende menschliche Emanzipation.
Die Befreiung der Arbeit soll im Zentrum eines neuen Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells stehen, daneben sollen aber Ökologie und Gleichberechtigung von Frauen und ethnischen Minoritäten nicht vernachlässigt werden. Inwieweit es Vendola und SEL schaffen werden, die Gegensätze bisheriger linker Politik erfolgreich in einem Parteiprojekt zu vereinen, kann nur die Zukunft zeigen.