01.03.2010

Fünf Vorschläge für eine demokratische Partei

Was tun gegen das "eherne Gesetz der Oligarchie"?

Jörg Schindler/Kolja Möller
Jörg Schindler

Der Soziologe Robert Michels entdeckte schon 1911 in seiner „Soziologie des Parteiwesens“ einen Charakterzug moderner Parteien: Das „eherne Gesetz der Oligarchie“. Eine zahlenmäßig nicht unansehnliche Kaste von Berufspolitikern, Mitarbeitern und Mulitfunktionären bestimmt den politischen Willensbildungsprozess in den parteipolitischen Massenorganisationen. Die traurige Wahrheit lautet: So läuft der Laden. Der Politikwissenschaftler Franz Walter beschreibt diese Kaste durchaus anschaulich als „politische Söldner“.

Kolja Möller

Alle Versuche das „eherne Gesetz der Oligarchie“ zu unterlaufen sind kläglich gescheitert. Selbst innerhalb der neu gegründeten Partei DIE LINKE wird zwar die Mitgliederbeteiligung und die Kritik an der etablierten Politik groß geschrieben, faktisch funktioniert die Partei allerdings wie jede andere Partei auch. Das liegt nicht nur an der Kaste der Berufspolitiker, die ein Interesse an der Wiederwahl und am möglichst reibungslosen Funktionieren der Dinge haben. Auch diejenigen, die sich für eine sog. „Basisdemokratie“ einsetzen tragen mitunter zur Verfestigung der Oligarchie bei: In eher nörgelnd-moralischen als konstruktiven Redebeiträgen setzen sie dem „ehernen Gesetz der Oligarchie“ einen ultrapartizipativen Modus gegenüber, der anfällig für informelle Herrschaft ist und der die Partei über kurz oder lang in die politische Handlungsunfähigkeit manövrieren würde.

Wer trotzdem an einer demokratischen Partei interessiert ist, sollte fragen, wie eine effektive Öffnung und Demokratisierung der innerparteilichen Willenbildung in Gang gesetzt werden könnte. Keine Aufhebung des „ehernen Gesetzes der Oligarchie“, sondern seine partielle Unterbrechung wäre das Ziel. Dazu fünf Vorschläge:

1. Mandatsträger und Berufspolitiker dürfen keine Parteitagsdelegierten werden

Im Gründungsprozess der Grünen als auch der LINKEN wurde sich immer wieder auf die Höchstquotierung der Vorstände mit MandatsträgerInnen kapriziert. So enthält – nach vielem Hin und Her – auch die Satzung der LINKEN eine Regelung, die einen 50%-igen Höchstanteil vorsieht. Gut gemeint, aber nicht gut gemacht: Die Erfahrung zeigt, dass dies die Oligarchisierung des Parteiwesens weder verhindert noch begrenzt, sondern allenfalls ein „Nebeneinander“ von Partei und Fraktionen schafft, schlimmstenfalls die Übertragung der Beschlüsse zu den Mandatierten sogar eher behindert.

Statt der Mandatsträger-Quotierung der Vorstände schlagen wir daher vor, dass die sie entsendenden Versammlungen, also die Parteitage bzw. Delegiertenkonferenzen, nicht mit MandatsträgerInnen oder deren MitarbeiterInnen besetzt werden dürfen. Denn bei Lichte betrachtet, sind Parteitage damit überfordert, unter den Bedingungen von Plenumscharakter, Zeitknappheit und Medienberichterstattung Beschlüsse so zu diskutieren, formulieren und durchzusetzen, dass sie bis ins Detail zur Ausführung gelangen. Faktisch bestehen (auch) Parteitage der LINKEN zu etwa 30-40% aus den Mandatierten selbst sowie von ihnen direkt abhängigen Personen, also MitarbeiterInnen von Partei oder Abgeordneten.

Wirksamer erscheint daher die Betonung der Aufgabe des Parteitags, politische Grundsatzentscheidungen treffen und diese folgend zu kontrollieren. Temporär könnte hierdurch das „eherne Gesetz der Oligarchie“ durchbrochen werden – eine Aussicht, die sicher einen höheren Selbstdisziplinierungseffekt anhand der vermuteten Artikulation der Parteibasis auf einem Parteitag auch bei den Mandatierten bewirkt. Es würde darum gehen die „Veto-Macht“ des Parteitags zu stärken.

2. Antragsdebatte in Arbeitsgruppen

Zur „Oligarchisierung der Partei“ gehört zudem die Inszenierung der Parteitage als quasi politische Theatershow: Markige Sprüche, effekthascherische Reden, rhythmisches Klatschen, „Sehen-und-gesehen-werden“ der Parteischikeria und ihrer Adlaten, taktisches small-talk an unbequemen Stehtischen, kostspielige Frikadellen und Antragsberatungen, bei denen das Ergebnis und sogar Zeit des Ergebnisausstoßes bereits vorher feststeht. Parteitage sind kein Willensbildungsort, sondern ein Partei-Rummelplatz.

Eine demokratische Vitalisierung der Partei erfordert eine politische Vitalisierung der Parteitage. Statt Inszenierung schlagen wir daher vor, Schwerpunktanträge zeitlich begrenzt in Arbeitsgruppen zu diskutieren und (sofern überhaupt erforderlich) die Ergebnisse erst am Ende zur Abstimmung durch den Gesamt-Parteitag zu stellen. Durch Arbeitsgruppenatmosphäre werden konstruktive statt plakative politische Diskussionen und im Übrigen auch „die einfachen Delegierten“ gegenüber den EwigrednerInnen, CheckerInnen und TaktikerInnen gestärkt. Der Parteitag könnte wieder verstärkt ein attraktiver Ort politischer Willensbildung nach innen statt gezielter „Einschwörung“ auf Einigkeit und Erfolg durch Parolenschleuderei werden.

3. Sachfragen per Mitglieder-Entscheid abstimmen/Web-Abstimmung

Zur Oligarchisierung des Parteiwesens gehört die Aufspaltung der Partei in „Führung“, Mittelbau der Aktiven und Mitgliederbasis. Während „die Führung“ in der Regel den Parteiapparat exekutiv dirigiert, bildet der Mittelbau, bestehend aus den Parteiaktiven auf Bundes-, Landes- und Ortsebene, hierfür die „interessierten Claqueure“. Meist ordnen sie sich politisch einem Teil der Führung als Stichwortgeber und pressure-group zu: Aus diesem Reservoir speist „die Führung“ oder ein bestimmter Teil das notwendige Führungspersonal in spe; und hieraus wird der innerparteiliche wie öffentliche Applaus abgerufen. Der Mittelbau bildet also quasi den Humus der Partei.

Demgegenüber bleiben all jene Mitglieder, aber auch AnhängerInnen der Partei aus der Willensbildung ausgeschlossen, wenn sie – aus welchen Gründen auch immer: Erwerbstätigkeit, Zeitknappheit, fehlende Möglichkeit oder Interesse kontinuierlicher Mitarbeit usw… - lediglich „einfache zahlende Mitglieder“ sind. Sie werden durch die Parteigliederungen lediglich als Geldeinnahmeinstrument, bestenfalls noch als Adressat innerparteilicher Meldungen, etwa zu Wahlzeiten, angesehen. Nicht umsonst sind reale Möglichkeiten der Partizipation gerade dieser Mitglieder und AnhängerInnen auch in der LINKEN dünn bemessen. Obwohl formal mit gleichen Mitwirkungsrechten ausgestattet, wird mit ihnen in der Alltags-Parteiaktivität nicht (mehr) gerechnet: Alle Gesichter erstaunen, falls tatsächlich ein einfaches Parteimitglied sich in die Versammlungen des Mittelbaus verirrt.

Ein Instrument, um diese dritte Ebene der Parteimitglied- und –anhängerschaft verstärkt einzubeziehen, ist der regelmäßige Mitgliederentscheid von bestimmten politischen Fragen. Technisch und finanziell ist dies in Zeiten der dritten industriellen Revolution, des Computers und der schnellen Datenübertragung kein Problem. Die dänische Linkspartei SF hat beispielsweise durch diese Mitgliederentscheide eine enorme (Re-)Aktivierung ihrer Parteibasis erreichen können. Den politischen Willen vorausgesetzt, könnte sich hierdurch Parteiführung und Mittelbau gezwungen sehen, mehr mit dem Umfeld der Partei zu kommunizieren.
Unseres Erachtens ist durchaus vorstellbar, dass die Entscheidung zu bestimmten Sachfragen durch die Parteibasis zu durchaus überraschenden Ergebnissen führen könnte – was mitunter eine anspruchsvolle Aufgabe für die politische Willenbildung auch in der LINKEN wäre; positiv wie negativ.

4. Personal- und Sachalternativen in Urabstimmungen/Vorwahlen

Analog zu der Entscheidung von Sachfragen per Mitglieder-Entscheid halten wir auch die Entscheidung von Personalfragen durch Urabstimmungen oder gar eigene „Vorwahlen“ für durchaus anti-parteioligarchisch. Obwohl Urabstimmungen auch in der LINKEN satzungsrechtlich möglich sind, werden sie bisher nicht eingesetzt. Wichtig ist dabei, dass Personalentscheidungen nicht „amerikanisiert“ als Personensympathie-Bekundungen inszeniert, sondern innerparteilich mit politischer Debatte und Auseinandersetzung, idealerweise mit einer politischen Sachfrage verknüpft werden. Letztendlich bildet dann die Urabstimmung die nahe liegende Verbindung zur Sachfragenentscheidung per Mitgliedervotum.

Zugleich würde mit der oligarchischen Unsitte gebrochen, jede Personalquerele als Seifenoper darzustellen und damit sich von vornherein den medialen Super-GAU zu geben. Also so: Es ist in der LINKEN normal und legitim, dass verschiedene politische Auffassungen auch in verschiedenen Personalvorstellungen ihre Entsprechung finden; und zwar transparent im Konsens /Dissens wie solidarisch im Umgang miteinander.

Denkbar wäre zu bestimmten eingegrenzten „gesamtgesellschaftlich bedeutsamen“ Fragen auch eine Ausweitung der Mitgliederentscheide zu Vorwahlen, also unter Beteiligung auch von AnhängerInnen ohne Parteibuch. Sie werden eingeladen mit abzustimmen, auch wenn sie nicht Mitglied der LINKEN sind. Nebenbei dürften sich in vielen Parteibüros durchaus spannende Diskussionen beim Abstimmungsprozess ergeben.

5. Auf allen Ebenen diskutieren: Demokratie ist mehr als: „wir hier „unten“ und ihr da „oben““

Statt auf immer wieder auf obskure Basisdemokratiemodelle zu setzen (Basisdemokratie ist, wenn ich besonders viel rede) und sie den „Parteioberen“ entgegen zu setzen, geht es um eine Öffnung der politischen Willensbildung in zwei Richtungen:

Zum einen sind konfliktive und mobilisierende Willensbildungsprozesse zu einzelnen Sach- und Personalfragen auszugestalten. Sind diese Prozesse gut vorbereitet, können sie zu einer Stärkung der Partei, ihres Zusammenhalts und zur Mobilisierung über die Parteimitgliedschaft hinaus beitragen.

Zum anderen gilt es aber auch, verhandlungsbasierte Willensbildungsprozesse in den gewählten Gremien zu intensivieren. Unterschiedliche Erfahrungen zeigen beispielsweise, dass die demokratische Qualität der Diskussion insbesondere auf den Vorstandsebenen am ehesten einen Austausch von Argumenten befördert. Dadurch, dass diese Gremien nicht im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen und mitunter geschlossen tagen, ist es für die Beteiligten hier auch noch stärker möglich, Argumente des jeweiligen Gegners zu würdigen, sich kontrafaktisch (also gegen etwaige Blöd-Verflachungen) zu verhalten und auch gemeinsam anerkennungsfähige Lösungen zu erzielen. Insofern stellt sich nicht nur die Frage nach oben oder unten, sondern auch der demokratischen Qualität der Diskussion.

All dies erfordert jedoch die Bereitschaft, innerparteiliche Diskussionen und Kontroversen sichtbar zu machen und strukturell auszugestalten: Nicht Konfliktverhinderung oder Konfliktentscheidung, sondern partizipatives Konfliktmanagement zwischen Konflikt und Konsens lautet das Zauberwort für eine linke Partei, die in sich und in ihrer Wählerschaft zu heterogen ist, als dass man den Laden dauerhaft nur im „Jargon der Eigentlichkeit“ („eigentlich“ wollen wir alle das Gute für Erwerbslose, Rentner, Migranten, Studenten, Schüler, Sportler, Kleinunternehmer, Köche, Lehrer, Beamte, also der Mehrheit usw.usf.) zusammenhalten könnte.