07.04.2010

Erweiterte historische Traditonsbildung als Identitätsstütze?

Rezension: DIE LINKE – Erbe und Tradition. Teil 1 & 2, Hg. von Klaus Kinner

Bernd Hüttner
Bernd Hüttner, RLS

Klaus Kinner (Hrsg.): DIE LINKE – Erbe und Tradition. Teil 1: Kommunistische und sozialdemokratische Wurzeln, Bd. XI der Reihe , 320 S.; Teil 2: Wurzeln des Linkssozialismus, Bd. XII der Reihe, 320 S., je 24,90 EUR, Karl Dietz Verlag, Berlin 2010. Band 3 ist in Vorbereitung.

Die voluminöse Neuerscheinung in der sogenannten „Roten Reihe“ zur „Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus“ zeigt die Probleme der Geschichtsarbeit im Umfeld der LINKEN, vor allem in den neuen Bundesländern, eindringlich.

Der Zweibänder enthält 26 Beiträge von 24 AutorInnen, die ein weites Feld aufmachen. Der behandelte Zeitraum reicht von 1848 bis zur Gegenwart, die vorgestellten Personen vom zeitweiligen KPD-Vorsitzenden Paul Levi über den im Umfeld des Institut für Sozialforschung wirkenden Arkadij Gurland bis zum 2008 verstorbenen und langjährigen SPD-Politiker Peter von Oertzen. Thematisch kreisen die Aufsätze um den Gegensatz oder die Vereinbarkeit von Demokratie und (sozialistischer) Organisation. Sie bringen in weiten Teilen der Linken verschüttete Traditionen, vor allem des mit Namen wie Abendroth, Kofler oder Agartz verbundenen Linkssozialismus, wieder in die Debatte. Durch die in erster Linie ereignis- und organisationsgeschichtliche Herangehensweise verbleibt der Großteil der AutorInnen in klassischen Bahnen: Die ideelle Gesamtenzyklopädie der (Theoriegeschichte der) Arbeiterbewegung wird um einige Aspekte erweitert.

So ist dieser Band seltsam widersprüchlich. Im Verhältnis zum kanonisierte Geschichtsbild der SED und den mangelhaften Geschichtskenntnissen innerhalb der LINKEN ist er sicher eine Bereicherung und sehr nützlich. Im Vergleich zur zeitgenössischen Geschichtsschreibung der ArbeiterInnenbewegung und anderer sozialer Bewegungen, die es ja sehr wohl gibt, wirkt er etwas antiquiert. Man muss ja nicht gleich vom Theorem der Negri´schen Multitude ausgehen, aber von einer Kenntnis der Debatten etwa um global labour history , wie sie nicht nur im Rahmen der Internationalen Tagung der HistorikerInnen der Arbeiterbewegung (ITH[1]) geführt werden, ist hier nichts zu spüren. Askekte der transnationalen Kommunikation, der Überwindung der Vorstellung eines Nationalstaat orientierten Handlungsraums der Arbeiterbewegung, die Kenntnis, dass es in der Geschichte eine Vielzahl von handelnden Subjekten jenseits des weißen, heterosexuellen und sesshaften Mannes gegeben hat, samt allen daraus resultierenden Widersprüchen für linke Praxis, ist hier schwach ausgeprägt.

„Geschichte“ wird immer noch vorrangig als Identitätsstütze gesehen, weniger als Anlass zur Verunsicherung. Das, was Themen, Sichtweisen und Autoren angeht, vorrangige Agieren in den eigenen Kreisen ist für andere wenig attraktiv. Unter den AutorInnen des Zweibänders sind drei Frauen, ebenfalls drei sind unter 45 Jahre alt. Selbst wenn man berechtigterweise nicht jede postmoderne Mode in den Geschichtswissenschaften mitmachen will, sollte man sich schon mit Mentalitätengeschichte, der global labour history oder allgemein den vom cultural turn angestoßenen Fragen widmen.

Nicht zuletzt bleibt zu fragen, was eigentlich zu tun wäre, wenn man die im Band aufgeworfenen Kritiken und Fragen, etwa zur innerparteilichen Demokratie, auf DIE LINKE anwenden würde. Der Band zeigt, wo die Geschichtsarbeit im Umfeld der LINKEN steht, dass sie sich noch weiter entwickeln muss und dass ein Verharren in der viel zitierten „zweiten Geschichtskultur“ für die linke Bildungsarbeit angesichts einer bundesweit agierenden 10-Prozentpartei bei weitem nicht ausreicht.

Zum Autor:

Bernd Hüttner, Jahrgang 1966, Politikwissenschaftler, arbeitet als Regionalmitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Bremen. Koordinator des bundesweiten Gesprächskreises Geschichte der RLS und Mitglied der Historischen Kommission der Partei DIE LINKE.
Weiteres siehe hier auf der Website der Bremer Landesstiftung der RLS[2].

Links:

  1. http://www.ith.or.at/
  2. http://www.rosa-luxemburg.com/?page_id=12#huettner