05.05.2010

Massenproteste mit Todesopfern

Was passiert in Griechenland?

Redaktion und Haris Triandafilidou

Heute hat in Griechenland ein Generalstreik mit hundertausenden DemonstrantInnen stattgefunden. prager frühling veröffentlicht einen Bericht über die Hintergründe. Die Autorin Haris Triandafilidou ist gegenwärtig in Athen und engagiert sich in der griechischen Linken. Doch lest selbst:

Mit dem Tod dreier Menschen bei einem vermutlich von protestierenden aus Reihen des Black Blocks ausgelösten Feuer, nahm die verzweifelte Wut über die harte Sparmaßnahmen der griechischen Regierung, bisher unbekannte Ausmaße an. Zuvor hatte Athen beim gestrigen Generalstreik mit 200.000 Teilnehmern die größte Demonstration seit über fünfunddreißig Jahren erlebt. Trotz sommerlicher Temperaturen um die dreißig Grad erinnerte das Klima bereits am Morgen stark an den Dezember 2008, als der Tod einer Jugendlichen durch Hand eines Polizisten wochenlange, zum Teil gewaltsame Proteste ausgelöst hatte.
Vor dem Parlament ging die Polizei mit Tränengas und Schlagstöcken gegen die gestern dort versammelten Gewerkschafter vor, welche das Wort an den abwesenden Ministerpräsidenten richteten und immer wieder „Du hast uns verraten! Nie wieder werden wir dich Wählen“ riefen, bevor sie versuchten, in das Parlamentsgebäude einzudringen.
Die Luft für die Regierung von Ministerpräsident Papandreou wird zunehmend dünner. Deren Bemühungen, die Griechen davon zu überzeugen, dass es keine Alternativen zu den von ihr propagierten antisozialen Maßnahmen gibt, sind wenig erfolgreich.
Bereits am Montag hatten Lehrergewerkschaften und verschiedene Initiativen der vielen stundenweise im öffentlichen Schulwesen beschäftigten Lehrer Büros des Bildungsministeriums in Thessaloniki besetzt. Am Abend drangen einige von ihnen in während der Hauptnachrichtensendung des Staatsfernsehens ein und forderten die Regierung auf, endlich eine Politik zu verfolgen, die an den Bedürfnissen ihrer Bevölkerung statt an den Interessen des IWF und der internationalen Märkte orientiert ist.
Wie in keinem anderen Wahlkampf zuvor standen die wirtschaftlichen Probleme des Landes und das große Finanzdefizit des Landes bei den Parlamentswahlen im vergangenen Herbst im Zentrum der politischen Auseinandersetzung. Der überwältigende Wahlsieg der sozialdemokratischen PASOK war dabei vor allem Resultat eines Programmes, das durch die Umverteilung von Reichtum, sozialstaatliche und arbeitsrechtliche Absicherung sowie die lange überfällige Sanierung des Bildungs- und Gesundheitswesens versprach. Statt diese Versprechen in die Tat umzusetzen, stellte die PASOK Regierung, am vergangenen Sonntag nun das dritte neoliberale Maßnahmenpaket in weniger als drei Monaten vor. Dieses sieht die erneute Erhöhung der Mehrwertsteuer auf nun 23%, die Kürzung eines weiteren Monatsgehalts für die im Angestellten des Öffentlichen Dienstes sowie die Erhöhung der gesetzlich zulässigen Entlassungen von 2% der in einem Betrieb Angesellten pro Monat auf 4% vor. Darüber hinaus wird die Höhe der bei Kündigungen fälligen Abfindung für die Beschäftigten aller Bereiche dem bisher geltenden Minimum angepasst und das Tarifrecht durch ein Bündel von Regelungen praktisch abgeschafft. Vor allem junge Arbeitnehmer trifft das neue Maßnahmenpaket der Regierung hart. Der Lohn für Berufseinsteiger wird nach dessen Vorgaben nicht mehr als 560 Euro betragen und das unversichert.
Welches Ausmaß die Proteste in den kommenden Tagen und Wochen annehmen werden ist im Augenblick schwer absehbar. Ebenso wie die politischen Konsequenzen, die auf diese folgen werden. Eine Bevölkerung, die zu zwanzig Prozent unterhalb der Armutsgrenze lebt, die schon vor Erhöhung der Mehrwertsteuer mit niedrigen Einkommen und einer Teuerungsrate zu kämpfen hatte, die deutlich über EU Durchschnitt lag dürfte jedoch wenig Bereitschaft zu Kompromisse zeigen, die ihnen noch weitere Opfer abverlangen.