lagerkoller

Wie viele Lager hat die Linke?

Jörg Schindler und Thomas Lohmeier

Die Debatte um Bündniskonstellationen der LINKEN mit SPD und Grünen kennt in der Regel zwei Pole. Die Einen sehen DIE LINKE als Teil des progressiven Lagers, gemeinsam mit SPD und Grünen. Zusammenarbeit, Crossover, gemeinsame Reformpolitik sei notwendig, um das neoliberale und konservative Lager, bestehend aus FDP und CDU, zu schlagen. Gerade davor warnen die Anderen: Zuviel Gemeinsamkeit, Kompromiss, gerade in Regierungskonstellationen, schade der linken Alleinstellung als anti-neoliberale, gar gesellschaftstransformierende Kraft. Eine zweite SPD brauche niemand. Statt der Zwei-Lager-These der „Reformer“ sehen sie in der LINKEN eine Art drittes Lager, jenseits der rot-grünen, aber auch der schwarz-gelben Politik.

Breite Mehrheit für Reformpolitik

Beide Positionen sind jedoch gleichermaßen falsch. Denn die Wirklichkeit der jeweiligen Parteien ist komplizierter. Die SPD der „Neuen Mitte“, also ihre Verlagerung zu den sozialen Aufsteigern und neoliberalen Grenzgängern, ist eine Fata Morgana. Durch den weitgehenden Verzicht auf klassische soziale Reformpolitik trocknete die SPD quasi zwischen den Lagern bürokratisch aus: Man werde nicht alles anders, aber vieles besser machen. Das Ende ist bekannt: Mit der Agenda 2010 vollzog die SPD ihren Selbstmord als reformpolitische Volkspartei. Jetzt stellt die SPD quasi eine ausgebrannte Hausruine dar: Hier die Grundmauern alter linker Programmatik, an denen sich Mitglieder als verzweifelte Trümmerfrauen zu schaffen machen; dort die Bunker, in denen sich die Nomenklatura der ehemaligen Regierungspartei verschanzt hat und hofft, dass sich die Zeiten bessern und die WählerInnen möglichst schnell vergessen mögen.
Weniger tragisch, aber letztendlich ebenso gespalten, zeigen sich die Grünen nach Kosovo und Agenda 2010. Ihre Anhängerschaft, das fortschrittlich-liberale Kleinbürgertum, kommt mit den Zumutungen, die eine Moderation zwischen der neoliberalen Grenzgänger- und der sozialreformatorischen Fortschrittswelt mit sich bringt, besser klar. Schließlich hat die grüne Klientel häufig beide Erfahrungen gemacht: studentische Taxifahrerin, prekärer Freelancer oder erfolgreiche Ökounternehmerin.

Was bedeutet das?

Erstens:Wir finden aktuell drei Lager vor: ein konservativ-liberales, ein fortschrittliches Lager – und dazwischen ein moderierendes, lavierendes Lager. Letzteres hat uns die „Neue Mitte“ hinterlassen und irrt jetzt wie ein Gespenst bei beginnendem Tageslicht umher. Doch auch diejenigen Linken irren, die DIE LINKE als eigenes Lager wahrnehmen. Denn sowohl bei SPD als auch bei den Grünen verläuft die Lagergrenze mitten durch ihre Parteien. So findet man bei SPD und Grünen sowohl jene, die klassische sozial-ökologische Reformpolitik betreiben wollen, als auch jene, die sich weiterhin als die Moderatoren eines „weichen Neoliberalismus“ verstehen und sich an der illusionären Humanisierung von dessen Topics versuchen. Für die Moderatoren stehen schwarz-(gelb)-grüne Landesbündnisse und das Beharren der steinmeierischen Kavallerie in Bundespartei und Fraktion, gekoppelt an die Doktrin „Ministerpräsident c´est moi“. Dies meint: mit den Linken nur taktisch und nur dann zusammenzuarbeiten, wenn diese sich wie nützliche Idioten verhalten. Für die sozial-ökologischen Reformer steht der verbreitete Wille an der verbliebenen Mitgliederbasis, endlich wieder einmal sozialdemokratische Reformpolitik machen zu dürfen, und das geht nur rot-rot-grün. Für eine solche – letztendlich ursozialdemokratische – Reformpolitik in ihrer offensiven Spielart gibt es eine Mehrheit. Das bewies Andrea Ypsilantis erste Hessen-Wahl: Mit ihrer Programmatik der „sozialen Moderne“, also einer realpolitisch orientierten, gleichsam aber deutliche Signale an den sozial-ökologischen Block in der Gesellschaft sendenden Reformagenda dürfte sie eine der ganz wenigen SPD-PolitikerInnen sein, die in den letzten sieben Jahren auch einmal eine Wahl gewonnen haben – und ihre WählerInnen mobilisieren konnte. Die scharfen Auseinandersetzungen in der SPD, die daraufhin folgten, zeigen, wie tief der Graben zwischen dem progressiven und dem moderierenden Block innerhalb der SPD sind.

Zweitens: Der Drei-Lager-Befund gilt auch für DIE LINKE selbst. Denn auch innerhalb der LINKEN finden sich sowohl VertreterInnen des progressiven als auch des moderierenden Lagers – wenn auch aus anderen Gründen als auch in anderem Mischungsverhältnis. Viele ostdeutsche Kommunal- und LandespolitikerInnen der LINKEN sind, nach Jahren der ideologischen Ausgrenzung aufgrund ihrer Vergangenheit, aber auch angesichts fehlenden anti-neoliberalen Sonnenlichts, mittlerweile durchaus gut geübt in der Moderation der Elendsverwaltung der Haushalte in Stadt, Kreis und Land. Auch hier wird häufig vieles besser, aber nicht viel anders gemacht als unter Verwaltung des konservativen Lagers. Auch hier werden – moderierend zwischen reformpolitischen Klientelwünschen, Biografieschutz und Finanzinfarkt der öffentlichen Haushalte – soziale Leistungen und öffentliche Aufgaben zurückgefahren; es wird also „konsolidiert“. Und auch hier herrscht Sorge vor, in den beinharten Konflikten mit dem konservativen Lager die mühsam erworbene Reputation vom „unsicheren Kantonisten“ zum ehrlichen Makler des Haushaltsnotlagenschreckens zu verlieren – und unter einer medialen Schlammschlacht à la Hessen letztendlich begraben zu werden.

Nicht nur besser, sondern anders machen

Zwei Initiativen haben jüngst als rot-rot-grünes „Crossover“ Schlagzeilen gemacht. Doch ein ehrliches Crossover braucht den Großkonflikt mit dem neoliberalen, aber mit auch dem moderierenden Lager, ob finanzpolitisch, sozial- und wirtschaftspolitisch oder auch etwa beim Atomausstieg. Billiger wird eine – durchaus systemimmanente – sozial-ökologische Reformpolitik nicht zu haben sein. Deshalb greift es zu kurz, wenn die so genannte Oslo-Gruppe in ihrem Aufruf „Das Leben ist bunter“ lediglich „Abschied von alten Denkmustern“ nehmen will und meint, die „rechnerisch parlamentarische Mehrheit diesseits von Union und FDP“ sei aus „unterschiedlichen Gründen, unterschiedlichen Meinungen und einer fehlenden gesellschaftlichen Stimmung“ nicht zustande gekommen. Es geht darum, es nicht nur besser, sondern anders zu machen: Also um konkrete progressive Reformprojekte, die sich deutlich vom konservativ-liberalen und moderierenden Lager absetzen. Hierfür braucht es eine Verständigung der jeweiligen reformpolitischen Kräfte in den rot-rot-grünen Parteien, die die Repräsentanz der bestehenden Bevölkerungsmehrheit für eine Reformpolitik auch parteipolitisch re-organisieren wollen. Das wird in der zweiten rot-rot-grünen Crossover-Initiative, dem „Institut Solidarische Moderne“ (ISM), beschrieben: Eine progressive Reformpolitik müsse sich gegen das Versprechen der Wohlfahrtseffekte liberalisierter Märkte, gegen die Privatisierung der öffentlichen Leistungen und Infrastrukturen und gegen die industriekapitalistische Verheißung grenzenlosen Wachstums, im Zuge dessen sich auch die Verteilungsfrage von selbst erledige, wehren. Es gehe darum, die aufgesetzte Rhetorik der „Flexibilisierung“ zu entzaubern, für die Aufrechterhaltung und den Ausbau einer Infrastruktur öffentlicher Güter zu streiten und sich für deren solidarische Finanzierung einzusetzen. Erst dadurch – so das ISM – kann sich „die gesellschaftliche Mehrheitserwartung in entsprechende politische Mehrheitsbildungen überführen lassen.“ Diese Absage an eine Bündnispolitik mit dem moderierenden Lager ist gegenwärtig die einzig realistische Strategie einer radikalen sozial-ökologischen Reformpolitik.

Strategie für eine sozial-ökologische Reformpolitik

Obwohl es moderierende Kräfte in allen drei Parteien diesseits von Schwarz-Gelb gibt, hat sich eine Bedeutungsverschiebung der drei Parteien für eine sozial-ökologische und antimilitaristische Reformpolitik ergeben. Eine solche Reformpolitik – Mindestanforderung an eine „linke Regierung“ – kann nicht mehr auf die SPD als unterstützende Kraft bauen, weil die Kräfte der Moderation hier absehbar zumindest mit einer Vetomacht ausgestattet sind. Vorstellbar ist höchstens, die SPD für eine Tolerierung einer solchen Politik zu gewinnen. Hieraus folgt, dass die SPD eine „linke Regierung“ nicht programmatisch führen kann – auch wenn man sie zur Mehrheitsbildung als Koalitionspartner wird gewinnen müssen. Geführt werden muss eine „linke Regierung“ stattdessen von LINKEN und Grünen. Beide Parteien sind mittlerweile annähernd so stark wie die SPD und es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie zukünftig gemeinsam stärker sein werden. Hieraus folgt, dass es keine „natürliche“ Führung einer Partei im linken Lager mehr geben wird.
Während die SPD paralysiert ist, haben LINKE und Grünen hingegen komplementäre politische Anliegen. DIE LINKE streitet für soziale Gerechtigkeit, die Grünen für eine nachhaltige Umweltpolitik. Beide Themenbereiche ergänzen sich. LINKE und Grüne können sich sogar gegenseitig in ihrem Themenbereich unterstützen und für Akzeptanz des Anliegens der Anderen im eigenen Milieu sorgen.
Um dieses Bündnis zu schmieden, muss DIE LINKE den Grünen das ehrliche Angebot machen, gemeinsam mit ihnen Motor einer ökologischen Wende der Politik zu werden. Vor diesem Hintergrund wird DIE LINKE auch ihre eigenen politischen Konzepte neu ausrichten müssen. Ein Angebot an die Grünen, gemeinsam mit der LINKEN die gestaltende Kraft einer Regierung links der Mitte zu werden, könnte zudem die Grünen davon abhalten, die Option mehrheitsbeschaffende Funktionspartei zu ziehen, die das Ende jeder sozialökologischen Reformperspektive bedeuten würde. Strategisch ist es daher Aufgabe der LINKEN, in einen verstärkten Dialog mit den Grünen und ihrem politischem Umwelt (Umweltverbände, Menschenrechtsorganisationen, Stiftungen etc.) zu treten, statt sich in alter Gewohnheit auf die SPD zu fokussieren.