13.06.2010

Patriarchatskritisch und keine Selberfahrungsliteratur

Rezension: Thomas Gesterkamp: Die neuen Väter zwischen Kind und Karriere, Verlag Barbara Budrich, Opladen & Farmington Hill 2010, 152 S., 12,90 EUR

Bernd Hüttner

Thomas Gesterkamp ist seit fast 20 Jahren einer der produktivsten und lesenswertesten Autor_innen im Feld einer nichtuniversitären und patriarchatskritischen Männer- und Väterliteratur. Sein neustes Buch, das sehr preiswert und offensichtlich eine Neuauflage ist, ohne dass erklärt wird, wo und wann diese Texte bereits publiziert wurden, enthält elf Beiträge und einen Serviceteil. Es hebt sich wohltuend von der von unbewussten Kastrationsängsten und Selbstironie gekennzeichneten Selbsterfahrungsliteratur ab, die derzeit die einschlägigen Regale dominiert. Gesterkamp stellt Vater-Sein in einen gesellschaftlichen Zusammenhang – und er möchte Männer trotz allem ermutigen, aktiver Vater zu werden.
Sein Hauptaugenmerk gilt der Retraditionalisierungsfalle, die nach dem ersten Lebensjahr des Kindes zuschlägt. Diese Falle ist Resultat vor allem von drei Faktoren: Erstens der geschlechtsspezifischen Arbeitswelt, die immer noch grundlegend „männlich“ codiert ist und von einer Anwesenheitskultur dominiert ist. Hier zerstört Gesterkamp nebenbei auch den Mythos, dass im familienfreundlichen Betrieb immer alle gewinnen würden. Zweitens von der Wirkmächtigkeit archaischer Bilder bezüglich „Erziehung“ und „kindlicher Bedürfnisse“, die tief in die Subjekte eingeschrieben sind und auch die staatliche Familienpolitik bestimmen. Drittens von der miserablen Situation, was die frühkindliche vorschulische Bildung bzw. Kinderbetreuung angeht.
Gesterkamp möchte stark machen, dass, nicht zuletzt durch die Neuregelung des Elterngeldes, die zu einem Kulturbruch geführt habe, auch Väter endlich ein Vereinbarkeitsproblem haben, wenn sie sich in die Erziehung ihrer Kinder einbringen wollen – und dies öffentlich thematisiert werde. Das klassische Modell, sie verzichtet, und er arbeitet umso mehr, das heutzutage in urbanen Milieus auch vereinzelt in der umgekehrten Rollenverteilung anzutreffen ist, sei mit einem zu kontrastieren, in dem der- oder diejenige, die normalerweise die Erwerbsarbeit nach der Geburt des Kindes noch ausdehnt, auf Zeit auf „Karriere“ verzichtet, um den oder die andere/n in der Reproduktionsarbeit zu unterstützen. Dieser verschwurbelte Satz deutet an, dass es nicht um einen Rollentausch geht, sondern um gemeinsame Elternschaft in einem flexibilisierten und unsicheren Neoliberalismus, der wegen der zunehmenden Prekarisierung eine Zukunftsplanung immer weniger zulässt. Dieser Karriereverzicht auf Zeit des ökonomisch stärkeren Partners ist höchst funktional für das mittelfristige Gelingen der Paarbeziehung: Gesterkamp zitiert Erkenntnisse von Partnerschaftsberatungsstellen, die besagen, dass misslungene Balancen im beruflichen und privaten Arrangement den Kern sehr vieler heutiger Beziehungskrisen ausmachen, ein Umstand der durch eine nicht repräsentative Umfrage in meinem Bekanntenkreis bestätigt wird.
Die in weiten Teilen in populärsoziologischem Tonfall geschriebenen Passagen werden immer wieder durch launige unterbrochen, etwa wenn es um die Frage geht, ob Mütter wirklich neue Väter wollen oder wenn Gesterkamp die massenmediale Darstellung des Hausmannes karikiert („Macht Spüli wirklich impotent?“). Oder die Beschreibung verschiedener Vatertypen, die zur Anwendung im eigenen Umfeld einlädt und die witzige Beschreibung, die Gesterkamp bezüglich des Verhältnisses zu seiner pubertierenden Tochter gibt.
Spannend wäre es gewesen, wenn Gesterkamp seine Analysen noch etwas mehr vom biologischen Geschlecht gelöst hätte. Etliche Phänomene, die er vorrangig an „Männern“ beschreibt, sind wohl eher Phänomene der vergeschlechtlichten Arbeitsteilung als der des Geschlechtes an sich. Denn vor den Gefahren der von ihm beschriebenen Erotisierung des Arbeitsplatzes, sprich dass Männer diesem emotionale Qualitäten zuschreiben, die sie „zuhause“ nicht mehr finden, und ihn als eigentlichen Anker ihres Lebens auffassen, sind auch Mütter nicht gefeit.
Nur wenn es für Männer attraktiver wird, sich in der Erziehung zu engagieren, geht es mit der beruflichen Gleichstellung von Frauen voran an. Dazu gehörte dann auch, so möchte man hinzufügen, dass Frauen immer noch nicht mehr Männer brauchen, die solidarisch mit Frauen sind, sondern mehr Männer, die unsolidarisch mit anderen Männern sind.