gemeinschaft der freien und gleichen

Vorschlag für ein Identitätsangebot von links

Julia Bonk

Das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht richtet sich in erster Linie nach der Nationalität der Eltern. Anders in Frankreich und den USA. Dort brachte es die Geschichte der Revolutionen mit sich, dass die Anerkennung einer verfassungsmäßigen Ordnung über den Zugang zum Staatsbürgerstatus entscheidet. Wir können also Abstammungs- bzw. Herkunftsgemeinschaft und politische Gemeinschaft unterscheiden.

Auch die Staatssozialist/-innen stellten die Idee vor die Herkunft. Sie wollten die Nation als Land des Sozialismus, also mit der Systemidee begründen. Allerdings fielen auch sie auf vaterländische Parolen zurück. An der Verfassungsgeschichte der DDR lässt sich dieses Wechselspiel zwischen Systemidee und Nationenbezug ablesen. Letztlich musste ihre auf Antipluralität basierende Gesellschaftsdoktrin jedoch fehlgehen.

Territoriale Einteilungen sind auch in dem Modell, das ich vorschlagen möchte, notwendig. So soll jede Ebene über die sie betreffenden Fragen entscheiden: Einem demokratischen Gemeinwesen entsprechend auf der niedrigstmöglichen Ebene und dadurch mit der größtmöglichen Beteiligung; im Kern kommt man so wieder Rousseau näher. Eine Kommune soll durchaus über ihre Straßen und Schulstandorte entscheiden. Es ist nur nicht ersichtlich, warum die Zugehörigkeit zur Scholle die Identität bestimmen soll.

Ein linkes Identitätsangebot kann sich weder auf zufällige Herkunft noch auf die Anerkennung einer einzigen Idee stützen. Grundlage eines linken Identitätsangebotes müssen sowohl Pluralismus als auch Mitbestimmung sein. Die Vorstellung von der Gesellschaft wäre demnach die eines Möglichkeitsraums, in dem frei nach Luxemburg und Kant die eigene Selbstentfaltung bis an die Grenze des anderen möglich ist. Verhandlung und Willensbildung finden fortwährend statt. Allerdings haben bei dieser Prämissensetzung die individuellen Entwicklungsrechte einen hohen Stellenwert.

Menschen wären Teil einer Gemeinschaft, weil sie diese selbst gestalten. Sie wären stolz ihr anzugehören, weil diese ihnen ermöglicht, ihr Leben so zu leben, wie sie es wollen. Dieses Modell ist natürlich anspruchsvoll in seinen Voraussetzungen: Vorstellungen von „normalen“ Lebensweisen müssen aufgehoben werden.

Umverteilung, öffentliche Daseinsvorsorge und Bildung für alle sind immanenter Teil dieser Idee, und darum ist sie eine linke. Denn wir wissen, dass „die freie Wahl der Lebensentwürfe“ gegenwärtig harten Grenzen materiellen und kulturellen Kapitals unterliegen. Angesichts des durch Bildung und Wohlstand gestiegenen und durch Marktstrategien weiter gesteigerten Bedürfnisses nach Individualität ist das Gesellschaftsversprechen nach freier Entfaltung aller ein wertvolles, ein attraktives seitens der Linken.

Für jede linke Partei folgt daraus, dass sie keine Mittel zur Erlangung von Popularität verwenden darf, die dem inhaltlichen Ziel hinderlich sind: Also keine Anschmiegung an die Nation. Denn das trägt dazu bei, die Nation auf der Agenda zu halten. Sozialistische Politik setzt vielmehr an den Widersprüchen an, die Gruppen bzw. Einzelne ausgrenzen oder unfrei machen. Dazu gehört die Nation, da sie soziale Ungleichheit hinter vaterländischen Farben verwischt, Illegalisierte in Heimen einschließt oder Tausende im Mittelmeer ertrinken lässt. Für Linke kann die Idee der Nation keine Option sein. Für die Vorstellung einer Gesellschaft hingegen, in der „die freie Entwicklung eines jeden Einzelnen die Bedingung für die freie Entfaltung aller ist“, lohnt es sich zu kämpfen.

Autoreninfo:

Julia Bonk ist Mitglied des Sächsischen Landtages und studiert Neuere Geschichte und Politikwissenschaft in Dresden. Als Mit-Initiatorin der Kampagne „Nein zum Deutschlandhype“ zur Fußball-WM tauschte sie Deutschlandfahnen gegen T-Shirts ein. Mehr als 1000 Fahnen wurden eingesendet.