typisch deutsch ist die abwehr von schuld

Torsun von Egotronic im Interview

Redaktion

prager frühling: Was hast Du am 9. November 1989 gemacht?

Torsun: Ich war damals 15 Jahre alt, hing allerdings schon mit Autonomen rum. Von daher hab ich nicht gefeiert.

pf: Und was wirst du am 9. November 2009 tun?

Torsun: Was ich genau tun werde, kann ich natürlich nicht sagen. Fest steht nur, dass ich auch dieses Jahr nicht feiern werde.

pf: Wie hat sich Deine Frisur in diesen 20 Jahren verändert?

Torsun: Seit einigen Jahren ist meine Haarfarbe natürlich und nicht mehr künstlich verändert. Frisurmäßig hat sich sonst nicht unbedingt viel verändert, da ich immer noch so gut wie nie zum Friseur gehe, sondern wenn möglich sie von Freunden schneiden lasse. Ansonsten sind mit den Jahren die Geheimratsecken etwas größer geworden, was man Dank meinem recht dichten Haarwuchs allerdings kaum sieht.

pf: Früher war der Punkrock für den Deutschland-Diss zuständig. Heute heißt die Devise „Raven gegen Deutschland“. Was ist eigentlich mit den Punks los?

Torsun: Ich glaube nicht, dass sich Punkrock selbst so sehr verändert hat, er ist mittlerweile einfach alt und mit ihm sind auch viele Punks gealtert! Leute, die immer noch nur diese Musik mögen, sind zumindest musikalisch stock-konservativ, wie es unsere Eltern eben auch waren. Die Kids wollen heute einfach einen anderen, frischeren Sound und dazu ausrasten und tanzen. Trotzdem gibt es natürlich nach wie vor junge Leute, die sich darüber freuen, wenn jemand ihr – wenn auch diffuses – Unbehagen formuliert. Bei mir bot genau das der Punkrock. Heute braucht es ein anderes musikalisches Gewand.

pf: Und weil wir gerade bei Deutschland sind: Was ist Deiner Meinung nach typisch deutsch?

Torsun: Wenn ich an meine Großeltern denke, ist Abwehr von Schuld mit allen Mitteln typisch deutsch. Keiner hat wirklich was gewusst.

pf: Welches ist der schönste Ort in Deutschland?

Torsun: Ich stand schon immer total auf Großstädte, weshalb Berlin für mich der schönste Ort Deutschlands ist, wenn auch nicht in allen Teilen.

pf: Wie sieht die Zukunft nach Deutschland aus?

Torsun: Woher soll ich das wissen? Was ich allerdings weiß, ist, dass es abgeschafft gehört.

pf: Ihr spielt bei politischen Veranstaltungen und transportiert in Euren Texten politische Auffassungen. Siehst Du Dich als Künstler oder als Politiker oder beides?

Torsun: Nun, in erster Linie mache ich Musik. Politische Texte schreibe ich nur deshalb, weil ich mich dafür interessiere. Über was sollte man sonst schreiben, wenn nicht über seine Interessen? Glücklicherweise bin ich mit Egotronic mittlerweile in der Position, Projekte, die wir unterstützenswert finden, auch unterstützen zu können, da bei unseren Konzerten derzeit einfach immer eine ganze Menge Leute kommen. Bei Soli-Shows zahlt sich das natürlich aus. Das macht mich nichtsdestotrotz noch lange nicht zum Politiker.

pf: Kann Spaß auch Politik machen?

Torsun: Insofern schon, als dass man auch gut gelaunt, sinnvolle Dinge unterstützen kann.

pf: Welches war die letzte Demo, auf der du warst?

Torsun: Die Gegendemo zum großen Naziaufmarsch in Dresden in diesem Jahr.

pf: Glaubst Du, dass all diejenigen, die Egotronic hören, Deine politische Meinung teilen?

Torsun: Garantiert nicht. Neulich spielten wir unsere bisher größte Indoor-Show vor 2000 begeisterten Leuten. Beim Omas Teich Festival waren es fast 6000. Ein vermutlich nur sehr kleiner Teil der Anwesenden dort wird mit mir politisch einer Meinung sein. Des Weiteren erzählte mir zum Beispiel mal jemand, dass der Vorsitzende der Jungen Union seiner Gegend Egotronic-Fan sei. Also für diese Frage ein klares Nein.

pf: Manch eine, die sich als links verortet, würde Euch vorwerfen, dass das Lustprinzip auf Kosten anderer regiert. Was sagst Du dazu?

Torsun: Selbst wenn strikt das Realitätsprinzip regiert, dürfte das auf Kosten anderer gehen, was meinst Du?

pf: In der zweiten Ausgabe des prager frühlings hatten wir ein Interview mit der Band Geffen3. Die hatten gar keine Lust auf kommerziellen Erfolg, weil sie nicht von der Musikindustrie abhängig werden wollen. Ihr hingegen seid schon ziemlich auf dem Weg zur Popkultur. Oder?

Torsun: Ach ja, das viel beschworene Nicht-abhängig-sein-Wollen. Hast Du sie gefragt, womit sie ihre Brötchen verdienen? Ich für meinen Teil mache genau die Musik, die ich machen will. Dass es derzeit so gut läuft, dass ich davon leben kann, find ich auf jeden Fall tausendmal geiler als sonst irgendeiner geregelten Arbeit nachzugehen.

pf: Geht das überhaupt zusammen: Popkultur und linke Politik?

Torsun: Wie gesagt, ich bin kein Politiker. Wenn allerdings junge Leute meine Musik hören und das Gefühl haben, dass da jemand ihr Unbehagen formuliert, ist doch schon einiges gewonnen. Mich hat so damals Punkrock zumindest anpolitisiert.

pf: Bisher hat Egotronic im Jahresrhythmus Alben auf den Markt gebracht. Dürfen wir dieses Jahr noch was erwarten?

Torsun: Das nächste Album ist für April 2010 geplant, da ich dieses Jahr einfach wahnsinnig viele Shows spiele und deshalb wenig dazu komme, Neues zu machen. So lange werdet Ihr Euch noch gedulden müssen.

pf: Der Winter wird hart!

Autoreninfo:

Torsun ist Mitglied der Elektropunkband Egotronic. Auf seinem Blog torsun.blogsport.de findet ihr einiges an Musik zum Runterladen. Besser ist natürlich Albenkaufen. Alle!