unsolidarische exportweltmeister

Fragwürdige Standortsicherung in Zeiten globaler Überproduktion

Siegfried Heim

Wie Gewerkschaftsfolklore aus den 70er Jahren wirkte der Auftritt der Arbeiter/-innen des Eko-Stahlwerks von Eisenhüttenstadt beim DGB-Kapitalismuskongress. Mit Drucklufthupen forderten Kumpels in metallglänzenden Schutzanzügen Solidarität für ihren Standort. Der internationale Stahlkonzern Arcelor-Mittal hatte entschieden, dort die Produktion drastisch herunterzufahren, was 2500 Arbeitsplätze gefährdete. Die Delegation der Beschäftigten bekam die gewünschte Solidaritätserklärung und dazu jede Menge Unterschriften für die Forderung „Stahl muss in Eisenhüttenstadt eine Zukunft haben“. Der Auftritt stand in seltsamem Gegensatz zu den Diskussionen des Kongresses. In diesen suchten Betriebsräte und hauptamtliche Gewerkschaftsfunktionär/-innen mit Wissenschaftler/-innen, Journalist/-innen und internationalen Gästen gewerkschaftliche Antworten auf die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise. Beim DGB-Kapitalismuskongress ging es gerade nicht um den Wunsch von Arbeitnehmer/-innen in Deutschland, ihre Arbeitsplätze durch Erhalt ihres Standorts zu sichern, sondern um die Frage, wie weltweite gewerkschaftliche Aktivitäten ein wirksames Gegengewicht zur politischen Macht global agierender Finanzkonzerne schaffen können.

Der Auftritt der Eisenhüttenstädter illustriert auch den Kern der Debatte innerhalb der deutschen Gewerkschaftsbewegung. Auf der einen Seite diejenigen, die hoffen, dass Abwrackprämien, Konjunkturpakete und die staatlich moderierte Herauslösung von Opel aus dem GM-Konzern dazu führen, dass die gut organisierten Facharbeits-Kernbereiche exportorientierter Industrien die Krise halbwegs unbeschadet überstehen. Politisch folgen sie Kanzlerin Merkel, die die Parole ausgab, dass Deutschland nach der Krise wieder Exportweltmeister werden müsse. Auf der anderen Seite diejenigen, die nicht glauben wollen, dass angesichts einer weltweiten Überproduktionskrise die Standortsicherung Ziel gewerkschaftlicher Aktivitäten sein sollte. Dahinter steht die Erfahrung, dass Standortsicherung im renditegetriebenen Kapitalismus immer mit Lohnverzicht erkauft wird – und letztlich nur vorübergehend Arbeitsplätze rettet, da die so erreichten Standortvorteile nur jeweils ein Schritt in der Konkurrenzspirale nach unten sind.

Es wäre allerdings eine kurzsichtige Zuspitzung, die Pole dieser Debatte zwischen Industrie- und Dienstleistungsgewerkschaften zu verorten. Selbst in der IG BCE gibt es die betriebliche Erfahrung, dass der Aktienpaketekauf durch internationale Investmentfonds den Befriedungskonsens des „rheinischen Kapitalismus“ zerstört und die Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft nur noch dort vom Management gepflegt wird, wo es den Renditezielen der „Heuschrecken“ dienlich ist. Umgekehrt sind auch Linke in ver.di nicht davor gefeit, milliardenschwere staatliche Konjunkturpakete für die wichtigste aller Maßnahmen auf dem Weg ins ArbeiterInnenparadies zu halten.

Es kommt auf die konkrete Situation an, ob gewerkschaftliche Aktionen positiv oder negativ wirken. Wenn die Unterstützung der IG Metall für die Schaeffler-Gruppe dazu führt, dass Arbeitnehmervertreter/-innen in den Aufsichtsrat einziehen, ist dies ein Mitbestimmungs-Fortschritt. Dagegen wirkt manche Notlagenvereinbarung in der Druckindustrie negativ, weil sie Unternehmern hilft, in einem von Überkapazitäten geprägten Markt über die Preiskonkurrenz Druck auf die Beschäftigten in noch tariftreuen Betrieben auszuüben. Die Gründung des Verbandes europäischer Wanderarbeiter/-innen ist ein Schritt in die richtige Richtung; der anfängliche Erfolg rechtsextremer britischer Parteien bei Arbeitnehmer/-innen in der Frage der Vergabe von Bauaufträgen in England an französische Firmen ein Warnsignal. Standortsicherung birgt die Gefahr, dass sie zu Lasten der Beschäftigten an anderen Standorten organisiert wird – unabhängig davon, ob diese Standortkonkurrenz im nationalen oder im internationalen Rahmen ausgetragen wird. Gewerkschaftliche („Rettungs-“)Aktivitäten, die diesen Aspekt missachten, tragen zur Entsolidarisierung bei.

Oberhalb der betrieblichen und tariflichen Auseinandersetzungen stehen die Gewerkschaftsmitglieder vor der Aufgabe, ihre politischen Forderungen anhand solidarischer Leitlinien zu überprüfen und neu auszurichten. Das weltweite Bruttosozialprodukt kann beim heutigen Produktivitätsstand mit 20 Prozent der Menschheit erwirtschaftet werden. So entpuppt sich die Standortdebatte auch als Nord-Süd-Debatte. Eine weltweit solidarische Politik – von der Re-Regulierung der entfesselten Finanzmärkte über Mindestlöhne und Arbeitszeitverkürzung bis zur Sicherung des Rechts auf gewerkschaftliche Selbstorganisation – stellt sich damit auch der Aufgabe einer engeren Vernetzung mit Globalisierungskritiker/-innen und sozialen Bewegungen. Die Auseinandersetzungen innerhalb der Gewerkschaften um Aufrufe zu den globalisierungskritischen Demonstrationen Ende März und die Debatte um Rederechte für Attac-Vertreter/-innen bei Kundgebungen des DGB im Mai zeigen, wie weit der Weg hier noch ist.

Autoreninfo:

Siegfried Heim ist Betriebsratsvorsitzender im Verlag der Südwest Presse in Ulm und Mitglied des ver.di-Landesvorstandes Baden-Württemberg. Er betreibt den Krisenblog www.gegenstrom.net[1] und beschäftigt sich intensiv mit den Folgen der weltweiten Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise und deren Auswirkungen in der Gewerkschaftsbewegung.

Links:

  1. http://www.gegenstrom.net/