sommer des protestes

Vernetzung von Arbeitskämpfen mit neueren Bewegungen in Serbien

Boris Kanzleiter

Kundgebungen, Streiks und Blockaden: Es ist ein Sommer des Protestes. In Serbien gehen so viele Arbeiterinnen und Arbeiter wie nie zuvor seit dem Sturz von Slobodan Milosevic auf die Straßen. In Novi Pazar hackte sich im Mai der Vorsitzende einer lokalen Textilarbeitergewerkschaft nach einem zweiwöchigen Hungerstreik einen Finger ab, um endlich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erreichen. In Kragujevac stiegen Streikende auf ein Hochhaus und drohten, sich in den Tod zu stürzen. Fast täglich blockieren irgendwo im Land Gruppen von Arbeiterinnen und Arbeitern Verkehrswege.

Die oft selbstzerstörerischen Protestformen deuten auf ein zentrales Problem hin. „Meist handelt es sich um verzweifelte Abwehrkämpfe“, analysiert Ivan Zlatic von der kleinen linken Initiative „Bewegung für die Freiheit“ (Pokret za slobodu), die sich vor zwei Jahren mit dem Ziel gegründet hat, Proteste der Arbeiterinnen und Arbeiter zu koordinieren. „Die Demonstrierenden haben oft keine anderen Druckmittel zur Verfügung als den Einsatz ihres eigenen Körpers.“ So forderten die Arbeiterinnen und Arbeiter in Novi Pazar beispielsweise ausstehende Löhne von einem Unternehmen, das längst bankrott ist. Ein klassischer Streik ist in einer solchen Lage keine Option.

„Ein zentrales Problem in Serbien ist die Deindustrialisierung“, beschreibt Zlatic die Lage, welche durch die globale Krise verschärft wird. Der intensive Privatisierungsprozess der vergangenen Jahre hat zu einem massiven Anstieg der Erwerbslosigkeit geführt, weil viele Investoren billig erworbene Betriebe nur gewinnbringend verscherbeln statt die Produktion zu entwickeln. Ein zentrales Anliegen der „Bewegung für die Freiheit“ ist daher die Unterstützung von Belegschaften, die sich für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze einsetzen. „Nur auf diese Weise können wir verhindern, dass Serbien zu einem komplett abhängigen Billiglohnland wird.“

Obwohl die „Bewegung für die Freiheit“ nur eine kleine Gruppe mit etwa 30 meist jungen Mitgliedern ist, spielt sie in einigen Arbeitskämpfen eine wichtige Rolle. In Zrenjanin in der Provinz Vojvodina unterstützt sie die Belegschaft des Arzneimittelherstellers Jugoremedija. Die Firma war 2003 von einem dubiosen Geschäftsmann gekauft worden, der den Betrieb zerstückeln wollte. Mit einer monatelangen Betriebsbesetzung konnte die Belegschaft eine Gerichtsverhandlung erzwingen, in der Irregularitäten im Privatisierungsprozess nachgewiesen wurden. 2007 wurde die Fabrik schließlich von den etwa 500 Beschäftigten erfolgreich übernommen. Ein Belegschaftsaktionärsmodell macht es möglich.

Die „Bewegung für die Freiheit“ sorgt seither mit Veranstaltungen, Zeitschriften und Flugblättern dafür, den Erfolg der Beschäftigten von Jugoremedija bekannt zu machen. Gleichzeitig vermitteln sie Basisgewerkschaftler/-innen überall in Serbien praktisches Wissen. Gehässige Kommentare aus Politik und Medien versuchen das Modell Jugoremedija als eine Wiederkehr der „Arbeiterselbstverwaltung“ des Tito-Jugoslawiens zu denunzieren. Aber das Beispiel hat Austrahlungskraft. So motivierte es in Zrenjanin auch andere Belegschaften in ihren Kämpfen gegen die Verlaufsformen der Privatisierung. Bei den Kommunalwahlen im Mai 2008 stellten die Betroffenen gemeinsam eine eigene Liste auf. Unter ihrem Namen „Ravnopravnost“(Gleichheit) zogen vier Abgeordnete in das Stadtparlament ein.

Für die fast vollständig von neoliberalen und konservativ-nationalistischen Kräften dominierte politische Szene in Serbien ist es eine politische Sensation, dass in Zrenjanin wieder an die lange Tradition lokaler Selbstverwaltung und Demokratie angeknüpft wird, die „zum historischen Erbe der sozialistischen Arbeiterbewegung in der Region“ gehöre, erklärt Zlatic. „Wirkliche Freiheit muss mit einer Dezentralisierung von Macht verbunden sein. Und ohne soziale Gerechtigkeit gibt es ohnehin keine Freiheit.“

In den Neunziger Jahren hat sich Zlatic mit einer linksgerichteten, anti-nationalistischen Perspektive gegen das Regime Milosevics engagiert. Die „Bewegung für die Freiheit“ versucht heute, die soziale Frage zum Ausgangspunkt einer Vernetzung von Arbeitskämpfen mit anderen Protestbewegungen wie dem Kampf gegen Studiengebühren zu machen.

Autoreninfo:

Boris Kanzleiter ist Leiter des sich im Aufbau befindenden Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Belgrad. Mehr Informationen über die im Text erwähnten Initiativen gibt es unter: www.freedomfight.net/cms und www.ravnopravnost.org[1].


Links:

  1. http://www.ravnopravnost.org/