29.06.2010

Crossoverprojekt Zukunftsvertrag

Marco Bülow

Die GRÜNEN fordern den „Green New Deal“[1][1], Katja Kipping von den Linken setzt dagegen lieber auf einen „Red-Green-Deal“[2][2]. Dazu eine Antwort von Marco Bülow (SPD MdB, Mitglied im ISM)

Linke Bewegung braucht zentrales Projekt

Crossover muss mehr sein als nur eine Machtoption. Abgrenzung gegenüber den bürgerlichen Parteien und Scharmützel in Nuancen werden für eine tragfähige und verändernde Politik nicht ausreichen. Wenn das linke politische Spektrum in Zukunft zur vorherrschenden Kraft werden möchte, muss trotz aller Unterschiede die Einsicht reifen, mehr miteinander als gegeneinander zu arbeiten. Dies bedeutet, dass man sich auf der einen Seite von den neoliberalen Verstrickungen lösen und auf der anderen Seite aus der fundamentaloppositionellen Starre befreien muss. Es ist immens wichtig, dass wir gemeinsam ein inhaltliches Hauptprojekt gestalten, welches zum Kristallisationspunkt der progressiven linken Vorstellungen werden kann.

Frei nach dem Motto von Jürgen Habermas: „Idealismus ohne Illusionen“ sollte ein solches Projekt visionär, aber dennoch realisierbar sein. Es muss zentrale Politikfelder umfassen und zusammenbinden. Ziel sollte eine radikale Veränderung unseres Finanz- und Wirtschaftsystems sein, weil wir nur so die steigende soziale Schieflage und die wachsende Krisen- und Risikogefahr bekämpfen können. Klimawandel, die Ressourcenverknappung, ökologische Plünderungen und Katastrophen, eine völlig unkontrollierte und krisenhafte Finanzwirtschaft verlangen nach einem Entwurf, einem Lösungsansatz, der die Probleme gemeinsam und entschlossen angeht.

Green New Deal als erster Ansatz

Vor allem die GRÜNEN haben frühzeitig erkannt, dass die ökologische Frage zu einer fundamentalen Überlebensfrage – übrigens für die Menschen und nicht für die Natur – geworden ist. Das Lachen über die Ökospinner und die Untergangspropheten, wie dem Club of Rome, ist heute vielen im Halse stecken geblieben. Mittlerweile postulieren nahezu alle Parteien und relevanten gesellschaftlichen Kräfte, dass wir ein Umdenken brauchen. Doch den hehren Worten, den vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnissen folgen kaum zukunftsweisende Taten. Jahr für Jahr steigt der globale CO2-Ausstoß, die meisten Industrienationen setzen weiterhin hauptsächlich auf Atom, Kohle und Öl, die Müllberge wachsen, die Wälder schrumpfen, die Aufsicht über gefährliche Technologien – siehe Öldesaster BP, welches durch mangelnde Kontrollen und korrupte Behörden erst möglich wurde – wird abgebaut und die Katastrophengefahr steigt.

robleme mit neuen Denkweisen lösen

Es war ein wichtiger Schritt, die Energiewende einzufordern, die in einem „Green New Deal“ eingebettet ist. Unsere Wirtschaft muss effizienter, CO2-ärmer und nachhaltiger werden. Mittel- bis langfristig wird sie das vielleicht sogar ohne wirklichen Systemwechsel, weil man mit den Erneuerbaren Energien, neuen effizienten Antriebssystemen, ressourcensparenden Bauweisen immer mehr auch das große Geld machen kann. Es ist richtig, dass ein Land wie Deutschland als Vorbild vorangehen muss und eine grünere nationale Wirtschaft uns insgesamt auch ökonomische Vorteile bringt, weil wir damit u. a. Zukunftsmärkte besetzen.

Immer wenn es konkret wurde, klare Entscheidungen gefragt waren, hat unser wirtschaftliches und politisches System – auch in Deutschland – allerdings versagt. Die globalen Rettungsaktionen scheitern an nationalen und ökonomischen Einzelinteressen. Wir erreichen die Milleniumziele nicht, keine Zusammenkunft hat die Überfischung und Verschmutzung der Meere gebremst oder eine globale Finanztransaktionssteuer eingeführt, jede Klimakonferenz endete bisher mit schön geredeten Fehlschlägen. Das grüne Vorbild, welches wir zumindest bei dem Einsatz der Erneuerbaren Energien abgeben, wird trotz internationaler Nachahmung nicht einmal ausreichen, den wachsenden Energiehunger zu kompensieren. Ich bezweifle immer mehr, ob wir ohne wirkliche Systemveränderungen dauerhaft nachhaltig leben können. Albert Einsteins Zitat gilt auch heute noch: „Die Probleme, die es in der Welt gibt, können nicht mit den gleichen Denkweisen gelöst werden, die sie geschaffen haben.“

Fortschritt zum „Red Green Deal“

Der „Green New Deal“ ist ein guter Ansatz, weil er die krankhaften Symptome unseres Wirtschaftssystems mildert. Er wird Klimawandel und Ressourcenhunger entgegenwirken. Aber wie lange wirkt die veränderte sanftere Therapie? Es bleibt die Wachstumslogik, die darauf ausgerichtet ist, immer mehr, immer schneller zu produzieren und alles Mögliche und Unmögliche tut, um die Nachfrage notfalls auch künstlich nach oben zu schrauben. Auch in der umgebauten Energiewirtschaft werden Monopolisierungsprozesse einsetzen, Rationalisierungen Fuß fassen, auch „grüne“ Manager werden versucht sein, den Profit auf Kosten von fairer Entlohnung und Mitbestimmung zu erhöhen.

Der „Green New Deal“ greift zu kurz. Die Kritik von Katja Kipping ist deshalb gerechtfertigt, vor allem weil sie nicht fundamental, sondern konstruktiv ansetzt: Was wir brauchen ist ein Red-Green-Deal, der weder der Logik einer apokalyptischen Politik verfallen darf, dernach die Welt gerettet werden müsse – egal wie; noch der Logik der alten naturzerstörenden Industriepolitik, wie sie lange Zeit selbst von Betonsozialisten aller Länder und aller Couleur vertreten worden ist. Er muss sich vielmehr zu einer Politik der Entschleunigung und der Wachstumsbegrenzung bekennen. Dem Wahnsinn der kapitalistischen Profitlogik muss die Rationalität der technischen, ökologischen und sozialen Vernunft entgegengesetzt werden.“[3][3]

Weiterentwicklung zum Zukunftsvertrag

Zu den bekannten Ansätzen des „Green New Deals“ ergänzt Katja Kipping beispielsweise den Aspekt, wie und wer den ökologischen Umbau bezahlen muss und wie man Ungerechtigkeiten dabei ausgleichen kann. Tatsächlich ist es eine Mär, dass ein solcher Prozess nur Gewinner haben würde. Er fordert zunächst Opfer - hauptsächlich bei einigen traditionellen Industrieunternehmen -, die ihre Verluste zumindest teilweise an die Verbraucher weiterreichen würden. Der Umbau ist unabdingbar, aber die Politik muss darauf achten, dass die Belastungen gerade bei den sozial schwächeren Bevölkerungsschichten ausgeglichen werden. Dies kann durch eine geringe Abschöpfung bei den profitierenden neuen Wirtschaftszweigen, durch eine veränderte Steuerpolitik, aber vor allem durch ein Kehrtwende weg von neoliberalen Konzepten geschehen.

Der Red-Green-Deal ist meines Erachtens eine gute Ergänzung zum Green-New-Deal. Er sollte uns als Vorlage dienen, die wir noch stärker ausformulieren, mit den wichtigen Zukunftsthemen verknüpfen und vervollständigen. Wichtig ist dabei die Erkenntnis, es zu einem zentralen Crossover-Projekt zu machen und es im Zusammenspiel mit Leben zu füllen. Ich würde es begrüßen, wenn wir dem gemeinsamen linken Projekt einen neuen Namen geben, der sich nicht an Parteifarben orientiert. Weil man nicht für alles Anglizismen braucht, spreche ich deshalb von einem Sozial-Ökologischen-Zukunftsvertrag.

Zielvision und konkretes Handeln

Die zusammenwirkenden Themenfelder sind klar umrissen. Es geht um eine ökologische und soziale Erneuerung. Das fast schon klassische Nachhaltigkeitsdreieck Umwelt, Soziales und Wirtschaft sollte mit den Themenfeldern Finanzmarkt und Bildung ergänzt werden. Natürlich müssen neben der Zielvision auch Meilensteine formuliert und eine Umsetzungsstrategie entwickelt werden. Dabei darf unser Focus nicht nur auf die nationale Ebene und auf die Industrienationen ausgerichtet sein.

Unsere Politik wird nur glaubhaft, wenn wir zudem auch sagen, was jetzt zu tun ist.

Die desolate Haushaltslage engt bereits heute den politischen Handlungsspielraum ein. Die Sparpolitik der Bundesregierung wird diese Entwicklung verschärfen. Ihre Antwort ist nicht nur asozial, sondern völlig ideen- und mutlos. Sie orientiert sich nur an einer Maxime: Wer die stärkste Lobby hat, gibt am wenigsten, je schmaler die Schultern sind, desto mehr sollen sie tragen. Es sollen diejenigen die Zeche zahlen, die am wenigsten von den hohen Gewinnen profitiert und die zur Krise am wenigsten beigetragen haben. Dabei sollte die Haushaltskonsolidierung bei denen ansetzen, die wirklich über den Verhältnissen gelebt haben. Dazu ist es gerade jetzt wichtig, sozial, kreativ und intelligent die bleibenden Spielräume zu nutzen und sie wieder zu erweitern. Der Zukunftsvertrag sollte aufzeigen, wo der Staat auch weiter investieren muss, an welchen Stellen er seine Einnahmen verbreitern kann und welche Einsparungen sinnvoll oder verkraftbar sind. Welche sofortigen alternativen Maßnahmen sind dazu möglich, die schnell und langfristig wirken? Dazu möchte ich abschließend einen konkreten Punkt benennen.

Beitrag zum Zukunftsvertrag

Die Ökosteuer fristet ein armseliges Dasein, obwohl sie eines der wenigen Instrumente ist, die wirklich nachhaltig Geld erwirtschaften. Sie sanktioniert verschwenderischen Umgang mit fossilen Kraftstoffen, hat also mitgeholfen, dass die Verursacher zumindest einen kleinen Teil der externen Kosten zu tragen haben. Mit Ausnahme des Emissionshandels und der Ökosteuer werden Gesundheits- und Folgeschäden komplett von der Allgemeinheit getragen. Dadurch gibt es zu wenige Anreize, effizienter und sparsamer mit nicht-erneuerbaren Ressourcen und Energieträgern oder anderen Schadstoffen umzugehen. Dies ist unsozial, da die Hauptverursacher eher aus gutsituierten Bevölkerungsschichten stammen, die Lasten aber überproportional sozial schwächere Schichten - diese wohnen beispielsweise eher an lauten Hauptverkehrsstraßen - tragen müssen.

Die bisherige Ökosteuer ist sehr bescheiden ausgefallen und sie weist zu viele Ausnahmeregelungen auf. Natürlich hätten größere Teile der Einnahmen in einen Umbau unseres Energiesystems und in die Bekämpfung der Folgeschäden fließen müssen, doch einige Einnahmen in das Sozialsystem zu stecken, könnte auch zukünftig zielführend sein.

Die Weiterentwicklung der Ökosteuer müsste folgende Punkte berücksichtigen:

1. Einen relevanten Beitrag leisten, damit sie wirklich eine Lenkungswirkung entfaltet.

2. Keine Bevölkerungsgruppe besonders stark treffen oder mögliche Härten abfedern.

3. Diejenigen Verbraucher und Wirtschaftszweige schonen, die umsteuern, und diejenigen belasten, die sich nicht weiterentwickeln (ausgehend vom derzeitigen Belastungsniveau).

4. Mit Emissionshandel abstimmen und verknüpfen.

5. Einnahmen zum überwiegenden Teil für Klimaschutz- und Effizienzmaßnahmen, soziale Abfederungen und für die Bekämpfung von Folgeschäden verwenden.

6. Einen festzulegenden Anteil der Einnahmen zusätzlich zur Schuldentilgung einsetzen.

Kreativ investieren und konsolidieren

Mit diesem ganzheitlichen Ansatz leisten wir einen wichtigen Beitrag, Anreize zum Umsteuern zu setzen, mit Investitionen die Wirtschaft anzukurbeln, sozialen Ausgleich zu schaffen und den Haushalt zu konsolidieren. Aber ein wichtiges Detail fehlt noch: Wenn die Wirtschaft brummt und das Wachstum klettert, steigen auch die externen Kosten, sowie Klima-, Umwelt- und Gesundheitsbelastungen. Wenn der Anteil der Ökosteuer mit den Wachstumsraten gestaffelt steigt, würden Belastungen für die Betroffenen erträglich ausfallen, weil sie ja gerade deutliche Gewinne erwirtschaften. In Flautezeiten würden niedrige Ökosteuersätze sowieso moderat bleiben. Die Lenkungswirkung könnte damit noch erhöht werden und es würde endlich das Prinzip gelten, dass man in den guten Zeiten den Schuldenberg abbaut. Nachhaltig wäre es zudem, wenn man einen Teil der höheren Ökosteuereinnahmen in hohen Wachstumsphasen anspart, um ihn dann in Krisenzeiten zu investieren.

Diese Art der Schuldentilgung ist weitaus kreativer und wirksamer, als sich mit der Schuldenbremse selber zu fesseln und statt notwendiger Investitionen, neoliberale Sparmaßnahmen durchzuführen Es ist natürlich nur ein Aspekt einer innovativen Haushaltpolitik, die wir im Zukunftsvertrag entwickeln müssen. Weitere gute Ansätze, wie die von IG-Metall und B.A.U.M. (Bundesdeutscher Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management) entwickelte Idee der Zukunftsanleihe, könnten die weiterentwickelte Ökosteuer ergänzen. Zudem ist klar, dass die vermögenswirksamen Steuern - die im europäischen Vergleich bei uns beschämend gering ausfallen - die Einnahmeseite vergrößern müssten und der Abbau umweltschädlicher Subventionen die Ausgabeseite verringern könnte.


[1][4] Bündnis90/Die Grünen: Die Krisen bewältigen – für einen grünen New Deal! (Beschluss auf der 28. Ordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz, Erfurt, 14.-16. November 2008:

http://www.gruene-partei.de/cms/default/dokbin/258/258004.gruener_new_deal.pdf[5] )

[2][6] Katja Kipping, Thomas Lohmeier: Lieber red als new (http://www.freitag.de/positionen/1016-lieber-red-als-new[7] , 27.04.2010)

[3][8] Zitat aus „Lieber red als new“, siehe 2. Fußnote

Links:

  1. https://www.prager-fruehling-magazin.dearticle.php?id=473&action=editForm#_ftn1
  2. https://www.prager-fruehling-magazin.dearticle.php?id=473&action=editForm#_ftn2
  3. https://www.prager-fruehling-magazin.dearticle.php?action=editForm&id=473#_ftn3
  4. https://www.prager-fruehling-magazin.dearticle.php?action=editForm&id=473#_ftnref1
  5. http://www.gruene-partei.de/cms/default/dokbin/258/258004.gruener_new_deal.pdf
  6. https://www.prager-fruehling-magazin.dearticle.php?action=editForm&id=473#_ftnref2
  7. http://www.freitag.de/positionen/1016-lieber-red-als-new
  8. https://www.prager-fruehling-magazin.dearticle.php?action=editForm&id=473#_ftnref3