26.07.2010

Wissen schafft Neues

Wie die Wissensproduktion das Eigentum von der Arbeit trennt und was die Linke davon hat

Thomas Lohmeier

Das Ende des Eigentums» ist die prophetische Unterzeile des neuen Werks der postmodernen Theoretiker Michael Hardt und Antonio Negri, FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher sinniert in seiner Zeitung über die «Revolution der Piraten», die partiell kommerzfeindlich und marxistisch[1] seien (vgl. FAS v. 21.9.09) und Spiegel Online fordert während der Opelkrise «Lasst Google Autos bauen!». Geistiges Eigentum, Urheberrecht oder Commons-based Peer Production sind längst nicht mehr nur Stichworte einer intellektuellen Feuilleton-Debatte oder linksradikaler Computer-Nerds. Die Produktion von Wissens hat sich schon längst zu einem beachtlichen Wirtschaftszweig entwickelt. Die Frage, in welchen Rechtsformen diese Wissensproduktion stattfindet und wer ihre Produkte zu welchen Bedingungen konsumieren darf, ist daher gegenwärtig Gegenstand vielfältiger politischer und juristischer Auseinandersetzungen, in denen das Urheber- und Patentrecht neu geregelt wird. Das Kampffeld ist dabei ausgesprochen unübersichtlich: Die Musikindustrie verklagt Schüler, Apple den Hersteller des Google-Handys HTC, Schwellen- und Entwicklungsländer bedrohen internationale Patenrechte und alle bekämpfen Mircosoft.

Die unübersichtliche Lage ist nicht nur Ausdruck einer Neuordnung eines spezifischen Eigentumsrechts, sie verweist auf ein grundsätzliches Problem der kapitalistischen Gesellschaft. Das Besondere der Wissensproduktion ist, dass das Produkt Wissen im Gegensatz zu anderen Produkten seine Potentiale nicht durch Abnutzung und Verbrauch verliert, sondern diese erst durch Teilung und Weitergabe erst entfaltet. Die Monopolisierung von Wissen mittels künstlicher Eigentumstitel (Patente, Urheberrecht) hingegen wirkt aufgrund der privaten Aneignung und Verfügungsgewalt als Beschränkung seiner produktiven Potentiale. Damit wird das Eigentumsrecht, also der Kern der bürgerlichen Gesellschaft, das in der Verbindung mit der auf Konkurrenz basierenden Warenproduktion einst erst das ganze produktive Potential des Kapitalismus entfaltete, zu einer Schranke der ökonomischen Entwicklung.

Zwanghafte Verbindung: Eigentum und Wissen

Weil sich bei der Produktion von Wissens die Beschränkungen des produktiven Potentials der kapitalistisch organisierten Ökonomie durch seine eigenen spezifischen Rechtsverhältnisse zeigt, ergeben sich aus diesen Auseinandersetzungen interessante Anknüpfungspunkte für eine transformatorische Linke. Marx erkannte im Widerspruch zwischen Produktionsverhältnissen (Eigentumsverhältnissen) und der Produktivkraftentwicklung sogar den letztinstanzlichen Motor geschichtlicher Veränderungen – also nicht im Widerspruch zwischen Produktionsmittelbesitzern und Arbeitskraftverkäufern, sondern zwischen den ökonomischen Potentialen der Gesellschaft und ihrer Eingrenzung durch die Form der Produktion. Nicht der Widerstand gegen die scheinbar widerrechtliche Aneignung des Mehrwerts führt demnach zur Transformation, sondern die Erkenntnis, dass die Rechtsverhältnisse, die die gesellschaftliche Reproduktion regeln, die Gesellschaft in ihrer eigenen Entwicklung behindern (vgl. MEW 13, S. 8f). Die Frage, die demnach einer transformativen Praxis vorausgeht, muss lauten: Welche ökonomischen Entwicklungen stehen im Widerspruch zu den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen und können Ansatz für eine emanzipative und transformative Politik sein?

Dieser Widerspruch drückt sich bereits in vielfältigen politischen Kämpfen aus. Beispielsweise sei an denr Kampf verschiedener Schwellenländer (Südafrika, Brasilien, Indien) um bezahlbare Medikamente zur Behandlung von HIV-Erkrankten Anfang der 2000er Jahre erinnert. Durch den TRIPs-Vertrag der WTO, der die Patente der Pharmakonzerne in Europa und den USA schützte, war diesen Ländern die Herstellung von Medikamenten zur Behandlung von HIV/AIDS untersagt. Erst ihre Drohung, die Verträge schlichtweg zu ignorieren, führte schließlich zum Kompromiss innerhalb der WTO und mit den Pharmakonzernen. Aktuell wollen die nördlichen Industrieländer bei den Verhandlungen über ein neues Handelsabkommen gegen Produktpiraterie (Anti-Counterfeiting Trade Agreement – Acta) die internationale Arbeitsteilung mittels des Patent- und Urheberrechts weiter festschreiben. Frei nach dem Motto „Wir mögen kein Öl haben, wir haben aber Ideen.“ (Luc Devigne, europäischer Chef-Unterhändler), soll das Patent- und Urheberrecht dafür Sorge tragen, dass die Kreativarbeit weiterhin im Norden, während die Produktion in den Schwellenländern und die Landwirtschaft im Süden stattfindet.

Generika sind für die medizinische Versorgung der Bevölkerung in ärmeren Ländern lebensnotwendig. So konnte durch den Import von Generika aus Billigpreisländern wie Indien der Preis für HIV-Inhibitoren um 10.000 Dollar auf unter 350 Dollar pro Patient und Jahr reduziert werden. Hier zeigt sich ganz deutlich, wie sehr die Ausgestaltung des Patentrechts im Wortsinne lebenswichtig ist. Trotz des 2001 über patentrechtlich geschützte Medikamente gefundenen Kompromisses führen Beschlagnahmungen immer wieder zu Behinderungen von Hilfsorganisationen bei der Versorgung mit bezahlbaren Generika-Medikamenten.

In der Wissensproduktion wird das Eigentumsrecht vom Motor zur Bremse der kapitalistischen Ökonomie. Dies zeigen besonders gut Beispiele aus den Bereichen der Produktion, bei denen die stofflichen Träger kaum von Bedeutung sind: Die freie Software. Zugegeben, diese These ist nicht neu. Erinnert sei an das The dotCommunist Manifesto von Eben Moglen (Moglen 2003) und die Keimformdebatte(vgl. Merten 2002 und Nuss / Heinrich 2002). Aber gerade die Keimformdebatte zwischen den freien Softwareentwicklern des Projekts Oekonux und den beiden marxistischen TheoretikerInnen Sabine Nuss und Michael Heinrich verdeutlichte, dass die Diskussion über die Form der Produktion des Wissens noch am Anfang steht. Die Produktionsbedingungen freier Software weisen in der Regel nicht über die bestehende kapitalistische Form der Warenproduktion hinaus, weil die gemeinsame Arbeit oft auf selbstausbeuterischen Bedingungen fußt. Nuss und Heinrich kritisieren diese romantischen Vorstellungen der Keimformvertreter zurecht.

Die Community der freien Software-Entwickler ist zwar nicht die kommunistische Vorhut, für die sie sich selbst manchmal hält. Aber indem sie das eigene Arbeitsprodukte der Gesellschaft zur Verfügung stellt, andere auf ihre Ergebnisse zurückgreifen und diese weiter entwickeln lässt, schafft sie nicht nur gute Produkte. Sie zeigt ganz praktisch: Die freie Assoziation der Produzenten kann der Produktion unter den Bedingungen der privaten Verfügungsgewalt überlegen sein. Das genuin Revolutionäre daran ist demnach, dass sie ähnlich wie die ersten bürgerlichen Manufakturbesitzer im Schoßsse der alten Gesellschaft passendere und effektivere Produktionsverhältnisse ausbrütet, schließlich ist die unter Open Source und General Public License (GPL) produzierte Software ist oft gleichwertig oder besser als die ihrer kommerziellen Konkurrenz. Während die Manufakturbesitzer damals den (doppelt) freien Menschen benötigten und daher Leibeigenschaft bekämpften und Bürgerrechte forderten, richten sich moderne Wissensproduzenten gegen den privaten Besitz des Wissensprodukts, indem sie gegen Urheberrechte und Patente kämpfen.

Über die Frage, wie die in der freien Software-Produktion bereits erfolgreich eingeübten Produktionsprozesse, Rechtsformen und Distributionsregeln auf stofflichere und kapitalintensivere Produktionen ausgeweitet werden können, wird bereits in der Debatte um die Commons-based Peer Production diskutiert. Auch wenn mancher Vorschlag vor dem Hintergrund der Komplexität nationaler und internationaler Volkswirtschaften naiv anmutet, zeichnen ihre Vorschläge doch das Bild einer vernetzten und selbstbestimmten Ökonomie, in der die Dominanz zwanghafter Profiterzielung gebrochen ist (vgl. Siefkes 2009: 252ff). Und so wundert es auch nicht, dass Spiegel-Online ironiefrei während der Opelkrise forderte „Lasst Google Autos bauen“ – es gibt kein Argument dafür, die Erkenntnisse aus aerodynamischen Studien und energiesparenden Motoren nicht Open Source zu stellen.

Andere Aneignungspraxen im Web sind zwar scheinbar unpolitisch, aber ihre Radikalität der Negierung des Privateigentums in seiner Form als Urheberrecht findet kaum vergleichbare Beispiele in klassischen sozialpolitischen Auseinandersetzungen. Die Totalüberwachung des Internets ist weder mit Kinderpornografie (konservatives Argument) noch mit Aufstandsprävention (linke Illusion) zu rechtfertigen. Der Grund der Überwachungsmaßnahmen dürfte vielmehr in der massenhaften Missachtung "geistigen Eigentums" durch die User begründet liegen – Diebstahl muss im Kapitalismus eben geahndet werden. Der Widerstand, der sich gegen diese Form der Überwachung richtet, ist vielfältig und mittlerweile sogar in Form der Piratenpartei wählbar.

Dass die Produktion des Wissens zunehmend in Widerspruch mit dem Urheberrecht gerät, zeigt sich auch an anderen Beispielen. Nicht nur, dass Wikipedia als Enzyklopädie anderen Informationsquellen in Aktualität und Umfang den Rang abgelaufen hat, auch der Zugang zu wissenschaftlichen Fachartikeln wird durch teurer werdende Fachpublikationen und der Einschränkung des Rechts auf elektronische Kopien immer schwerer. Wissenschaftler fordern bereits gesetzliche Regelungen zum „Open Access“ und eine kostenfreie Veröffentlichung von Forschungsergebnissen, die mit öffentlichen Geldern gefördert wurden. Auch die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) kündigte jüngst eine Open-Access-Initiative an, die Forschungsergebnisse frei zugänglich machen soll und der Leiter der Bibliothek der Universität Harvard forderte gleich die Verstaatlichung von Googles Buchsuchdienst (vgl. FAZ v. 14.10.2009).

Sinnlose Verbindung: Arbeit und Eigentum

Für die Linke ist die politische Auseinandersetzung um die Rechtsform des Wissens auch aus einem weiteren Grund bedeutsam, solange sie noch im klassischen Eigentumsbegriff John Lockes gefangen ist: Eigentum wird als Ergebnis von Arbeit gedacht, die prinzipiell allen Menschen gehörende Natur durch Arbeit angeeignet. Durch Arbeit erwirbt der Mensch sein Recht an seinem Arbeitsprodukt. Entsprechend wird die Kritik am Kapitalismus vorgetragen: Der Arbeiter erhalte nicht den vollen Lohn seiner Tätigkeit. Gegen diese Ungerechtigkeit wird aufbegehrt - der volle Lohn soll es sein. In der Kritik des Gothaer Programms wandte sich bereits Marx gegen diese Gerechtigkeitsvorstellung, weil sie in einem bürgerlichen Rechtshorizont befangen sei, und setzte ihr seine Vorstellung von Gerechtigkeit entgegen: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.“

Die Parole „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ verträgt sich nicht mit Marx' Gerechtigkeitsvorstellung, denn ihm ging es um die Trennung von Arbeit und Eigentum. Marx sieht, dass jederR gesellschaftliche Arbeit verrichtet (ob in der Produktion oder in der Reproduktion) und dass die Gesellschaft verpflichtet ist, für die Befriedigung der Bedürfnisse jedes Individuums zu sorgen. Die Open-Source- und GPL-Bewegung oder offene Enzyklopädien sind dementsprechend auch hier Vorbild: Die Trennung von Arbeit und Eigentum ist hier bereits praktisch, das Produkt der eigenen Arbeit wird nicht mehr als privates Eigentum verstanden. Im Gegenteil, das Eigentumsrecht am Produkt wird so gestaltet, dass es kollektives Eigentum bleibt. JedeRr arbeitet nach seinen Fähigkeiten, jederR konsumiert nach seinen Bedürfnissen.

Aus dem Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit haben sich bisher nur politische Praxen entwickelt, die entweder einen sozialpartnerschaftlichen Kapitalismus hervorgebracht haben oder – Lenin hatte dieses Dilemma früh erkannt und mit einer Praxis der Avantgarde beantwortet – zum autoritären Sozialismus führten. Eine transformatorische Linke muss den aus der Wissenproduktion erwachsenden Widerspruch aufgreifen und ihn mit der Aufhebung des Zusammenhangs von Arbeit und Eigentum verbinden. Nur so hat sie die Chance, aus dem Stellungskrieg zwischen Kapital und Arbeit auszubrechen. Statt einem bürgerlichen Gerechtigkeitsideal nachzuhängen und statussichernde, ausgrenzende und patriarchale Sozialfürsorgesysteme zu verteidigen, muss sie für ein bedingungsloses Grundeinkommen streiten. Auch in anderen Bereichen werden Modelle erdacht, die auf eine Trennung von Arbeit und Einkommen, von Bezahlung und Konsum hinauslaufen: Beispiele sind die Kulturflatrate, kostenloser ÖPNV und Kommunikation.

SelbstverständNatürlich darf die klassische soziale Frage nicht aus den Augen verloren und das "Revolutionäres Subjekt" (früher: Fabrikarbeiter, heute: Biochemikerin) nicht einfach ausgetauscht werden. Bezöge sich der Kampf nur auf die neue Elite des Proletariats, würde er Gefahr laufen, nur eine neuerliche Modernisierung des Kapitalismus anzustoßen. Eine Transformation kann aber nur emanzipatorisch und anti-avantgardistisch als Zusammenschluss zwischen hochqualifizierten WissensarbeiterInnen und klassischen LohnarbeiterInnen gedacht werden, weil sich der Kampf um gesellschaftliche Veränderung hin zu einer Gesellschaft der freien Assoziation auf alle beziehen muss. Ganz pragmatisch muss die sozialstaatsorientierte Linke zudem als Bündnispartner gewonnen werden, weil die Produktion von Wissen nur einen (allerdings wachsenden) Teilbereich der Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens ausmacht, weshalb die sich in diesem Bereich entwickelnden Widersprüche alleine noch kein transformatorisches Potential werden entfalten können.

Neue Verbindung: Wissen und Arbeit

Die Verbindung der aus dem Kapitalverhältnis erwachsenden sozialen Ungerechtigkeit mit denm aus der Produktion des Wissens entstehenden Widersprüuchene eröffnet der Linken vielfältige Perspektiven und entfaltet vielleicht sogar transformatorisches Potential: Die soziale Ungerechtigkeit im Kapitalismus ist evident. Das Wissen um sie hat ihn nicht gefährdet. Wenn es aber nun gelingt deutlich zu machen, dass die gesellschaftliche Produktion des Lebens als freie Assoziation der Menschen wirklich zu organisieren ist und dass die Keimformen hierzu bereits entwickelt werden; dass Wissen nur dann sein Potential entfalten kann, wenn es der ganzen Gesellschaft ungeteilt zur Verfügung steht; dass Privateigentum und Konkurrenzwirtschaft die ökonomischen Potentiale eingrenzen und nicht mehr freisetzen – kurz: wenn die Menschen also wieder die Veränderbarkeit der Welt für möglich halten, weil sie die Bedingungen der neuen sich im Schoße der alten entwickeln sehen und die Grenzen des Bestehenden offenbar geworden sind, dann wäre die wichtigste Voraussetzung für eine Gesellschaft, in der die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist (Marx), bereits vorhanden: Das praktische Wissen zur Neugestaltung der Welt.

Literatur:[1]

Merten, Stefan (2002): Eigentum und Produktion am Beispiel der freien Software. Online: http://www.oekonux.de/texte/eigentum/index.html[2] [31.3.2010] .

Molgen, Eben (2003): The dotCommunist Manifesto, Online: http://emoglen.law.columbia.edu/publications/dcm.html[3] [31.3.2010].

Nuss, Sabine / Heinrich, Michael (2002): Freie Software und Kapitalismus, erschienen in: Streifzüge 1/2002, S.39-43. Online: http://www.oekonomiekritik.de/504Nuss-Heinrich.htm[4] [31.3.2010].

Siefkes, Christian (2009): „Ist Commonismus Kommunismus? Commonsbasierte Peer-Produktion und der kommunistische Anspruch."; in: Prokla Nr. 2/2009.

[1] Vgl. Schirrmacher, Frank, Aufstieg der Nerds, Die Revolution der Piraten, in: FAS v. 21.9.2009.


Dieses Essay unseres Redaktionsmitgliedes Thomas Lohmeier erschien im Buch zur 10. Linken Medienakademie "Linke Kommunikation - Kommunikation mit links?", das im VSA Verlag Hamburg[5] erschien.

Links:

  1. http://www.oekonux.de/texte/eigentum/index.html
  2. http://emoglen.law.columbia.edu/publications/dcm.html
  3. http://www.oekonomiekritik.de/504Nuss-Heinrich.htm
  4. http://www.vsa-verlag.de/