05.08.2010

Der schlanke (Sozial)Staat.

HARTZ IV: 6 Monate lang nachholend essen

Jörg Schindler

Die Bundesrepublik ist ein Sozialstaat. Und ihre Behörden sind an Recht und Gesetz gebunden. Heißt es so schön. Doch unter HARTZ IV ist davon wenig übrig geblieben.

Übertrieben? HARTZ IV war "im Ansatz richtig"? Hierzu ein Ausschnitt aus einer Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, in der das Gericht die Argumentation der HARTZ-IV-Behörde bewertet, die klagenden Leistungsempfänger könnten doch bis zur abschließenden Entscheidung eines Gerichts zunächst auf die strittigen 20% der Leistungen vorläufig verzichten.

"Es ist verwunderlich, wenn der Antragsgegner [ARGE] hervorhebt, dass im Eilverfahren eine Kürzung von Grundsicherungsleistungen um 20 % bis zur Durchführung des Hauptsacheverfahrens anerkannt sei. Denn dies entspricht nicht der Rechtsprechung des LSG. Der erkennende Senat hat mehrfach hervorgehoben, dass es sich auch bei niedrigeren Beträgen, als sie in diesem Verfahren streitig sind [33,66 ¤], nicht mehr um Bagatellbeträge handelt. Diese Bewertung gebietet bereits der Charakter von Grundsicherungsleistungen als Sicherung des unbedingt notwendigen sozio-kulturellen Existenzminimums. Der verweigerte Rechtsschutz wird nicht dadurch plausibler und erträglicher, wenn - wie vorliegend das SG im aufgehobenen Beschluss festgestellt hat - dem Antragsteller zugemutet wird, nicht an einer bestimmten Zahl von Tagen pro Monat nichts zu essen oder zu trinken, sondern an jedem Tag im Monat 10 % weniger zu essen und zu trinken. Spätestens seit der Entscheidung des BVerfG v. 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09) wird dieser Begründung endgültig der Boden entzogen, zudem das SG dem Antragsteller nicht offenbart hat, wie er nach Durchführung des Hauptsacheverfahrens die ihm täglich für sechs Monate vorenthaltenen 10 % an Essen und Trinken existenzsichernd nachholen soll. Artikel 1 Grundgesetz gewährleistet ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Das bedeutet nicht nur die Sicherung der physischen Existenz, sondern auch ein Mindestmaß an Teilhabe an gesellschaftlichem, kulturellem und politischem Leben. Dieses Grundrecht ist dem Grunde nach unverfügbar und muss vom Grundsicherungsträger und notfalls durch die Rechtsschutz gewährenden Instanzen eingelöst werden." LSG NB v. 24.02.2010 - L 7 AS 1446/09 B ER.
Vielen Dank an Harald Thomé. (www.tacheles-sozialhilfe.de)