07.08.2010

Judith Butler auf dem Berliner CSD - Ein Eklat als Chance

Bodo Niendel

Am 19 Juni sollte die Philosophin Judith Butler für ihre Arbeit an der Kritik der kulturellen Einschreibung und Selbstverständlichkeit der Heterosexualität in der westlichen Kultur mit dem Zivilcouragepreis des Berliner CSD geehrt werden. Nach der Laudatio der Grünen-Politikerin Renate Künast betrat Judith Butler die Hauptbühne des Berliner CSD und verweigerte die Annahme des Preises, da die „Mitveranstalter sich explizit rassistisch geäußert haben beziehungsweise sich nicht von diesen Äußerungen distanziert haben. Die veranstaltenden Organisationen weigern sich, antirassistische Politiken als wesentlichen Teil ihrer Arbeit zu verstehen. In diesem Sinne muss ich mich von Komplizenschaft zu Rassismus, einschließlich antimuslimischen Rassismus, distanzieren.“ Dies war ein Paukenschlag.

Die Nichtannahme des Preises und die von ihr geäußerte Kritik löste eine hitzige Diskussion in der lesbisch/schwulen/trans* Community aus. Für einige Irritationen sorgte die Bezeichnung Mitveranstalter, da der Berliner CSD keine Mitveranstalter aufweist. In der Folge präzisierte Butler ihre Vorwürfe. Sie bezog sich auf eine strukturelle und personelle Nähe zum Lesben- und Schwulenverband Deutschland(LSVD)-Berlin und dem schwulen Überfalltelefon Maneo. Beide Organisationen thematisierten in den vergangenen Jahren die Zunahme von Überfällen auf Lesben, Schwule und Transgender. Diese Überfälle wurden auch in den Berliner Tageszeitungen ausführlich erwähnt. Maneo wie auch der LSVD-Berlin verwiesen auffallend häufig auf den Migrationshintergrund einiger Täter. Der LSVD Berlin machte Anfang Januar 2006 bundesweit auf sich aufmerksam, als er den Gesprächsfaden zur Einbürgerung des Landes Baden-Württemberg begrüßte, insbesondere muslimischstämmige EinwandererInnen sollte hierin befragt werden, wie sie die Homosexualität ihres Kindes akzeptieren würden.

Das schwule Überfalltelefon Maneo weist bei den antischwulen Gewalttaten in besonderer Weise auf den Migrationshintergrund hin. So erläuterte der Projektleiter Bastian Finke im Maneo Bericht 2007/08 „Ohne dass wir danach gefragt haben, haben 16 Prozent der Befragten in einer offenen Rubrik angegeben, dass es sich bei den Tätern um Personen nichtdeutscher Herkunft gehandelt hat. (…) Doch nicht die Schwulen, die diese Rückmeldung gegeben haben, sind das Problem. Vielmehr sind es die Täter, die Schwule zu Opfern machen, und die wiederum vermehrt mit Wut und Unverständnis reagieren. Das liberale Nebeneinander – hier die Schwulen, da die Migranten – ist mittlerweile Geschichte.“

Die Kritik Judith Butlers scheint nicht aus der Luft gegriffen zu sein, wenn der Projektleiter von Maneo einen Anteil von 16 % unter den Tätern offensichtlich für sehr viel hält, obwohl der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in Berlin bei 25 % liegt. Warum er daraus schließt, dass der Multikulturalismus gescheitert sei, bleibt wohl sein Geheimnis. Auch der LSVD-Berlin bediente sich dieser Vorurteile, wenn er die Forderung einer CDU geführten Landesregierung begrüßt, die als Hürde für die Einwanderung, einen Maßstab für Toleranz anlegt, den ein Großteil der CDU-Mitglieder selbst nicht aufbringen würde.

Die Veröffentlichungen des LSVD-Berlin wie auch von Maneo legen nahe, dass die Rechte von Schwulen (und manchmal auch von Lesben) den Rechten von Menschen mit Migrationshintergrund gegenübergestellt werden. Dabei wird nicht nur übersehen, dass lesbische/schwule und trans* Menschen mit Migrationshintergrund in Berlin leben, sondern ein schablonenhaftes Bild von MigrantInnen gezeichnet, die sich nicht an die hiesigen (scheinbar aufgeklärten) Normen anpassen wollen. Diese Position argumentiert aus einer Überlegenheit und ist seltsam blind gegenüber den Defiziten fehlender Akzeptanz der deutschen Mehrheitskultur.

Das Kind mit dem Bade ausschütten würde man hingegen, wenn man den LSVD-Berlin und Maneo als rassistische Organisationen zu bezeichnen würde. Es wäre eine Überdehnung des Rassismusbegriffs. Beide Organisationen kooperieren eng mit dem Türkischen Bund, der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Türkiyemspor und dem Zentralrat der Sinti und Roma, oder rufen zu Protestaktionen gegen die Gründung der rassistischen Partei Pro Berlin auf (wie zuletzt der LSVD Berlin am 17.7.2010). Vorurteilsgeschwängerte Veröffentlichungen stehen hier im Widerspruch zu einer durchaus emanzipatorischen Praxis.

Judith Butlers Eklat sollte als Chance gesehen werden, die normativen Grundlagen und Ausschlüsse des Denken und Handelns zu hinterfragen, um die Akzeptanz von sexueller und kultureller Vielfalt - als Einheit verstanden - zu erhöhen, statt sie gegeneinander auszuspielen. Auch die vom LSVD-Berlin in Auftrag gegebene Studie des Bremer Soziologen Bernd Simon endete damit, „Solchen Versuchen muss sich auch die Lesben- und Schwulenbewegung entgegenstemmen, trotz kurzfristiger realpolitischer Verlockungen, die möglicherweise lauern. Lesben und Schwule würden sich in der Gesellschaft des islamophoben Beelzebub nicht lange wohlfühlen bzw. dort nicht lange unbehelligt bleiben, da der Abgrenzung nach außen meist sehr bald die >Säuberung< im Innern folgt.“

Bodo Niendel

Referent für Queerpolitik der Bundestagsfraktion DIE LINKE. und Vorstandsmitglied des Berliner CSD e.V.