Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

verkehrte Welt: Nach dem Schock der Wirtschaftskrise sind neun von zehn Deutschen laut Umfrageinstitut Emnid der Meinung, dass der Kapitalismus durch ein neues Wirtschaftssystem abgelöst werden muss, das Soziales und Ökologie vorrangig berücksichtigt. Verflogen sind die Illusionen über das „Ende der Geschichte“ mit lauter Menschen, die freudig „Ka-Ka-Kapitalismus“ singen.

Doch eine Entsprechung findet der neue Zweifel am selig machenden Wesen des Kapitals im Politischen nicht. Ganz besonders nicht im real existierenden Parteien- und Zivilgesellschaftsgefüge, in der ein CDU-Hardliner-Generalsekretär der 70er Jahre eine Kapitalismuskritik verbreitet, die wahrnehmbarer ist als alle deutschen kommunistischen Plattformen zusammen. Eine radikale Kapitalismuskritik hat auch die Linke verlernt. Verschämt spricht man gelegentlich auf Nachfrage vom „Systemwechsel“; unklar dabei, ob es um die Beendigung der Macht der Deutschen Bank oder um die dringend notwendige Verwaltungsreform der Allgemeinen Ortskrankenkassen geht. Nun bilden wir uns als Redaktion natürlich nichts ein. Insbesondere nicht, den Raum gefunden zu haben, in dem die kommunistische Idee gefangen ist, die am Ende die Massen ergreift. Diskutiert haben wir aber drüber und jedenfalls Räume gesucht, in der eine Kapitalismuskritik ohne Schulung nach Art der katholischen Soziallehre Anknüpfung finden kann. Und ohne eine sich kommunistisch nennende Bilderbucherzählung, in der via Zeitstrahl vom Niederen zum Höheren aus den Urmenschen lauter Werktätige in heroischen Kämpfen des Guten gegen das Böse das kommunistische Ende der Geschichte errichten.

„Eine marxistische Kapitalismuskritik muss vielmehr zeigen, wie und wieso die bestehende kapitalistische Eigentumsordnung Fortschritts- und Freiheitspotentiale systematisch blockiert. Dies wird im Bereich der Wissensproduktion besonders deutlich“, schrieben wir daher auf und beschlossen den Schwerpunkt „Wissenskommunismus“. Okay, es war ein bisschen wie in der Filmszene „Das Leben des Brian“, als sich die VerschwörerInnen der Volksfront von Judäa im Collosseum treffen. Und wie im echten Brian- Filmleben haben wir uns über die Thesen zum „Wissenskommunismus“ auch gleich gezofft: Ob die sozialen Verteilungskämpfe, die Geißlers Heinerchen mit den gesammelten Kapitalismuskritik-Revolutionären von Sommers Michael bis Wagenknechts Sahra um Lohn, um Rente und um Hartz-IV-Regelsatz führen, überhaupt zu etwas führen — außer am Ende zum SPD- oder KPdSU-Parteibuch? Oder ob Marx’ Vorstellung, wonach jeder nach seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen leben solle, bereits heute gelten könne? Und ob die Software-Nerds verkappte KommunistInnen oder doch nur Spießgesellen des „Ka-ka-ka“ — naja, Ihr wisst schon — sind. Am Ende ist aber wieder einmal die notwendige Spaltung der Redaktion in die Volksfront von Judäa und die Judäische Volksfront, ausgeblieben. Nur über die Frage, wer von den Redaktionsmitgliedern nun den Titel „postbürgerliche Linke“ zu Recht führen darf oder nicht, wird weiter heftig bei Rotwein und gutem Essen gestritten. Soviel Kommunismus muss sein. Cheers!

Eure Redaktion