20.11.2010

Verbrüderung

Die Grünen machen der Wirtschaft ein Angebot, das sie nicht wird ablehnen können

Thomas Lohmeier

Eine Volkspartei, wie gerne in den Medien über Bündnis 90 / Die Grünen getitelt wird, muss für alle da sein. Sie darf daher weder die Interessen der einen oder der anderen sozialen Gruppe bevorzugen, noch die des Klimas, der Wälder oder aussterbender Tierarten. Eine Volkspartei ist “Gemeinwohl-Partei” (so Parteichef Cem Özdemir) und muss für jeden etwas in ihrem Gemischtwarenladen im Angebot haben. Im Kapitalismus selbstverständlich insbesondere für “die Wirtschaft”.

So wird “der Wirtschaft” allerlei vom Parteichef versprochen: Auszubildende, die tatsächlich lesen, schreiben und rechnen können; Universitäten, die die besten der Welt wieder werden sollen und der Zuzug hochqualifizierter AusländerInnen, damit “die Wirtschaft” keine Engpässe an leistungsfähigem Personal erleiden müsse. Jedes Angebot, das weiß ein jeder in “der Wirtschaft”, hat natürlich einen Preis. Özdemirs Angebot jedoch ist für “die Wirtschaft” kostenlos. Wie kann das gehen?

“Und Ihr demonstriert Verbrüderung” singen Tocotronic in Freiburg, während Özdemir das Lied der Wirtschaft pfeift, wenn er vorschlägt, die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Natürlich nicht so einfach, wie es die große Koalition einst tat, als die SPD die Erhöhung der “Merkelsteuer” (SPD-Wahlkampfgetöse) um 3% mittrug. Özdemir ist schlauer: Er greift einen Vorschlag der vom Unternehmerverband Gesamtmetall finanzierten Kampagne der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) auf: Unter dem Label “Vereinfachung” will der den reduzierten Mehrwertsteuersatz von 7% für viele Produkte - im Gegensatz zum diesem neoliberalen Think-Tank will Özdemir Lebensmittel und Kulturgüter noch außen vor lassen - auf den regulären Satz von 19% anheben.

Da die Mehrwertsteuer nun einmal für Unternehmen kostenneutral ist und sie am Ende immer von den VerbraucherInnen bezahlt wird, wirkt sie als Flat-Tax. Alle zahlen, unabhängig von ihrem Einkommen und Vermögen, den gleichen Steuersatz auf die Waren, die sie konsumieren. Das gefällt natürlich den Besserverdienden, deren Partei einst die FDP sein wollte. So kommt es auch nicht von ungefähr, dass die CDU/CSU-FDP-Koalition unter Kohl von 1982 bis 1998 die Mehrwertsteuer von 13 % auf 16 % erhöhte, die Einkommensteuer reduzierte und die Vermögensteuer ganz abschaffte. Das Angebot der Grünen, diese Politik wieder aufzugreifen, wird “die Wirtschaft” wohl nicht ablehnen können.

Vor allem wird sie sich das Angebot auch deshalb genau ansehen, weil die FDP offenbar ihre Position zur Mehrwertsteuer überdacht hat. Bisher war dies die einzige Steuer, die die FDP ohne zu murren bereit war zu erhöhen. Das ist nun anders. Wir erinnern uns an die Reduzierung der Steuer auf Hotelübernachtungen. Sicherlich kann man zurecht fragen, warum ausgerechnet diese Dienstleistung vergünstigt wurde, aber es war trotz offenkundiger Lobbypolitik ein Schritt in die richtige Richtung: Die Mehrwertsteuer wurde nicht erhöht, sondern reduziert. Am besten würde sie aber gleich ersetzt, durch eine Ökosteuer auf umweltschädliche Produkte (Autos, Flüge, Benzin, Energie etc.), eine Erhöhung der direkten Steuern auf Einkommen und Erbschaften sowie durch die Wiedereinführung der Vermögensteuer. So würde Steuerpolitik auch wieder ihrem Namen gerecht: Als Instrument zur Steuerung der Gesellschaft. Steuerpolitik als Instrument eines ökologisch-sozialen Wandels, das wäre ein gutes Angebot des grünen Vorsitzenden an die Gesellschaft gewesen. Aber stattdessen ist offenbar im Volksparteirausch Verbrüderung mit dem Kapital angesagt.