03.12.2010

Letzte Chance? Vorbei?

SPD Hessen für Schuldenbremse

Kolja Möller

Die SPD Hessen sagt ja zur Schuldenbremse in der hessischen Verfassung. Das hat ein Landesparteitag am vergangenen Wochenende abgesegnet: Ein Beschluss mit bundespolitischer Bedeutung und eine schlechte Entscheidung für die gesellschaftliche Linke. Denn in Hessen will die Landesregierung aus CDU und FDP die Schuldenbremse in der Landesverfassung verankern und die Bürger_innen per Volksentscheid bei den Kommunalwahlen im März darüber entscheiden lassen. Es hätte also die Möglichkeit einer gemeinsamen Kampagne der gesellschaftlichen Linken gegen die Schuldenbremse gegeben, die weit über das Spektrum der Parteien und Gewerkschaften hinausgeht. Die Kommunen sind finanziell am Ende. Die Landesregierung spart die Universitäten und Schulen kaputt.

Und es hätte die einmalige Chance gegeben eine öffentliche Auseinandersetzung um die Frage zu initiieren, ob öffentliche Haushalte so funktionieren wie die Kaffeekasse einer Herren-Volleyballmannschaft. Ob jetzt die Schulden das größte Problem für die kommenden Generationen sind oder schlechte Schulen, Universitäten und fehlende Jugendclubs im Hier und Jetzt. Man hätte Veränderungen im „Alltagsverstand“ (Gramsci) erreichen und die neoliberale Hegemonie konfrontieren können. Politiker_innen von SPD, Grünen und LINKEN hätten in diesen Wintermonaten andere Schwerpunkte setzen können: Nicht im beheizten Büroraum darüber grübeln, ob im kommunalen Haushalt die Frauenberatungsstelle zu Gunsten des Jugendzentrums keine Zuschüsse mehr erhält oder umgekehrt, sondern mit Gewerkschafter_innen, Schüler_innen, Erwerbslosen und whoever gemeinsam von Tür zu Tür ziehen und Hessens Wahlberechtige gegen den Schuldenbremsen-Unsinn mobilisieren.

Denn dass das höchste Ziel der Fiskalpolitik der ausgeglichene Haushalt ist, ist keineswegs die allgemeingültige Wahrheit. Nur die neoliberale Schule – unter vielen Strömungen der Wirtschaftswissenschaften – hat den ausgeglichenen Haushalt zum Mantra erklärt. Andere Strömungen – etwa keynesianische Ansätze – haben mit guten Gründen ein anderes fiskalpolitisches Konzept. Die Neoliberalen waren seit den 1970er Jahren erfolgreich darin ihre ideologische Doktrin zur allseits geteilten Wahrheit zu machen. Mit der Schuldenbremse erlangt eine neoliberal ausgerichtete Fiskalpolitik Verfassungsrang. Das ist ein demokratischer Skandal: Darüber, was für eine Fiskalpolitik verfolgt wird, sollte in einer Demokratie doch eigentlich das Parlament entscheiden und nicht das Bundesverfassungsgericht. Bald kommt die CDU Hessens auf die Idee katholisch ausgerichteten Sexualkundeunterricht in ihre Landesverfassung zu schreiben. Irgendwie geht es dabei ja auch um die künftigen Generationen. Der Bundestag beschließt dann noch zusätzlich eine Politikbremse. Alle Beschlüsse in Landesparlamenten und Kommunen müssen in Übereinstimmung mit dem Parteiprogramm von CDU, FDP und den Erklärungen des Seeheimer Kreises in der SPD stehen, sonst sind sie verfassungswidrig. Auf diesem Wege kann man sich die Demokratie, den Streit zwischen links und rechts auch sparen.

Zurück zur SPD Hessen: Natürlich hatten die Befürworter_innen der Schuldenbremse nachvollziehbare Gründe. Wie so oft in der Geschichte der SPD hat sie hart mit der CDU verhandelt und dabei so einiges rausgeholt. Das Land soll auch für eine angemessene Einnahmesituation sorgen. Ein Riesenerfolg. Man sieht schon Volker Bouffier in einer großen Koalition mit der SPD in der nächsten Legislatur die Initiative für eine Vermögenssteuer ergreifen, um mehr Lehrer_innen einzustellen. Viel wichtiger ist wohl ein anderer Grund. Die SPD Hessen fürchtet sich davor im Kommunalwahlkampf von der CDU als Schuldenmacher diffamiert zu werden. Sie fürchtet Mandats- und Einflussverlust. An diesem Argument ist tatsächlich was dran. Bemerkenswert ist, dass die Frage, wofür man den so stabilisierten Einfluss zu nutzen gedenkt, nicht einmal mehr gestellt wird. Einfluss und Mandatsgewinn sollten zumindest für linke Parteien kein Selbstzweck sein. Und das Risiko der Niederlage gibt es nunmal für eine linke Politik in dieser Gesellschaft immer. Es dadurch zu minimieren, dass man sich den Neoliberalen andient, ist der falsche Weg. Die SPD schlägt die Chance aus einen sozialen und demokratischen Politikwechsel zu befördern. Hessen ist gegenwärtig der einzige Ort, von dem aus man die Schuldenbremse aussichtsreich attackieren kann. Und machen wir uns nichts vor: Ohne eine postneoliberale Fiskalpolitik – und das heißt in Zukunft leider: ohne Konflikt mit der Schuldenbremse als Verfassungsnorm – kann keine im starken Sinne linke Regierungspolitik stattfinden.