spätfeudale verhältnisse überwinden

Für eine Demokratisierung der Justiz

Jens Petermann

Die Diskussion um ein die Solidarische Moderne tragendes Gesellschaftsmodell ist voll entbrannt. Der Beitrag „Rechtspolitik als Spielfeld“ im letzten prager frühling veranlasst mich ein außerhalb der Fachwelt kaum wahrgenommenes Thema aufzugreifen: Die Notwendigkeit einer selbstverwalteten Justiz. Ein mittlerweile legendäres Zitat des preußischen Justizministers Leonhardt zeigt das Problem: "Solange ich über die Beförderungen bestimme, bin ich gerne bereit, den Richtern ihre so genannte Unabhängigkeit zu konzedieren." Das Zitat stammt aus dem 19. Jahrhundert, einer Zeit, in der unser Justizsystem seine Wurzeln hat.

In den meisten europäischen Ländern ist die Selbstverwaltung der rechtsprechenden Gewalt längst Alltag. Was nach dem Prinzip der Gewaltenteilung selbstverständlich ist, eine unabhängige selbstverwaltete dritte Gewalt, ist in Deutschland noch nicht vorhanden. Hier bestimmt nach wie vor die Exekutive, wer Richter wird und wer befördert wird. Damit ist Abhängigkeiten Tür und Tor geöffnet. Die dadurch bestehenden Möglichkeiten politischer Einflussnahme auf RichterInnen und StaatsanwältInnen werden auch genutzt. Erinnert sei an die Heitmann-Affäre in Sachsen, die Birkmann-Affäre in Thüringen und die Scheiter-Affäre in Brandenburg sowie die Schreiber-Affäre in Bayern.

Das Grundgesetz hat die rechtsprechende Gewalt den Richterinnen und Richtern anvertraut, tatsächlich aber werden die Gerichte von der Exekutive gesteuert. Dieses in Europa nur noch in Österreich, Tschechien und Deutschland anzutreffende obrigkeitsstaatliche Konzept ist endlich zu überwinden.

Der Berliner Appell europäischer Richter und Staatsanwälte vom 20.02.2009 kommt nicht von ungefähr. Dort heißt es: „Gebt der deutschen Justiz eine stärkere UNABHÄNGIGKEIT, die ihr von Verfassungswegen, der Gewaltenteilung entsprechend und der europäischen Entwicklung gehorchend zusteht!“ Mit der Resolution Nr.1685/2009 hat der Europarat die Bundesrepublik aufgefordert, die Justiz durch gemeinsame Verwaltungsräte, bestehend aus Richtern und Staatsanwälten, verwalten zu lassen. Es mutet daher grotesk an, dass die sich als vorbildlicher Rechtsstaat verstehende BRD die Kriterien für eine Aufnahme in die EU wegen ihrer „spätfeudalen“ Justizstruktur nicht erfüllen würde.

Schwerpunkte der diskutierten Modelle sind die Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz und deren Demokratisierung. Das betrifft die gesamte Organisation der Rechtsprechung durch Gerichtsbarkeitsräte, die auf Landes- und Bundesebene das bisher zuständige Justizministerium ersetzen. Sie bestehen aus den vom Parlament gewählten Abgeordneten oder im Rechtsleben erfahrenen Personen und von der RichterInnenschaft gewählten richterlichen Mitgliedern.

Die Gerichtsbarkeitsräte verantworten die Haushaltsmittel gegenüber dem Parlament und sind für das Disziplinarrecht zuständig. Richterwahlausschüsse entscheiden über die Ersteinstellung und werden vom Parlament und der Richterschaft gewählt. Das Präsidium, vertreten durch eine/-n auf Zeit von der Richterschaft gewählte/-n Präsidentin/-en, leitet das Gericht. Ein weiterer zentraler Punkt ist die Abschaffung des Beförderungssystems, welches auf einem System dienstlicher Beurteilungen basiert, deren Fragwürdigkeit die Spatzen von den Dächern pfeifen. Die Neue Richtervereinigung und der Deutsche Richterbund haben die Diskussion bereits vorangetrieben und lesenswerte Gesetzentwürfe erarbeitet.

Autoreninfo

Jens Petermann ist rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag und hat den Wahlkreis 197 Suhl-Schmalkalden-Meiningen-Hildburghausen gewonnen. Er arbeitete fast 20 Jahre als Arbeits-und Sozialrichter und war Vorsitzender des Verbandes der Arbeitsrichterinnen und Arbeitsrichter Thüringens sowie Landessprecher der Neuen Richtervereinigung. In diesem Plädoyer entwickelt er das Thema Mindestbedingungen für Regierungsbeteiligungen im Bereich der Rechtspolitik, die in der Ausgabe 7 dieses Magazins behandelt wurde, weiter.