neuro-enhancement

Queere Intervention?

Greta Wagner

Seit zwei Jahren wird das Thema Neuro-Enhancement in Deutschland intensiv in den Medien diskutiert. Der Begriff bezeichnet die Einnahme von Medikamenten, ohne medizinische Indikation um Stimmungen zu verbessern oder Konzentrations- und Leistungsfähigkeit zu steigern. In der neuroethischen Auseinandersetzung um Enhancement-Maßnahmen wird Francis Fukuyama intensiv rezipiert, der 1992 den Zusammenbruch der Sowjetunion und die weltweite Ausbreitung kapitalistischer liberaler Demokratien als „Ende der Geschichte“ feierte. Neuerdings fürchtet er das „Das Ende des Menschen“.1 Durch Biotechnologie und Psychopharmakologie werde die menschliche Natur zunehmend umgestaltet und wir träten ein in ein Zeitalter des Posthumanismus. Eine seiner Sorgen bezieht sich dabei auf die zunehmende Auflösung der Geschlechtergrenzen durch Psychopharmaka.

Denn die Einnahme von stimmungsaufhellenden und konzentrationsverbessernden Medikamenten ist unter den Geschlechtern ungleich verteilt. Während Frauen häufiger Antidepressiva wie Prozac (in Deutschland Fluctin) einnehmen, die auf den Serotoninspiegel wirken, ist der Medikamentenkonsum bei Jungen und Männern eher auf cognitive enhancing drugs wie Ritalin gerichtet. Serotonin fördert, so Fukuyama, das Selbstwertgefühl und führt dadurch zu besserem Durchsetzungsvermögen. Durch die Einnahme von Serotonin-Wideraufnahmehemmern wie Prozac verschafften sich Frauen mehr Selbstachtung und damit mehr von den männlichen Überlegenheitsgefühlen. Jungen dagegen bekämen Ritalin, weil sie in der Klasse nicht stillsitzen wollen, was jedoch daran läge, dass „die Natur sie nicht dafür geschaffen hat, sich so zu verhalten“.2 Fukuyama erkennt eine „bestürzende Symmetrie zwischen Prozac und Ritalin“, durch deren Einnahme sich die beiden Geschlechter „nach und nach in Richtung auf eine androgyne, mittlere Persönlichkeit hin [wandelten], die selbstzufrieden und sozial angepasst“ sei.3 Ein weiteres Problem sieht Fukuyama in der Gefährdung des Motors menschlicher Entwicklung, dem Kampf um Anerkennung, der auf Anstrengung und Leistung beruhe.

Diese Behauptung hat freilich im Kontext der von Fukuyama behaupteten Geschlechtsspezifität gefährliche Implikationen: Wenn Frauen also häufiger als Männer unter geringer Selbstachtung leiden, haben sie diese vielleicht auch gar nicht verdient? Der Blick auf die letzten Jahrzehnte der Forschung zu geschlechtlicher Sozialisation macht recht schnell andere Perspektiven auf die ungleiche Verteilung von Selbstachtung unter den Geschlechtern plausibel, und zeigt darüber hinaus, dass Selbstachtung nicht nur Resultat, sondern auch Voraussetzung für Erfolg ist. Daran anschließend stellt sich aber die spannendere Frage, ob der Antifeminist Fukuyama ein feministisches Argument für mehr pharmakologisches Enhancement liefert, weil es in seinen Auswirkungen herrschende Geschlechterverhältnisse dekonstruiert. Wenn es richtig ist, dass der gegenwärtige Trend zum Neuro-Enhancement dazu beiträgt, Geschlechtergrenzen zu „queeren“, lassen sich pharmakologische Strategien dann im Sinne einer emanzipatorischen Intervention verwenden?

Hierzu ist zunächst ein arbeitssoziologischer Blick auf den gesellschaftlichen Kontext von Neuro-Enhancement hilfreich. In Zeiten ausgreifender Neoliberalisierungen mit der Folge brüchiger Berufsbiografien wird Selbstoptimierung zur letzten scheinbar verlässlichen Investition. Die Subjektivierungsweisen, die mit Neoliberalisierungen verbunden sind und z.B. von Ulrich Bröckling mit dem Begriff des „unternehmerischen Selbst“ analysiert werden, stellen die Optimierung des Selbst und das Management von Risiken in die Eigenverantwortung der Subjekte.4 Den Geschlechtern werden dabei immer noch unterschiedliche Kompetenzen abverlangt. So kann holzschnittartig behauptet werden, dass typisch weibliche Dienstleistungsberufe beispielsweise besondere kommunikative Aufgeschlossenheit erfordern. Die Selbstmedikation mit dem Zweck des Neuro-Enhancement könnte in diesem Kontext als eine neoliberale Selbsttechnologie gelesen werden.

Die normative Abschätzung dieses Phänomens führt in viele Fallstricke, insbesondere wenn ihr keine materialistische Kritik der Leistungsgesellschaft zu Grunde liegt. Gegner einer Liberalisierung der Medikamentenvergabe wie Fukuyama sehen in Enhancement-Technologien den intrinsischen Wert der Leistung bedroht und handeln sich daher zu Recht den Vorwurf des pharmazeutischen Calvinismus ein. Befürworter einer Liberalisierung der Neuro-Enhancer dagegen sehen den intrinsischen Wert der Leistungssteigerung bedroht. Sie fordern zwar zu Recht, dass sich der Staat nicht in die Stoffwechselangelegenheiten seiner BürgerInnen einmischt, ignorieren in ihrer Kritik aber Herrschaftseffekte neoliberaler Subjektivierung.

Neuropharmaka sind wohl kein Schritt heraus aus patriarchalen Geschlechterarrangements, sondern vielmehr eine Möglichkeit, den Anforderungen urbaner Dienstleistungsökonomien zu entsprechen und das innerhalb bestehender Machtasymmetrien.5 Ohne die Bedeutung von Leistung zu kritisieren, werden leistungssteigernde Medikamente kein subversives Potential entfalten. Die stärkere Verbreitung von Neuropharmaka droht vielmehr die Toleranz gegenüber Abweichung sinken zu lassen. Unglücklichsein oder Unkonzentriertheit werden damit zunehmend als Formen der Devianz gelesen und zu pharmakologisch zu optimierenden Zuständen. Queere Kritik jedoch muss immer auch die Kritik an der Subsumierung des Besonderen unter das Allgemeine sein. Die Dekonstruktion des Geschlechts wird also vorerst eine politische Aufgabe bleiben.

Fußnoten

1 Fukuyama, Francis: Das Ende des Menschen. Stuttgart 2002

2 Ebd. S. 80

3 Ebd. S. 80

4 Bröckling, Ulrich: Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform. Frankfurt am Main 2007.

5 Vgl. Petra Schaper-Rinkel: Die neurowissenschaftliche Gouvernementalität. Re-Konfigurationen von Geschlecht zwischen Formbarkeit, Abschaffung und Re-Essentialisierung. Irene Dölling, Dorothea Dornhof, Karin Esders, Corinna Genschel und Sabine Hark (Hg.): Transformationen von Wissen, Mensch und Geschlecht. Transdiziplinäre Interventionen. Königstein, Taunus 2007, S. 94.